So war es 2004: Die Slam Poeten traten bei den Deutschen Meisterschaften im Theaterhaus auf. Foto: StN

Am Anfang war das Wort. Und mittendrin. Und am Ende. Das ist das Glaubensbekenntnis der Slam Poeten. Sie flechten mit Wörtern Reime und bilden Girlanden,sie lassen sie fallen, ergreifen sie, geben ihnen Flügel, drehen sie im Mund herum. 2016 wird in Stuttgart über die Deutsche Meisterschaft im Poetry Slam entschieden. 

Stuttgart - Diese Zuhörer waren besonders kritisch. Nikita Gorbunov (31), Hanz (30) und Thomas Geyer (41) sind in vielen Wortgefechten gestählt, seit vielen Jahren dichten, reimen, knitteln, deklamieren und singen sie auf Bühnen. Doch dieser Auftritt in Dresden war ein ganz Spezieller. Während der Deutschen Meisterschaften traf sich die Vollversammlung der Slam Poeten und stimmte darüber ab, wo 2016 die Deutschen Meisterschaften sind. Grob gesagt, ist da jeder stimmberechtigt, der in Deutschland, Österreich und der Schweiz einen Poetry Slam veranstaltet. Diesem Bundestag der Dichterszene stellten die drei Stuttgarter ihre Pläne vor – und bekamen den Zuschlag.

Im Oktober oder November 2016 werden die besten Slam Poeten deutscher Sprache in Stuttgart zum zweiten Male nach 2004 mit Worten um den Titel Deutscher Meister fechten. Im Einzel, im Team, und beim Nachwuchswettbewerb. „Das sind gut 30 Veranstaltungen in fünf Tagen“, sagt Nikita Gorbunov, die natürlich in den Hochburgen der Bühnendichter stattfinden werden: der Rosenau, dem Keller-Club, und „in den Kleinkunstbühnen der Stadt “. Fürs Finale haben sie sich aber was ganz besonderes vorgenommen. Geyer: „Wir möchten gerne ins Opernhaus, schließlich wollen wir unserer Kunst einen würdigen Rahmen bieten.“

Kontakt aufgenommen haben sie schon mal mit den Hütern der Hochkultur, ob man nun zusammenfindet, bleibt abzuwarten. Und wenn wir gerade bei der Organisation sind, dann müssen wir auch über Zahlen reden. Auch wenn Dichter lieber reimen statt zu rechnen. Also die Daten: Die deutschsprachigen Poetry Slam Meisterschaften sind, so das Stuttgarter Trio, das weltweit größte Festival für Bühnenliteratur. Sie erwarten 10 0000 Zuschauer zu 20 bis 30 Veranstaltungen in fünf Tagen. 120 Poeten nehmen teil, 300 Festival-Teilnehmer sind es insgesamt. Und sie brauchen 150 000 Euro, um die Veranstaltung bezahlen zu können. Den Löwenanteil verschlingt dabei das Unterbringen und Verpflegen der Dichter.

Nun wissen sie nicht nur Sätze zu drechseln und Wortperlen zu knüpfen, auch das Klinken putzen ist ihnen nicht fremd. Seit Jahren schon veranstalten sie Poetry Slams, wissen also durchaus wie das Organisieren und Geld zusammenkratzen funktioniert. Die drei sind, man darf das wohl so nennen, besessen von der Bühnendichterei. Alle haben sie, wie man das so schön nennt, was Anständiges gelernt. Hanz etwa wollte Lehrer werden, dann kam ihm das Dichten dazwischen. Seit 2008 tritt er auf: Er tourt, er veranstaltet, er lehrt Poetry Slam an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Thomas Geyer erinnert sich an einen „denkwürdigen Auftritt mit der Blockflöte in Konstanz“. Ansonsten moderiert er und bereitet Dichtern den Weg: Seit Jahrzehnten ist er in der Szene der Sprachkünstler unterwegs, veranstaltet die Slams in der Rosenau und im Keller Klub, den jährlichen Open Air Slam und lässt Tote wiederauferstehen. Bei Dead or Alive wetteifern lebendige Slam Poeten mit toten Dichtern, die von Schauspielern verkörpert werden. Der Gewinner bekommt eine Flasche Whisky.

Gorbunov ist Tontechniker, doch „hatte schon immer den Drang auf der Bühne zu stehen, das ist wie eine Krankheit, die einen nicht mehr loslässt“. Als junger Kerl war er lieber HipHopper, „dreckig und ehrlich“, von Slam Poetry hielt er nicht viel, „das fand ich nie authentisch, da gewinnen nur die Lustigen, der gut aussehende Lockenkopf aus Berlin“. Aber er stellte alsbald fest, man kann auch ohne Locken zu haben, Geschichten erzählen.

Aber ist es nicht wirklich so, dass immer die Possenreißer gewinnen, jene, die um Lacher buhlen a besten ankommen bei der Jury, die aus dem Publikum ausgewählt wird? Das provoziert Widerspruch. „Keineswegs“, sagen die drei unisono. „Natürlich gibt es die, die auf lustig, lustig setzen“, sagt Hanz, „aber es gibt ganz ernste Slampoeten, es gibt Lyriker, es gibt die, die bewusst mit den Erwartungen brechen, da ist alles dabei.“ So habe es Tobias Grahlke aus Ostfildern mit seinen Gedanken über den Verlust der Sprachfähigkeit „in Versen“ ins Halbfinale in Dresden gebracht. Und den Teamwettbewerb gewann das Team Scheller, dass sich die Frage stellte: Wer bin ich?

Es ist schon erstaunlich, da treten Leute auf die Bühne, tragen Selbsterdachtes, Selbstgedichtetes, Selbstgereimtes, Selbstgeschriebenes vor, ohne Hilfsmittel, da sind nur sie selbst und das Wort, und Hunderte schauen zu. Eigentlich ist das eine altertümliche Form der Unterhaltung, sie dürfte gar nicht funktionieren, glaubt man Experten, die alles zur Show aufmotzen und aufjazzen. Doch es funktioniert, die Slams in der Stadt sind zumeist ausverkauft. Warum? „Jeder kann mitmachen, es ist offen für jeden, man braucht nur Mut und Ideen“, sagt Geyer, „und die Texte sind immer aktuell, das ist anders als bei einem Bühnenprogramm, mit dem man ein Jahr lang tourt.“ Gorbunov ergänzt: „Sie funktioniert nur live, du musst dabei sein, das mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören, es ist die unmittelbarste Kleinkunst.“ Das Fernsehen kann damit wenig anfangen: „Das hat uns vor einem Ausverkauf wie die Stand-Up-Comedy-Szene bewahrt.“ Gut, manche Slam Poeten können von ihrer Wortkunst leben, manche haben sogar Karriere gemacht wie der Schwabe Marc-Uwe Kling mit seinen Geschichten vom Känguru.

Doch für die meisten ist es Hobby, aber für alle Leidenschaft. „Wir wollen junge Leute für Poesie begeistern“, sagt Gorbunov. Die Veranstaltung 2004 habe weit ausgestrahlt. „Wenn die Meisterschaft wieder in der Stadt Kreise zieht, sind wir glücklich.“ Da sind sie sendungsbewusst. Sie wollen ihr Glaubensbekenntnis anderen vermitteln: Am Anfang war das Wort. Und mittendrin. Und am Ende.