So mögen es die Deutschen mehrheitlich immer noch am liebsten: Bezahlen mit Bargeld. Foto: dpa

Von wegen rückständig: Wer bar bezahlt, häuft weniger Herrschaftswissen über sich an. Was das mit persönlicher Freiheit zu tun hat, beschreibt Christoph Reisinger in diesem Kommentar.

Stuttgart. - Ausreichend Naivität vorausgesetzt, mag man die anhaltende Vorliebe der Deutschen für Bargeld und das direkteste Bezahlverfahren für Modernitätsverweigerung halten. Wer aber mit dem Blick fürs Wesentliche auf diese Vorliebe schaut, kann sie nur loben.

Wo Privates besonders sichtbar wird

Schließlich ist derzeit kaum ein größerer Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung in Sicht als die Abschaffung des Bargelds. Wer jeden Einkauf mit Verkäufer, Ort, Uhrzeit auf dem eigenen Bankkonto dokumentiert, schafft einen an vielen Stellen minutengenauen Überblick über seinen Tagesablauf. Und wo würde Privatestes deutlicher sichtbar als im Kaufverhalten? Wer dumm genug ist zu glauben, der Blick aufs eigene Bankkonto lasse sich auf Kontoinhaber und Bank begrenzen, der sei daran erinnert, was – für Zwecke des Fiskus – aus dem früher einmal ziemlich umfassenden Bankgeheimnis geworden ist. Ein Nichts.

Mit anderen Worten: Kein Staat, kein Geheimdienst, kein Unternehmen kann sich ein dichteres Herrschaftswissen wünschen als jenes, das ein rein bargeldloser Finanztransfer schafft.

Praktisch, aber gefährlich

Die potenziellen Gefahren und Nachteilen für die persönliche Freiheit, die mit einer Abschaffung des Bargelds verbunden wären, wiegen daher weit schwerer als die praktischen Vorteile eines rein bargeldlosen Bezahlens. Obwohl die groß sind, speziell über Bezahl-Apps auf dem Handy. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass diese Bezahlform in Ländern wie Ghana längst die Regel ist. Wobei: Wer schon einmal in einem Linienbus im angeblich so fortschrittlichen Schweden darauf warten musste, bis alle Fahrgäste ihr Ticket per Kreditkarte bezahlt haben, wird auch die praktischen Vorteile gegenüber Barem nie mehr überschätzen.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de