Sebastian Vollmer ist der erste Deutsche, der im Endspiel der NFL den Titel gewinnt Foto: dpa

Sebastian Vollmer hat Sportgeschichte geschrieben – der Koloss aus Kaarst ist der erste deutsche Football-Profi, der im Super Bowl triumphiert hat. Doch das ist dem Mann von den New England Patriots so ziemlich egal.

Glendale - In der Nacht zum 4. Februar 2002 saß Sebastian Vollmer mit ein paar Freunden vor dem Fernseher und schaute zum ersten Mal Super Bowl, es spielten die New England Patriots gegen die St. Louis Blues. Die Pats gewannen 20:17, ihr Quarterback Tom Brady wurde zum wertvollsten Spieler (MVP) gewählt – und der 17 Jahre alte Football-Jugendnationalspieler ging gleich nach der Siegerehrung zu Bett, es war zwischen 3 und 4 Uhr. Am nächsten Tag rief die Pflicht im Quirinus-Gymnasium in Neuss.

13 Jahre später, am 1. Februar 2015, war der Rheinländer live dabei im Super Bowl in Glendale, er stand in Football-Montur am Spielfeldrand und als die Spieluhr gegen null tickte, riss er den neben sich stehenden Tom Brady mit der Kraft von 145 Kilogramm zu Boden und brüllte seine Freude heraus – New England hatte die Seattle Seahawks 28:24 geschlagen, der 30-Jährige war der erste Deutsche, der im Finale der National Football League triumphierte.

Sebastian Vollmer hatte Sportgeschichte geschrieben, doch es war ihm ziemlich schnuppe. „Deutscher oder Amerikaner, das macht für mich keinen Unterschied“, sagte er später, „mir ging es nur darum, das Ding zu gewinnen.“ Und Tom Brady, der wie 2002 zum MVP gewählt worden war, hatte mit seinem vierten Titel mit den Legenden Joe Montana und Terry Bradshaw gleichgezogen.

Eigentlich reißt Vollmer seinen Quarterback nicht um, seine Aufgabe besteht im puren Gegenteil – der 2,03 Meter große Hüne ist Bradys Bodyguard, als Right Tackle hält er die Gegenspieler davon ab, den Patriots-Spielmacht zu Boden zu bringen. Und das macht Vollmer vorzüglich. „Er ist beständig, zäh, athletisch – einer der kräftigsten Kerle, die ich je gesehen habe“, sagt der Quarterback. Auch wenn der Deutsche darin ein Meister ist, in der Öffentlichkeit wird er kaum wahrgenommen. Der Leibwächter eines Stars wirkt stets im Verborgenen, an den Ball kommt er nur, wenn beim Spielzug etwas mächtig schief läuft. „In sechs Jahren NFL hatte ich ihn nie im Spiel in der Hand“, erzählte er vor dem Finale. Auch in Glendale blieb er ohne Ballkontakt. Zum Glück.

Sebastian Vollmer ist ein stiller Typ, sein Spitzname ist Sea Bass, was Wolfsbarsch bedeutet. Doch die Wahl hat weniger mit seiner stillen Art zu tun als mit Lautmalerei. Sebastian klingt abgekürzt im Englischen nach „ Sea Bass“. Dass der Kerl aus Kaarst es geschafft hat, sich den begehrten Ring zu sichern, hat gar nichts mit seiner Schweigsamkeit, aber sehr viel damit zu tun, dass er extrem zuverlässig ist. „Er hat eine erstklassige Arbeitseinstellung“, sagt Trainer Bill Belichick über seinen Schutzmann aus der Offense Line. „Er ist absolut verlässlich“, beschreibt ihn Teamkollege Nate Solder, „er tut, was er sagt und er kümmert sich sehr um andere Leute.“ Vielleicht war dieses Kümmern auch ein Schlüssel zur Profi-Karriere.

Als Sebastian Vollmer im Sommer 2004 Düsseldorf „Tschüss“ sagte und seinen amerikanischen Traum begann, konnte er fast nur scheitern – er hatte zwar ein Football-Stipendium am College in Houston, aber wenig Geld und er sprach nur mäßig Englisch. Seine Chancen als Footballer einen NFL-Vertrag vorgelegt zu bekommen, waren für ihn als Ausländer verschwindend gering.

„Ich kannte niemanden“, erzählte er einmal. Er tat, was er konnte; und eines Tages bat ihn ein College-Trainer als Babysitter einzuspringen. Der German guy sagte ok und erwies sich als verlässlich, auch im Training bemerkten die Coaches schnell, dass sich Mister Vollmer mit Hingabe quälte, ohne im Rampenlicht stehen zu wollen. Ein großartiger Typ als Tackle, der geborene Bodyguard.

Kräftig, spielintelligent, zuverlässig, sozial kompatibel – fünf Jahre nach seiner Ankunft tauchte der Name Sebastian Vollmer beim Draft auf. Mit 25 unterschrieb er bei den Patriots. „Wie jeder Club wollen wir Erfolg“, sagt Teameigner Robert Kraft heute, „dazu bedarf es bestimmter Charaktere. Menschen, denen es gelingt, ihr Ego unter Kontrolle zu halten und ganz die Gemeinschaft zu sehen. Darin ist keiner so gut wie Sebastian.“ Nun mag der Rheinländer der erste Deutsche mit NFL-Ring sein, dennoch bleibt er bescheiden. „Ich werde kein Football-Nowitzki, ich sehe mich nie auf einer Stufe mit Dirk“, sagte er, „er ist ein Idol.“ Sebastian Voller ist bloß Bradys Bodyguard.

Vielleicht hat ein junger Mann in Deutschland in der Nacht zum 2. Februar 2015 erstmals den Super Bowl im Fernsehen geschaut und sich mit seinem Landsmann gefreut, als er gegen 4 Uhr ins Bett geklettert ist ...