Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan beim G-20-Gipfel in Hamburg Foto: AFP

Die Türkei und Deutschland sind dieser Tage auf Versöhnungskurs – während deutsche Staatsangehörige grundlos in türkischen Gefängnissen schmachten. Statt rotem Teppich für Erdogan sollte Berlin einen harten Kurs fahren, meint unser Kommentator Franz Feyder.

Stuttgart - Fanfare! Tusch! Alles wird gut! In diesem März treffen sich die Granden der EU in Brüssel mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Eine Begegnung, die nur folgerichtig ist, nachdem gerade erst im deutschen Innenministerium ranghohe türkische Beamte empfangen wurden, um über den „gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus“ zu sprechen. Und nachdem erst kürzlich der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu den geschäftsführenden deutschen Chefdiplomaten Sigmar Gabriel (SPD) in dessen Heimatstadt Goslar besucht hatte.

Das Duo Gabriel und Cavusoglu kam überein, die deutsch-türkischen Beziehungen wieder zu „normalisieren“. Ausgerechnet jener Mevlüt Cavusoglu, den hessische Ermittler vor anderthalb Jahren am Telefon belauschten, wie er – zusammen mit seinem Präsidenten Erdogan – „spontane Demonstrationen“ gegen die Armenien-Resolution organisierte. Der Bundestag – quasi Gabriels Arbeitgeber – hatte mit dieser Resolution die türkischen Massaker an den Armeniern zu Beginn des 20. Jahrhunderts verurteilt.

Deutsche Staatsbürger schmachten grundlos in türkischen Gefängnissen

Die Verstrickungen gehen noch weiter: Erdogan wusste seinen Jugendfreund Metin Külünk, einen Abgeordneten der regierenden AKP, monatelang in Deutschland. Dieser versorgte die rockerähnliche Gruppierung Osmanen Germania Boxclub mit türkischem Geld für Waffenkäufe. Er ließ die Osmanen gegen den unliebsamen Beschluss des deutschen Parlaments vor dem Brandenburger Tor aufmarschieren. Und Külünk schmiedete eine unheilige Allianz zwischen türkisch-stämmigen organisierten Kriminellen, regierungsnahen Lobbyvereinen und dem türkischen Geheimdienst MIT, um in Deutschland Erdogan-Kritiker – unter ihnen deutsche Spitzenpolitiker wie Cem Özdemir und Sevim Dagdelen – und Kurden in die Mangel zu nehmen.

Die Liste lässt sich fortschreiben: Immer noch schmachten deutsche Staatsbürger grundlos in türkischen Gefängnissen. Dem Journalisten Deniz Yücel wurde noch nicht einmal mitgeteilt, warum er eingesperrt ist – seit fast einem Jahr.

Jegliche Kooperation muss gestoppt werden

Normalisierung also des deutsch-türkischen Verhältnisses? Terrorismus, so definieren es Politikwissenschaftler weltweit, seien „Einstellungen und Verhaltensweisen, die darauf abzielen, politische Ziele durch Terror – also die Verbreitung von Angst und Schrecken – durchzusetzen“. Dazu ist die Bewaffnung von Schlägertrupps ebenso geeignet wie die Aufforderung führender Mitglieder des Erdogan-Lobbyvereins Union der Europäisch-Türkischen Demokraten (UETD), Strafanzeigen zu stellen gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann nach dessen Schmähgedicht gegen den Präsidenten. Praktischerweise lieferte ein Vorstandsmitglied dann auch gleich eine Formulierungshilfe, die offenbar reißenden Absatz fand.

Eine Normalisierung des deutsch-türkischen Verhältnisses kann also nur auf Grundlage dessen geschehen, was derzeit ist. Das heißt: Zugeständnisse erst, wenn alle Deutschen in der Türkei frei und die Netzwerke in Deutschland offengelegt sind. Daran muss sich die deutsche Außenpolitik orientieren. Ihre Antwort kann nicht sein, „im Einzelfall Waffenlieferungen und Rüstungszusammenarbeit“ zu prüfen, wie es das Wirtschaftsministerium will. Die Antwort muss sein, mit Ausnahme humanitärer Kooperation jegliche Zusammenarbeit zu stoppen – sofort. In diesen Tagen und Monaten sind nicht roter Teppich und Ehrengarde für Erdogan gefordert, sondern klare, unverhandelbare Positionen. Eiserner Handschuh. Sonst wird nichts gut – weder im deutsch-türkischen noch im europäisch-türkischen Verhältnis.

franz.feyder@stuttgarter-nachrichten.de