Der türkische Justizminister Bozdag sparte nicht mit Kritik an den deutschen Behörden. Foto: AP

Nach dem Verbot der Veranstaltung mit dem türkischen Justizminister Bekir Bozdag hagelt es Vorwürfe aus Ankara gegen die Deutschen. Eine stabile Demokratie muss das aushalten, findet unser Kommentator Dieter Fuchs.

Stuttgart - Keine Frage – die Kommentare führender türkischer Regierungsvertreter aus den vergangenen Tagen sind schwer erträglich. Die Türkei als leuchtendes Beispiel demokratischer Perfektion hinzustellen, dem Deutschland nicht das Wasser reichen kann – da fiele einem angesichts der Zustände am Bosporus schon einiges ein. Andererseits sollten jene Auslassungen nicht dazu führen, mit Beleidigungen auf ähnlich niedrigem Niveau oder gar mit Verboten zu reagieren, die vor allem dem Bedürfnis nach Revanche folgen. Klar ist: Recep Tayyip Erdogan ist als Wahlkämpfer für sein Präsidialsystem in Deutschland nicht willkommen. Und das sollte die deutsche Regierung in gesetzten Worten auch klarmachen. Doch ein Auftrittsverbot für ihn und die Seinen würde unser Selbstverständnis einer liberalen Demokratie unglaubwürdig machen.

Von der Frage abgesehen, ob ein Einreiseverbot für ausländische Wahlkämpfer verfassungsgemäß wäre – welche Kriterien sollten denn dafür gelten? Wann wird eine Informationsveranstaltung zum Wahlkampf? An die Stelle von nachvollziehbaren Kriterien würde im Falle eines generellen Verbots Gesinnungsschnüffelei treten. Wohl aber ist es statthaft, eine Veranstaltung im Einzelfall zu verbieten. Die Stadt Gaggenau hat die Veranstaltung mit dem türkischen Justizminister untersagt, weil ihrer ursprünglichen Genehmigung eine unrealistische Beurteilung zugrunde lag. Verantwortlich dafür ist wohl der Veranstalter, der die Behörden schlecht informiert hat. Nur wenn die Kommunen in den Stand versetzt werden, den geordneten Ablauf einer Versammlung gewährleisten zu können, können sie die Versammlungsfreiheit garantieren.

Der Staat muss sich vorbereiten können

Wenn jetzt einige türkische Politiker von Doppelmoral angesichts der Kurdendemonstrationen in Deutschland sprechen, haben sie das deutsche System nicht verstanden. Eben weil Meinungs- und Versammlungsfreiheit so hohe Rechtsgüter sind, sollen politische Veranstaltungen stattfinden, auch wenn sie problematisch sind. Aber der Staat muss sich vorbereiten können. Deshalb finden sich bei manchen Demonstrationen mehr Polizisten als Teilnehmer. Weder die politische Haltung noch die Nationalität darf dabei eine Rolle spielen. Für jeden hier lebenden Bürger gilt das Grundgesetz. Die Idee, mit einem Verbot die Konflikte dieser Welt von Deutschland fernhalten zu können, ist mindestens naiv.

Wer einen Vermieter findet und wer die Gesetze sowie die Verfassung achtet, soll sich in Deutschland versammeln dürfen. Der Staat soll hinsehen, kontrollieren, wenn nötig kritisieren, aber nicht gleich verbieten. Dies muss auch gelten, wenn ein Veranstalter die Liberalität nutzt, die er selbst nicht gewährt. Grundwerte sind kein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Die Stärke einer liberalen Demokratie liegt nicht in Verboten, sondern im Vorbildcharakter. Stark sind wir, wenn wir zu unseren Prinzipien stehen, auch wenn sie uns schmerzen.