Lang ist es her: Die Gold-Staffel von den Spielen 2006 in Turin mit Ricco Groß, Michael Rösch, Sven Fischer und Michael Greis (v.li.) Foto: dpa/Bernd Thissen

Sie haben in der deutschen Staffel gemeinsam Medaillen gewonnen, auch nach der Karriere verfolgen Ricco Groß und Michael Greis dasselbe Ziel: Als Trainer Biathleten besser machen – auch gegen Widerstände.

Antholz - Es gibt eigentlich nur zwei Beschäftigungen, denen Biathleten nach dem Ende ihrer Sportkarriere nachgehen können. Die erste ist der Job als Fernseh-Experte. Laura Dahlmeier, mit sieben WM-Titeln und zwei goldenen Olympia-Medaillen ausgestattet, hat nach ihrem Rücktritt im Frühjahr 2019 erfolgreich zur TV-Fachfrau umgeschult und war bei der WM fürs ZDF im Einsatz, in der ARD wird die Kamera-erprobte Magdalena Neuner (13 WM-Titel, zweimal Olympia-Gold) die Fans mit ihrem Wesen und Wissen bereichern; auch Sven Fischer (sieben WM-Titel, vier Olympiasiege) war in Antholz im Fronteinsatz. Kati Wilhelm und Uschi Disl haben auch schon telegen geglänzt. Die zweite Möglichkeit, nach der Skijägerei etwas Sinnvolles zu tun: als Trainer anheuern. Ricco Groß hat diesen Weg gewählt, nachdem er kurz als Experte im Fernsehen aufgetaucht war. Von 2010 bis Sommer 2015 war der Sachse beim Deutschen Skiverband, dann lockte ihn der russische Verband, von dem er sich 2018 nach Ablauf des Vertrags im April trennte und in Österreich als Chefcoach anheuerte. „Es ist ja nicht so, dass man in Russland anruft und fragt, ob sie einen Trainer benötigen“, sagt Groß in Antholz, „oder dass man eine Bewerbung nach Innsbruck schickt. Man wird gefragt.“ Soll heißen: Ein Ricco Groß (neun WM-Titel, vier Olympiasiege) muss seine Qualitäten haben, sonst würde keiner bei ihm anklopfen.

Der Druck in Russland auf Groß war hoch

Sein Engagement in Russland stand unter keinem guten Stern, das Thema Doping war allgegenwärtig, wobei Groß stets beteuert hat, nichts Unerlaubtes mitbekommen zu haben. Wie genau er hingeschaut hat, bleibt offen. Nun ist der 49-Jährige seit anderthalb Jahren im österreichischen Revier, wo die Erfolgsansprüche nicht ganz so hoch sind wie einst bei der Biathlon-Nation Russland, wo die Qualität eines Trainers streng in Medaillen gemessen wird. Aber als Touristen sind die Österreicher nicht nach Südtirol gefahren. Eine Medaille gab der deutsche Chefcoach als Ziel vor. „Man muss realistisch sein“, betont er und verweist darauf, dass in Österreich Spitzen-Biathleten rarer gesät sind als die Edelweiße. Es läuft nicht schlecht, Felix Leitner wurde im Sprint und der Verfolgung jeweils Neunter, Lisa Theresa Hauser belegte in der Verfolgung Rang acht. Keine Medaille, aber Achtungserfolge – die allerdings in der Alpin-Nation kaum zu Begeisterungsstürmen geführt haben im Gegensatz zum Sieg von Austria-Abfahrer Matthias Mayer im Januar auf der Streif in Kitzbühel. Ricco Groß weiß, dass er ein Produkt anbietet, das keine Massenware ist. „Wir genießen im Verband hohe Wertschätzung, das ist mir wichtig“, betont er. Gastarbeiter Groß ist Entwicklungshelfer, oder besser: Aufbauhelfer. Lisa Hauser ist 26, Felix Leitner 23 – sie sollen in die Weltspitze geführt werden; dorthin, wo einst Dominik Landertinger zu Hause war und 2009 WM-Gold im Massenstart gewann. Vor allem aber soll der Chefcoach ein Nachwuchskonzept auf die Beine stellen. „Es ist interessant, dass ich in diesem Job immer etwas Neues erlebe“, sagt Groß.

Greis kennt die Schweizer Basisdemokratie

Dieser Satz hätte von Michael Greis stammen können. Der kommentierte nur gelegentlich Rennen bei Eurosport, war vielmehr in der Schweiz und den USA als Trainer aktiv – und seit dieser Saison sorgt sich Greis (je drei WM-Titel und Olympiasiege) um die polnischen Biathletinnen. Das hatte sich kurzfristig ergeben, nachdem Bernd Eisenbichler aus den USA zum DSV als Sportlicher Leiter abgewandert war, fehlte dem Allgäuer ein Vertrauter. Da kam das Angebot aus Polen gerade recht, die vier Frauen zu coachen. Dort ist der 43-Jährige noch mehr als Aufbauhelfer gefragt als sein einstiger Staffel-Kollege Groß. In Monika Hojnisz-Starega ist nur eine Athletin unter den Top-20 im Weltcup, sie war 28. im Sprint und 26. In der Verfolgung. An eine Medaille denkt da niemand, der Gastarbeiter aus Deutschland hat freie Hand. „Ich möchte eine Basis schaffen, dabei sollte mir meine Erfahrung als Sportler und Trainer helfen“, sagt Greis, der in der Schweiz die „Basisdemokratie“ erlebt hat, in der jeder Sportler mitdiskutiert und in den USA den „Sport-Kapitalismus“, wo die Finanzen den Erfolg maßgeblich mitbestimmen

„Ich möchte die Biathletinnen vor den Fehlern bewahren, die ich gemacht habe“, sagt der gebürtige Füssener, der im Zwei-Wochen-Rhythmus zum Team pendelt – allerdings kaum nach Polen, sondern zu den Lehrgängen, die die Mannschaft an Biathlon-Standorten in Europa absolviert. Auch in Oberhof und Ruhpolding. „Wir haben zunächst die Umfänge erhöht“, sagt er. Von nichts kommt nichts – wobei der Coach erzählt, dass er sich auf Englisch unterhält. „Polnisch kann ich nicht, einer der Physiotherapeuten spricht dafür sehr gut deutsch“, verrät er. Eine neue Sprache, wäre doch eine Herausforderung für Michael Greis. Dann könnte er sogar als TV-Experte im polnischen Fernsehen arbeiten.