Lucy Thomas hier, Tanja Weihing dort: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Marc Biadacz ist Pate für junge Leute, die ein Jahr ins Ausland wollen. Die junge US-Amerikanerin aus Minnesota lebt zurzeit in Malmsheim, die Sindelfingerin war im Gegenzug ein Jahr lang in Kansas City. Beide haben was zu sagen.
Ein Jahr lang eine andere Perspektive einnehmen, eintauchen in eine völlig andere Welt: Diese Erfahrung verbindet Lucy Thomas und Tanja Weihing. Seit drei Monaten lebt die 15-jährige Lucy aus St. Paul im US-Staat Minnesota bei Familie Thiel in Malmsheim als deren viertes Kind, zwei eigene Töchter und ein Sohn gehören zur Familie. Und die Sindelfingerin Tanja Weihing ist im Sommer nach einem einjährigen Aufenthalt in Kansas City nach Deutschland zurückgekehrt.
Möglich gemacht hat diese Erfahrungen das Parlamentarische Patenschafts-Programm (PPP). Das gemeinsame Programm des Deutschen Bundestags und des US-Kongresses ermöglicht es jungen Amerikanern für ein Jahr in Deutschland zu leben und zur Schule zu gehen sowie jungen Deutschen, für zwölf Monate das Leben in den USA kennenzulernen. Etwa 300 deutsche Jugendliche und ebenso viele Amerikaner nutzten pro Jahr diese Möglichkeit, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Marc Biadacz.
Corona kam dazwischen
Er ist der Pate sowohl von Tanja als auch von Lucy. Bereits vor drei Jahren hatte sich Tanja Weihing bei ihm für einen Platz im PPP-Programm beworben. Sie war nicht die einzige. Überzeugt hat sie Biadacz mit ihrem „sehr guten Motivationsschreiben“ und im Bewerbungsgespräch. „Ich habe gemerkt, dass Tanja sehr interessiert dran ist, das Leben in den USA kennenzulernen.“ Außerdem war die damals 15-Jährige Realschülerin. Biadacz, der selbst zunächst die Realschule besucht hatte, ist überzeugt, dass man nicht nur Gymnasiasten unterstützen darf.
Also erhielt Tanja den Zuschlag. Doch dann kam Corona. Und Tanja Weihing konnte nicht reisen. Eine schwierige Situation war das für sie. Hatte sie doch gerade die Mittlere Reife geschafft und sich weder um einen Ausbildungs- noch Schulplatz gekümmert. Sie wollte ja nach Amerika. Zum Glück konnte sie dann doch noch einen Platz im Berufskolleg ergattern – und ihre USA-Reise ein Jahr später antreten. Bereut hat sie diese Entscheidung keine Minute. „Ich habe deutsche Kultur in die USA gebracht und die amerikanische mit nach Deutschland gebracht“, sagt sie. Mit ihrer amerikanischen Gastmutter hat sie schwäbische Spätzle gekocht und deutsche Weihnachtsgutsle gebacken.
Die kleine Gastschwester lernt Englisch
Auch Lucy Thomas bringt ihre kulturelle Identität in ihre Gastfamilie ein. „Wir haben ganz groß Thanksgiving gefeiert“, berichtet ihr Gastvater Renée Thiel. „Und dafür zwei Tage lang gebacken und gekocht“, ergänzt Lucy. Besonders froh über den Familienzuwachs ist die elfjährige Nele. „Lucy backt so gerne, genau wie ich“, schwärmt sie über ihre amerikanische Gastschwester. Auch ihr Englisch habe sich schon sehr verbessert, seit Lucy bei ihnen wohnt. Dabei spricht die Amerikanerin gut Deutsch. Das war es, was die Familie Thiel überzeugt hatte, sie aufzunehmen. „Wir haben uns Videos von drei Bewerberinnen angeschaut. Aber nur Lucy hat Deutsch gesprochen“, berichtet die 17-jährige Leonie. Sie muss für den amerikanischen Gast das größte Opfer bringen und ihr Zimmer mit der Gastschwester teilen. Damit aber kommen beide Mädchen gut zurecht.
Lucy besucht im Gymnasium Rutesheim die zehnte Klasse, Leonie ist in der elften. Es sei eine tolle Erfahrung, einen amerikanischen Gast zu beherbergen, sagt Renée Thiel. „Wir diskutieren auch viel über Politik“. Das kennt Lucy so nicht aus ihre Heimat. Aber ihr gefällt es, dass im Gemeinschaftskundeunterricht über die verschiedenen politischen Systeme diskutiert wird.
Studium in den USA
Auch Tanja Weihing hat in den USA die Erfahrung gemacht, dass Politik kein Gesprächsthema ist. Sie führt das darauf zurück, dass die Fronten in der amerikanischen Politik sehr verhärtet seien. „Demokraten und Republikaner haben so gut wie keinen Austausch. In Deutschland arbeiten Politiker aller Parteien zusammen.“ Dies bestätigt auch Marc Biadacz. „Ich streite mich im Bundestag mit den Abgeordneten der anderen Parteien. Aber danach gehen wir zusammen ein Bier trinken.“
Tanja Weihing hat in dem Jahr in den USA nicht nur ihr Englisch perfektioniert, sondern auch „eine zweite Familie gewonnen“. Und der nächste Trip ist schon geplant. Im Sommer fliegt die 18-Jährige erneut in die USA. Sie hat als gute Schwimmerin, die an ihrer amerikanischen Highschool Meistertitel geholt hatte, ein Stipendium für ein Psychologiestudium an einer amerikanischen Universität erhalten. Bevor sie sich in den Flieger setzt, geht es zunächst noch nach Berlin. Marc Biadacz hat sie und Lucy sowie deren Gastfamilie Thiele in den Bundestag eingeladen.
Lucys Appell
Eine dringende Bitte hat sie noch: „Es gibt zu wenig Gastfamilien, die bereit sind, amerikanische Schüler aufzunehmen. Wir brauchen mehr Familien wie die Thiels.“ Renée Thiel vermutet, dass es auch finanzielle Gründe sein könnten, die Familien von der Gastelternschaft abhalten. „Es wäre gut, wenn es dafür eine finanzielle Unterstützung geben würde.“ Marc Biadacz verspricht, dieses Anliegen mit nach Berlin zu nehmen.
Neuer Anlauf
PPP
Das Patenschafts-Programm gibt es für Schüler und Schülerinnen sowie für junge Berufstätige. Die Bewerbungsfrist für das kommende Jahr ist bereits abgelaufen. Für das Schuljahr 2024/2025 wird die Bewerbungsseite am 2. Mai 2023 freigeschaltet.
Infos
Weitere Informationen zum PPP und der Bewerbung gibt es online unter www.bundestag.de/ppp