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Im Ausland erfolgreiche Bands wie Rammstein, Kraftwerk, die Scorpions und Tokio Hotel vermitteln ein verzerrtes Bild der Deutschen.

Stuttgart - Leben im Land, das einst als das der Dichter und Denker galt, noch echte Menschen? Wer Deutschland nach den im Ausland beliebtesten Rockbands beurteilt, dürfte zweifeln. Rammstein, Kraftwerk, die Scorpions und Tokio Hotel vermitteln ein verzerrtes Bild der Deutschen.

In dem traurigen Lied "1928" beschreibt Ludwig Hirsch eine Verwechslung: Aliens landen auf der postapokalyptischen verlassenen Erde, sehen einen Micky-Maus-Film und glauben, dieser zeige die früheren Erdbewohner: "Sie waren lustig, diese Menschen, sie haben lustig ausgesehen, sie haben lustig gesprochen", lässt Hirsch die Außerirdischen irren.

Einem ähnlichem Irrtum können jene erliegen, die Deutschland nur aus der Rockmusik kennen. Die im Ausland erfolgreichsten deutschen Bands Rammstein, Kraftwerk, Scorpions und Tokio Hotel - erwecken den Eindruck, dass Deutsche zum Grotesken neigen, mit Monstern und Maschinen mehr Ähnlichkeit haben als mit echten Menschen.

Es soll ja in entlegenen Ecken der Vereinigten Staaten von Amerika Menschen geben, die glauben, dass in Deutschland immer noch Adolf Hitler an der Macht ist. Eine Band wie Rammstein dürfte jene Hinterwäldler in ihrem Irrglauben bestärken: Gerieren sich doch die Mitglieder der Berliner Band, die am Samstag in der ausverkauften Schleyerhalle auftritt, als teutonische Berserker, karikieren mit rollendem R, finsteren Minen und faschistoiden Posen das Bild des hässlichen Deutschen und bedienen in ihrer Single "Pussy" fleißig-obszön Klischees: "Schönes Fräulein, Lust auf mehr / Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr / Schnaps im Kopf, du holde Braut / Steck Bratwurst in dein Sauerkraut". Die Industrial-Rocker, die natürlich keine Nazis, sondern eher provozierendes Gesamtkunstwerk sind, haben vor allem in den USA Erfolg und dürften derzeit mehr als jede andere Band das Bild der Deutschen im Ausland prägen.

Zuvor waren dafür Kraftwerk zuständig. Das vor 30 Jahren gegründete Projekt von Elektro-Avantgardist Ralf Hütter darf noch heute als der Taktgeber des modernen Pop gelten. Nicht nur Kraftwerks Stil- und Genrevorgaben sind nach wie vor gültig, sondern auch die Selbstinszenierung als Mensch-Maschinen. Welchen Eindruck diese gefühlskalte Automatenästhetik aus Deutschland im Rest der Welt hinterlassen hat, lässt sich bis zum US-Film "The Big Lebowski" zurückverfolgen, in dem nihilistische Kraftwerk-Epigonen, die sich Autobahn nennen, dem Dude (Jeff Bridges) das Leben schwermachen.

Rammstein mutieren zu gothischen Monsterkreaturen, Kraftwerk verwandeln sich in Roboter, mal wird das Menschliche ins Fratzenhafte übersteigert, mal maschinell emotional sinnentleert. So unterschiedlich sich diese Bands musikalisch geben, so sehr gleichen sie sich darin, dass sie nur ein bizarr verzerrtes Menschenbild präsentieren. Und auch wenn sich die Scorpions, die seit einigen Jahrzehnten wacker die Außenminister des deutschen Hardrock spielen und in den USA genauso gefeiert werden wie in Japan (wie auf den legendären "Tokyo Tapes" von 1978 nachzuhören), nicht ganz so schrill präsentieren, kommt die Band über grobschlächtige Gefühlsimitate nie hinaus.

Während deutsche Bands, die in Deutschland selbst erfolgreich sind, gerne ihre Feinfühligkeit zur Schau stellen (von Ich + Ich bis Xavier Naidoo), zahlen sich im Ausland eher menschliche Entstellungen, martialische Posen und Verkleidungen aus. Das gilt auch für den neuesten Rockexportschlager aus Deutschland: Tokio Hotel, die inzwischen auch in Frankreich, Israel und den USA von Teenies angehimmelt werden, wirken in ihren ständig neuen Kostümierungen und emotionalen Übersteigungen fast ebenso entmenschlicht wie die Kraftwerk-Roboter und die Rammstein-Berserker. Folgerichtig heißt das aktuelle Album "Humanoid" - echte Menschen sehen eben anders aus.