Die Kabarettistin Idil Baydar klagt als prollige Jilet Ayse allerlei Scheinheiligkeiten an. Foto: Veranstalter

Die Kabarettisten Ozan Akhan, Fatih Cevikkollu und Idil Baydar sind im Rahmen der Deutsch-Türkischen Kabarettwoche als „Comedy Orient Express“ im Renitenztheater aufgetreten. In der Türkei hätte man sie für ihre Frechheiten wohl inhaftiert.

Stuttgart - Im Rahmen der Deutsch-Türkischen Kabarettwochemachte am Freitag der „Comedy Orient Express“ im Renitenztheater Halt. Keine Sorge: Es kommen keine weiteren Wortspiele aus der Eisenbahnwelt. Die will man ja nicht mehr lesen, seit hunderte Journalisten sie überstrapazierten, nachdem die SPD durch einen neuen Lokführer beziehungsweise den „Schulz-Zug“ wiederbelebt wurde. Einen Führer, einen „Reis“, wie es auf Türkisch heißt, hat spätestens seit Sonntag auch die Türkei – und mit dem haben sich die Künstler während des vom deutsch-türkischen Forum mit organisierten Festivals häufig auseinandergesetzt. Erdogan hätte sie wohl alle verknackt.

Den „Comedy Orient Express“ lenkten Ozan Akhan, Fatih Cevikkollu und Idil Baydar. Akhan gab den Conférencier und trällerte ein paar mediokre Liedchen. Die beiden anderen setzten vor der Pause auf matte Witze, machten das aber in der zweiten Hälfte mit kritischem, angriffslustigem, großartigem Kabarett wett.

Es wäre den Künstlern ein Leichtes gewesen, lediglich auf Erdogan einzudreschen, also Populismus statt Kabarett zu betreiben. Doch nicht das plumpe Ausbuhen des türkischen Potentaten, sondern Überlegungen, wie es überhaupt so weit kommen konnte, dominierten die Vorträge. Gut so. Denn Dämonisierung nützt meist nur den angeblichen Dämonen.

Werte und Waffenlieferungen

Idil Baydar trat als Jilet Ayse auf. In dieser Rolle, also als prollige, vulgäre, aggressive, jogginghosentragende Neuköllnerin gewann sie im letzten Jahr den goldenen Stuttgarter Besen. Zwar ist‘s elendig anstrengend, dieser Figur zu lauschen, sie zu mögen, ja, schon ihr Anblick schmerzt. Aber wie Baydar der abschreckenden Hülle zum Trotz bedachte Analysen in wenige Sätze presst und präsentiert, das wiederum ist brillant. Gescholten wurde etwa die Scheinheiligkeit der deutschen Regierung, die zwar das Asylrecht hochhält, aber Flüchtlingsabkommen mit der Türkei schließt und dorthin auch noch Waffen liefert: „Wir wollen unsere Werte gar nicht umsetzen. Weil wir feige sind. Aber: Eierverstecken nur an Ostern!“

Fatih Cevikkollu, in Anzug und Sandalen, nahm sich der im Laufe des Festivals häufig aufgeworfenen Identitätsfrage an. Einem Deutschdeutschen im Publikum, der sich über diese Bezeichnung wunderte, machte er klar: „Was denkst du, was du bist? Bio-Deutsch? Das gibt es nicht. Wenn ich deutschtürkisch bin, dann bist du deutschdeutsch.“ Er habe Sprüche wie „Kümmre du dich um deinen Erdogan!“ satt und entgegnet: „Ich hab‘ genug zu tun mit meinem Kauder, meinem Dobrindt, meinem Seeopfer.“ Daran gemahnt die deutsch-türkische Kabarettwoche ebenfalls: Die Zeiten, in denen Deutschland ein Land der Müller, Schmidts und Hermänner war, sind längst und endgültig vorbei.

Zudem überzeugte Cevikkollu mit komischer Dialektik: „In der Türkei dürfen Frauen im öffentlichen Dienst Kopftuch tragen – hier nicht. Wer ist jetzt der Demokrat?“ Doch er konstatierte auch: „Mein Programm dürfte ich in der Türkei niemals spielen.“ Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit und die daraus resultierende offene Gesellschaft sind leider immer noch nicht selbstverständlich. Sebastian Weingarten, Intendant des Renitenztheaters, ging während der Deutsch-Türkischen Kabarettwoche täglich auf die Bühne und betonte das. Und er erinnerte in diesem Zuge immer wieder an den eingekerkerten Deniz Yücel.