Severin Freund muss auf der Schanze noch ein, zwei Fehler abstellen. Foto: dpa

Am Freitag findet in Oberstdorf der Auftakt der Vierschanzentournee statt. Die größten Chancen aus deutscher Sicht werden dabei Severin Freund eingeräumt.

Oberstdorf - Wer einmal auf einer Skisprungschanze gestanden ist, der muss sich um die Selbstsicherheit der Protagonisten im Grunde keine Sorgen machen. Denn: Wer sich nicht sicher ist, springt da nicht runter. Doch es gibt auch die Begegnungen mit den Helden der Lüfte abseits der Schanze – und da fällt es mitunter schwer, das ganz große Selbstvertrauen auszumachen.

Skispringer sind hagere Typen, oft auch nicht groß gewachsen. Und meist ziert eine Kappe ihren Kopf, deren Größe den Körper darunter noch schmaler aussehen lässt. Also: Kann so einer selbstsicher sein? Und: Kann dieser Typ mit der rosa Kappe selbstsicher sein, der einiges hat mitmachen müssen in den vergangenen Monaten? Werner Schuster meint: ja. „Das Grundvertrauen in sein Sprungsystem lässt er sich nie nehmen“, sagt der Cheftrainer der deutschen Skispringer – und spricht dabei über seinen Besten. Über Severin Freund.

Langeweile auf der Couch

Um der Situation gerechter zu werden, muss man die generell gültige Beschreibung des Bayern allerdings ein wenig anpassen. Gemessen an Potenzial und bisherigen Erfolgen ist Severin Freund tatsächlich der stärkste deutsche Skispringer. Weltmeistertitel (2015), Team-Olympiasieg (2014) und der Triumph im Gesamtweltcup (2014/15) dienen als Belege. Derzeit allerdings ist Freund derjenige, der auf dem Weg ist, wieder der Beste zu werden. Es ist kein leichter Weg. „Die zäheste Zeit war die auf der Couch“, sagt der 28-Jährige, der sich im Frühjahr einer Hüftoperation unterziehen musste und danach erstmal zur Untätigkeit verdammt war. Diese Zeit ist zwar Monate her, doch nun, da an diesem Donnerstag die 65. Vierschanzentournee mit der Qualifikation in Oberstdorf beginnt, sind die Folgen noch immer spürbar. „Die Sprünge, die andere im Sommer mehr gemacht haben als ich, kann ich nicht herzaubern“, sagt Freund am Tag vor dem Tournee-Auftakt und blickt nachdenklich. Anders als in den vergangenen Jahren kämpft er nicht um den Sieg – sondern um Anschluss. Oder etwa nicht?

„Ich würde ihn auch nicht abschreiben“, sagt Trainer Schuster und macht sich, seinem Schützling und den zahlreichen deutschen Skisprungfans ein wenig Hoffnung: „Da kann schon noch was kommen.“ Der Coach hofft auf „den Effekt der Pause“. Soll heißen: Nach der ersten Phase des Weltcups, dem steten Athletiktraining und den Trainingssprüngen vor den Feiertagen in Oberstdorf hat der Körper in der Weihnachtspause die Möglichkeit gehabt, bei ein wenig Regeneration sich auf ein neues Niveau zu hieven. Severin Freund dagegen setzt vor allem auf die Einheiten vor der Ruhephase. „Mir hilft jeder Sprung“, sagt er und betont: „Es geht um das Gefühl.“ Und vor allem um zwei Fehler, die es abzustellen gilt, will der Topmann zu seinen gewohnten Konkurrenten (Domen und Peter Prevc, Daniel Andre Tande, Kamil Stoch, Stefan Kraft) aufschließen.

Freund muss zwei Fehler bekämpfen

Freunds Absprung am Schanzentisch beschreibt Schuster als zu aggressiv, dadurch fehle seinem Schützling die nötige Höhe. Im Laufe des Fluges mangele es zudem an einer sauberen Skiführung. Das Problem: Das eine bedingt meist das andere, Freund muss also gleich zwei Fehlerbilder gleichzeitig bekämpfen. Nur gut also, dass ihm sein Charakter dabei hilft.

„Ungeduld gibt es bei Severin nur ganz selten“, sagt Schuster, vielmehr hat der Trainer auch in der schwierigen Comebackphase die positiven Eigenschaften des Wahl-Münchners erkannt: „Wenn etwas mal nicht gelingt, widmet er sich sehr schnell einer konstruktiven Lösung.“ Die großen Emotionen überlässt Severin Freund lieber anderen.

So hat er den überraschenden Sieg im zweiten Springen der Saison im finnischen Kuusamo nicht überbewertet. So hat er sich aber auch von Rückschlägen wie in Lillehammer nicht runterziehen lassen. Und auch der Erinnerung an seinen emotionalen Erfolg beim Tournee-Auftaktspringen vor einem Jahr will er nicht mehr Raum geben als nötig. Lieber sagt er vor dem Tourneestart: „Mein Fokus liegt auf einem nachhaltigen Formaufbau.“

Ist das nun ein Zeichen von Zurückhaltung? Ein Zeichen des Zauderns? Oder lediglich ein Indiz für Rationalität, die so typisch ist für Severin Freund? Schwer zu sagen. Der Mann ist schließlich Skispringer – doch unter der großen Kappe wurde schon wieder ganz schön oft gegrinst.