Die Kirchheimer Ärzte haben den Hinweis am Empfang ihrer Praxis entfernt, der darauf aufmerksam machte, dass nur Patienten mit deutschen Sprachkenntnissen behandelt werden.
Das Schild ist weg. „Wegen des ausgeprägten Medienrummels haben wir uns dazu entschlossen, das Schild zu entfernen“, sagt der Kinder- und Jugendarzt Stefan Gaißer. Zusammen mit seinem Kollegen Ulrich Kuhn hatte Gaißer bis vor wenigen Tagen am Empfang der Praxis in Kirchheim unter Teck (Kreis Esslingen) ein Schild platziert, das bundesweit Aufmerksamkeit erregt hatte. Zu lesen war da: „Wir sprechen hier in der Praxis ausschließlich Deutsch! Sollte eine Kommunikation aufgrund fehlender deutscher Sprachkenntnisse nicht möglich sein und auch kein Dolmetscher persönlich anwesend sein, müssen wir eine Behandlung – außer in Notfällen – zukünftig ablehnen.“
Die Meinungen dazu gingen weit auseinander. Ist das nun eine moderne Form von Rassismus? Oder ist es, wie Ulrich Kuhn beteuerte, eine „praxisorganisatorische Notwendigkeit“, um angesichts wachsender Patientenzahl mit mangelnden Sprachkenntnissen überhaupt noch der Patientenflut Herr werden zu können.
„Diese Sprachbarriere ist Realität“
Den Rassismus-Vorwurf haben beide Ärzte stets vehement zurückgewiesen. Das Problem trete doch nur deshalb auf, weil sie schon immer jedes Kind ohne Ansehen der Hautfarbe oder der Herkunft versorgt hätten – und das natürlich auch weiterhin tun würden. Vermehrt sei es in den vergangenen Jahren aber passiert, dass, so Kuhn, „Patienten einfach kommen und weder Eltern noch Kinder verstehen, was wir sagen“. Diese Sprachbarriere sei Realität – und mache die Behandlung der Kinder nahezu unmöglich.
Auch auf die Berichterstattung in unserer Zeitung hat es zahlreiche Reaktionen gegeben. Das Schild sei, so eine Leserin, „zutiefst diskriminierend und ein Bild für eine Handlung aus einer ,weißen’ Machtposition“. Es verkenne „jede strukturelle Ursache für das Problem der Sprachbarrieren, überlässt dessen Lösung den Betroffenen und benachteiligt hierbei deren Kinder“.
Arzt: Ohne Dolmetscher geht es nicht
Ganz anders beurteilt das Franz Thoren, der Vorsitzender des Vereins Augenhilfe Afrika. Seine Erfahrung in Kamerun sei, dass die Patienten zwar alle möglichen Stammessprachen sprechen, nur nicht die von den Augenärzten verstandenen Amtssprachen Französisch oder Englisch. Wenn ein Patient aber nicht verstehe, wie er nach seiner Operation die Nachsorge-Medikamente anzuwenden hat, sei eine nachhaltig sichere Behandlung, so Thoren, „schlicht und einfach nicht möglich. Ohne Dolmetscher geht es also nicht. Weder in Kamerun noch in Deutschland.“
Das meint auch Barbara Sabel, die Landesverbandsvorsitzende Baden-Württemberg des Bundesverbands der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ). Aus Sicht der professionellen Dolmetscher sei „vollkommen nachvollziehbar, dass die beiden Kirchheimer Ärzte sich zu einem solchen Vorgehen gezwungen sahen, um eine nicht adäquate oder gar falsche Behandlung aufgrund der Sprachbarriere oder einer nur rudimentären Kommunikation zu vermeiden.“ Das Problem sei aber noch größer. Denn selbst eine Übersetzung durch Angehörige – am problematischsten durch Kinder – oder durch eine App sei juristisch problematisch. Sabel: „Man befindet sich hier nicht nur in einer Grauzone, sondern in einer Schwarzzone.“
Dolmetschen sollte Kassenleistung werden
Die Lösung aus BDÜ-Sicht wäre es, das „Qualifizierte Dolmetschen im Gesundheitswesen“ zur Kassenleistung zu machen. Darin seien sich der BDÜ mit der Bundesärztekammer und der Bundespsychotherapeutenkammer einig. Sabel: „Das handhaben eigentlich alle klassischen Einwanderungsländer, auch die mit Englisch als Amtssprache, schon seit langem so.“ Da Gesundheit ein Menschenrecht ist, dessen Wahrung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei, müsste der Staat diese Leistung finanzieren. Zwar habe die aktuelle Bundesregierung versprochen, das Thema neu zu regeln. Sabel: „Passiert ist leider noch nichts.“
Auch das baden-württembergische Sozialministerium hat sich auf Anfrage mit dem Thema beschäftigt – und zum Vorgehen der Kinderärzte eine klare Position. Andere, ähnlich gelagerte Fälle seien dem Ministerium nicht bekannt. Das Ministerium betont aber, dass der ärztliche Sicherstellungsauftrag der Vertragsärzteschaft bis auf „jede einzelne Ärztin und jeden einzelnen Arzt“ durchgreife. Eine Sprecherin des Ministeriums betont: „Damit sind alle Patientinnen und Patienten zu versorgen, egal welcher Herkunft oder welcher Sprache sie mächtig sind.“
Bei Hinweisen muss die Kassenärztliche Vereinigung aktiv werden
Dass es wegen der mangelnden Sprachkenntnisse zu längeren Behandlungsdauern kommt, die sich nicht in der Vergütung abbildeten, sei dem Ministerium aber bekannt. Auch wisse man von Bitten von Kinderärzten an die Eltern, beim nächsten Termin einen Dolmetscher mitzubringen. Gebe es Hinweise, dass eine Praxis mit Kassenzulassung gesetzlich versicherten Patienten eine Behandlung verweigere, habe die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg die Aufgabe, diesen Meldungen nachzugehen und zu prüfen, ob ein Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten vorliege. Gegebenenfalls könne die KVBW disziplinarische Maßnahmen gegen die betroffenen Vertragsärzte verhängen.
Stefan Gaißer und Ulrich Kuhn jedenfalls sind vorerst bedient. Gaißer: „Falls wir es eines Tages doch für notwendig halten, das Schild wieder aufzustellen, werden wir es in jedem Fall auch in englischer Sprache tun.“
Das Dolmetscherproblem
Kosten
Wegen des fehlenden Rechtsanspruchs werden, so der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ), aktuell qualifizierte Dolmetscher von niedergelassenen Ärzten eigentlich nie und von Krankenhäusern nur selten in Anspruch genommen. Das Problem beim Dolmetschen durch Angehörige oder Laien: Niemand könne beurteilen, ob der dolmetschende Mensch über ausreichend Sprachkenntnisse im Deutschen oder der anderen Sprache verfüge.
Apps
Auch das Übersetzen mit Hilfe von Sprachprogrammen sei problematisch: Niemand könne beurteilen, ob die hinterlegte Datenbank genügend Fachvokabular zur menschlichen Gesundheit beinhalte und ob nicht etwa eine KI halluziniere, also ob die von der Maschine ausgespuckte Übersetzung überhaupt richtig ist. Fraglich sei auch, ob die hinterlegte Datenbank in einer seltenen Sprache überhaupt groß genug sei.