Es gibt viel zu analysieren: Skisprung-Bundestrainer Stefan Horngacher bei der Corona-Tournee. Foto: dpa/Daniel Karmann

Die deutschen Vorspringer Karl Geiger und Markus Eisenbichler werden die Vierschanzentournee in diesem Winter wohl wieder nicht gewinnen – und nun schwächelt auch noch die zweite Reihe.

Innsbruck/Stuttgart - Stefan Horngacher ist es gewohnt, nicht nur auf die deutschen Skispringer angesprochen zu werden. Schließlich hat der Bundestrainer eine ruhmreiche Vergangenheit – von März 2016 bis März 2019 war er Coach des polnischen Teams, das unter ihm immer erfolgreicher wurde. Weshalb sich natürlich die Frage stellt, welchen Anteil er daran hat, dass die überragenden Kamil Stoch (1.) und Dawid Kubacki (2.) sowie Piotr Zyla (8.) und Andrzej Stekala (10.) nach drei von vier Wettbewerben die Gesamtwertung der Vierschanzentournee dominieren. „Wahrscheinlich habe ich in Polen viel Know-how hinterlassen“, sagt Horngacher mit einem Grinsen. Um etwas ernsthafter hinzuzufügen: „Das sind tolle Sportler, die derzeit ein extrem hohes Niveau zeigen.“ Und auch den Deutschen davonfliegen.

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Vor allem bei Karl Geiger ist der Frust groß gewesen, nachdem er auf der schwierigen Schanze am Bergisel in Innsbruck abgestürzt war. Der Rückstand auf Stoch ist nun so groß, dass der Viertplatzierte ebenso wie Markus Eisenbichler (5.) kaum mehr eine Chance hat, beim Dreikönigsspringen an diesem Mittwoch (16.45 Uhr/ZDF) die Tournee doch noch zu gewinnen. „Dafür müsste ein Wunder geschehen“, erklärt Stefan Horngacher, der aber nicht nur bei seinem Topduo Aufbauarbeit leisten muss, sondern gerade richtig viel zu tun hat – denn plötzlich schwächelt auch noch noch die zweite Garde.

Die früheren Topspringer Freund, Wellinger und Freitag suchen ihre Form

Skispringen ist eine Individualsportart, was der Satz unterstreicht, der an den Schanzen immer wieder zu hören ist: „Ich muss mein Zeug machen“ (wahlweise auch „Ding“ oder „Sache“). Und trotzdem benötigt jeder Athlet ein funktionierendes Team. Weil eine Gruppe nicht nur Zusammenhalt bietet, sondern auch Motivation, Willenskraft und Wettkampfhärte fördert. „Ich will eine starke Mannschaft, das ist mein Ding als Trainer“, sagt Stefan Horngacher, seit 2019 Chefcoach der deutschen Skispringer, „wir hatten das immer, doch jetzt ist die zweite Reihe ein bisschen abgefallen.“

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Was noch ziemlich positiv ausgedrückt ist. In Innsbruck überzeugte zuletzt nur Martin Hamann (23), der Athlet aus dem B-Kader landete auf Rang 13. Vor allem Pius Paschke (30), in der Weltcup-Gesamtwertung trotzdem noch starker Elfter, und Constantin Schmid (21) springen ihrer vorweihnachtlichen Form hinterher, als beide zum deutschen Quartett gehörten, das bei der Skiflug-WM in Planica Silber holte. Nun verpassten sie in Innsbruck ebenso den zweiten Durchgang wie Severin Freund (32). Der Olympiasieger und Weltmeister sucht nach zwei Kreuzbandrissen 2017 weiter seine alte Form. „Eine Leistungsexplosion ist bei ihm nicht zu erwarten“, meint Horngacher, „aber er hat während der Tournee sehr gut gearbeitet.“

Das ist mehr, als sich über Andreas Wellinger (25) sagen lässt. Der Superstar der Olympischen Spiele in Pyeongchang (1x Gold, 2x Silber) ist nach einem Kreuzbandriss und einem Schlüsselbeinbruch weit entfernt von alter Klasse und wurde ebenso wie Richard Freitag (29), der völlig aus der Spur geraten ist, vor den beiden Springen in Österreich aus dem Kader gestrichen. Weil es bis zum nächsten Saisonhöhepunkt, der Heim-WM in Oberstdorf, nicht mal mehr zwei Monate sind, könnte Stefan Horngacher nun über seine Sorgen und Nöte sprechen – schließlich ist das Risiko, alle Last auf die Ski-Enden der Vorspringer Geiger (27) und Eisenbichler (29) packen zu müssen, ziemlich groß. Doch der Bundestrainer ist keiner, der hadert. Ganz im Gegenteil.

Der Terminkalender im Januar ist prall gefüllt

Also erklärt Horngacher, es als nicht allzu kritisch zu empfinden, wenn in seinem Team mal nicht alles optimal laufe. Denn genau dann könne er als erfahrener Trainer umso mehr bewirken – in Gesprächen, in der Fehleranalyse, im Techniktraining, mit richtigen Entscheidungen. „So entsteht ein gutes internes Klima“, sagt der 51-jährige Tiroler, „ich sehe die jetzige Situation als Chance, sich wieder neu aufzustellen und weiter zu verbessern.“ Am besten schon zum Abschluss der Tournee: „Man darf erst gar nicht in ein schwieriges Fahrwasser hineingeraten, sonst wird es kompliziert. Wir brauchen in Bischofshofen eine bessere Trainingsqualität und einen besseren Wettkampf, um danach wieder völlig frei springen zu können.“

Zuerst bei den Januar-Weltcups in Titisee, Zakopane, Lahti und Willingen und erst recht Ende Februar bei der Heim-WM. „Bei der Tournee haben unsere Springer dem Druck, den sie sich selbst auferlegt haben, nicht ganz standgehalten, sie waren fehlerhaft“, erklärt Stefan Horngacher, der alles dafür tun wird, dass sich dies bei den Titelkämpfen in Oberstdorf nicht wiederholt. Schließlich hat er wenig Lust, auch dort wieder Fragen nach der Klasse der Konkurrenz gestellt zu bekommen.