Günter Grass ist im Alter von 87 Jahren gestorben. Foto: dpa

Der deutsche Schriftsteller Günter Grass ist gestorben. Der strittige Zeitgeist, der unter anderem "Die Blechtrommel" geschrieben hatte, wurde 87 Jahre alt. Grass starb an den Folgen einer Infektion.

Lübeck - Günter Grass, Autor der „Blechtrommel“ und literarische Instanz von Weltrang, ist tot. Der Literaturnobelpreisträger starb am Montag im Alter von 87 Jahren in Lübeck im Kreise seiner Familie, wie der Steidl Verlag in Göttingen mitteilte. Sein Tod löste tiefe Trauer aus. Politik und Kultur würdigten ihn als einen der weltweit bedeutendsten Autoren. „Günter Grass war ein Weltliterat. Sein literarisches Vermächtnis wird neben dem von Goethe stehen“, sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU).

Grass war der weltweit wohl bekannteste deutsche Schriftsteller der Gegenwart. Lebenslang schaltete er sich leidenschaftlich in gesellschaftspolitische Debatten ein. Gleich sein erster, 1959 erschienener Roman „Die Blechtrommel“ geriet zum Welterfolg. 40 Jahre später wurde Grass für sein Gesamtwerk mit dem Literaturnobelpreis geehrt.

Bundespräsident Joachim Gauck würdigte Grass als großen Autor und streitbaren politischen Geist. „In seinen Romanen, Erzählungen und in seiner Lyrik finden sich die großen Hoffnungen und Irrtümer, die Ängste und Sehnsüchte ganzer Generationen.“ Grass sei zeitlebens ein eigenwilliger politischer Geist gewesen, der Auseinandersetzungen und Kritik nicht fürchtete und politische Debatten über Jahrzehnte wesentlich beeinflusste.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel nannte Grass einen Wegbegleiter, engen Freund und Ratgeber der deutschen Sozialdemokratie. „Mit ihm verlieren wir einen der bedeutendsten Schriftsteller der deutschen Nachkriegsgeschichte und einen engagierten Autor und Kämpfer für Demokratie und Frieden.“ Grass hatte immer wieder Wahlkampf für die SPD gemacht und vor allem mit Willy Brandt einen engagierten Austausch gepflegt.

Für den Intendanten des Hamburger Thalia Theaters, Joachim Lux, ist der Tod von Günter Grass, nur wenige Monate nach dem von Siegfried Lenz, ein tiefer Einschnitt. „Mit dem Tod von Siegfried Lenz und Günter Grass innerhalb kurzer Zeit geht eine ganze Epoche endgültig zu Ende - literarisch und auch politisch“, sagte Lux der dpa. Grass’ letzter Auftritt war bei der Premiere der „Blechtrommel“ am 28. März im Thalia, als er sich mit dem Ensemble den Schlussapplaus abholte.

„Die Blechtrommel“ brachte dem in Danzig geborenen Grass auch international den Durchbruch. Sie gehört zu den wichtigsten Romanen der deutschen Nachkriegsliteratur und gilt als Jahrhundertwerk. Das Nobelpreis-Komitee nannte das Buch die „Wiedergeburt des deutschen Romans im 20. Jahrhundert“. Grass erzählt darin von den Erlebnissen des aus Danzig stammenden Zwerges Oskar Matzerath, der sich mit drei Jahren weigert, weiter zu wachsen.

Das Erscheinen des Bildungs- und Schelmenromans rief in der Bundesrepublik manche Sittenwächter auf den Plan, die sich an den teils deftigen erotischen Szenen störten. Seit den „Buddenbrooks“ von Thomas Mann habe kein Erstling einen derartigen Aufruhr verursacht, befand das Nobelpreiskomitee. Die Verfilmung des deutschen Regisseurs Volker Schlöndorff wurde 1980 mit dem Oscar für den besten ausländischen Film ausgezeichnet.

Der zuletzt in Behlendorf bei Lübeck lebende Grass hatte nach dem Krieg eine Steinmetzlehre gemacht und Kunst studiert; er war Bildhauer und Grafiker. Er zeichnete auch und schrieb Gedichte („Malerpoet“). „Die Blechtrommel“ bildet zusammen mit der Novelle „Katz und Maus“ (1961) und dem Roman „Hundejahre“ (1963) die sogenannte Danziger Trilogie. Weitere wichtige Werke waren die Novelle „Aus dem Tagebuch einer Schnecke“, die Romane „Der Butt“ (1977) und „Die Rättin“ (1986) sowie das skandalumrankte Buch „Ein weites Feld“ (1995).

Manch einer sprach ihm die moralische Integrität ab

2006 sorgte Grass für manchen Aufschrei: In seiner Autobiografie „Beim Häuten der Zwiebel“ bekannte er zur allgemeinen Überraschung, dass er als 17-Jähriger am Ende des Zweiten Weltkriegs Mitglied der Waffen-SS war. Dem Autor wurde vorgeworfen, seine SS-Zugehörigkeit jahrzehntelang verschwiegen zu haben, während er andere immer wieder wegen ihrer NS-Vergangenheit öffentlich kritisierte.

Manch einer sprach ihm die moralische Integrität ab. Ein Vorwurf, der ihn erneut im April 2012 traf: Als er in dem Gedicht „Was gesagt werden muss“ mahnte, Israels Atomwaffen gefährdeten den Frieden und ein israelischer Erstschlag könnte das iranische Volk auslöschen. Israel verhängte ein Einreiseverbot gegen ihn.

Sein spätes Eingeständnis zur Waffen-SS hatte Grass so begründet: Er habe „aus Scham diese kurze, aber lastende Episode“ seiner jungen Jahre für sich behalten, aber nicht verdrängt. Die dann ausgebrochene öffentliche Kontroverse darüber habe für ihn „existenziell bedrohliche Ausmaße angenommen“, schrieb er im August 2006 in einem Brief an seine Geburtsstadt Danzig, deren Ehrenbürger er war. „Ich glaubte, mit dem, was ich schreibend tat, genug getan zu haben“, meinte er an anderer Stelle.

2010 veröffentlichte Grass auch „Die Stasi-Akte“ über seine Bespitzelung und Überwachung bei seinen Reisen in die DDR. Er hatte sich dort früh für verfolgte Kollegen und die Bürgerrechtsbewegung eingesetzt. Die deutsche Wiedervereinigung 1990 hielt er allerdings für übereilt, auch plädierte er erfolglos für eine neue gemeinsame deutsche Verfassung.

In der Bundesrepublik profilierte sich Grass schon seit den 1960er Jahren als engagierter Gesellschaftskritiker. Das trug ihm ironische Bezeichnungen wie „Haupt- und Staatsdichter“ und „Oberlehrer der Nation“ ein. Seit den 1960er Jahren warb er in Wahlkämpfen für die SPD. Aus Protest gegen die sozialdemokratische Asylpolitik trat er 1993 zwar aus der Partei aus, blieb ihr aber bis zuletzt verbunden. Früh setzte er sich auch für eine deutsch-polnische Verständigung und für den Verzicht auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete ein.

Der Schriftsteller Johano Strasser würdigte Grass als hochmoralischen politischen Menschen. Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste, sagte: „Wenn er die Demokratie in Gefahr sah, ging er keiner notwendigen Auseinandersetzung aus dem Wege.“ Der ungarische Literaturnobelpreisträger Imre Kertesz (85) trauerte um seinen Freund: „Wir haben uns nicht mit dem selben Thema beschäftigt, aber wir waren Freunde und haben uns gegenseitig geschätzt.“ Der rumänische Schriftsteller Mircea Cartarescu („Orbitor“) sagte: „Grass war für mich einer der letzten lebenden großen Schriftsteller.“

Das Gesamtwerk des Literaturnobelpreisträgers ist im Göttinger Steidl Verlag erschienen. Die Berliner Akademie der Künste, der Grass angehörte und deren Präsident er von 1983 bis 1986 war, betreut das literarische Grass-Archiv bis einschließlich „Ein weites Feld“ (1995), die danach entstandenen Werkmanuskripte werden im Grass-Haus in Lübeck, der letzten Wahlheimat des Autors, betreut.