Jakob absolviert eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann. Foto: privat

Christopher Goelz aus dem Kreis Göppingen hat nicht nur einen afrikanischen Flüchtling adoptiert, sondern auch in dessen Heimat bereits eine Schule gegründet.

Oberwälden - Wir schaffen das!“ Für diesen Satz und ihr später vielgescholtenes Willkommen beim Versuch, den hunderttausendfachen Zustrom von Flüchtlingen und Asylbewerbern zu bewältigen, hat Christopher Goelz die Bundeskanzlerin sehr bewundert. Er entspricht seiner Haltung: zupackende Menschlichkeit und Zuversicht ins eigene Handeln. Vor vier Jahren hat er den damals knapp 18-jährigen Yakhouba Soumah aus Guinea in Westafrika adoptiert. „Wir schaffen das“, kann seither auch als Motto für die nicht immer einfache Beziehung zwischen Vater und Sohn gelten. Eine Schulgründung und der Start eines Unternehmens in Jakobs Heimatstadt Kindia erlauben jetzt sogar die Wendung: „Haben wir geschafft“.

 

Ein großes Haus mit Garten und Bilderbuchblick in die Landschaft ist das neue Zuhause von Jakob. Hinter ihm liegen Kindheit und Jugend in einem Land, in dem 80 Prozent der Bevölkerung bitterarm sind. Er war kein Slumkind, aber er wollte raus, nach Europa, in ein besseres Leben, und machte sich auf die abenteuerliche 5000-Kilometer-Tour über Mali, durch die mörderische Wüste nach Libyen, auf die waghalsige Überfahrt nach Italien, immer wieder ausgeraubt, ständig in Lebensgefahr. Bis er in Rosenheim und schließlich in Göppingen landete. In der Flüchtlingsunterkunft.

„Ich wollte selbst etwas tun“

„Dieser Tag wird mein Leben verändern“, hatte Christopher Goelz ahnungsvoll am 9. Mai 2016 gewusst. An diesem Tag hatte der damals 50-jährige, der seit dem Tod der Mutter im letzten Jahr das Haus in Oberwälden mit seinem Bruder bewohnt, einen Termin mit dem Göppinger Jugendamt in der Flüchtlingsunterunterkunft. „Das Schicksal der Flüchtlinge war für mich durch die Bekanntschaft mit dem Pflegesohn von Nachbarn plötzlich greifbar geworden. Ich wollte selbst etwas tun und eine Patenschaft übernehmen“, erzählt Goelz.

In der Unterkunft sah er sich 15 Jugendlichen gegenüber, 14 bis 18 Jahre alt, nach bürokratischer Sprachregelung „Uma“ genannt, unbegleitete minderjährige Ausländer. Auf seine Frage, wer Interesse an einem Paten habe, seien sieben Hände hochgegangen, „Der Erste war Jakob, damals noch Yakhouba. Bauchgefühl und Herz haben für ihn entschieden. Er war dann jedes Wochenende bei uns, als Gast auch akzeptiert von Mutter und Bruder.“ Vor allem zur Oma, Goelz‘ Mutter, habe er ein liebevolles Verhältnis entwickelt und sie, als sie bettlägerig wurde, 18 Monate lang betreut.

„Asyl hätte Jakob nie bekommen, in Guinea herrschen weder Krieg noch Verfolgung“, war Goelz klar. „Er ist ein Wirtschaftsflüchtling“, sagt er unumwunden. „Aber wir Europäer machen doch die dortige Wirtschaft kaputt, zum Beispiel durch den Export von gebrauchten Textilien oder Hühnerabfall“, prangert er an. In Guinea verdiene der Landarbeiter 20 Cent in der Stunde: „Dass bei uns eine Mango oder Cashewnüsse so günstig und die Gewinnmargen so groß sind, geht auf deren Kosten.“

Eine Schule in Guinea gegründet

Nüchterner Verstand und Herzensbildung gehen bei Christopher Goelz, Waldorfschüler, studierter Maschinenbauer und als Energieberater selbstständig, offenbar eine glückliche Symbiose ein: „Ich will Visionen in die Tat umsetzen, und wenn Herz und Bauch Ja sagen, mach ich es.“ Genau so kam es zur Adoption: „Ich habe Jakob gefragt, was sein Traum sei. Und er antwortete, ohne nachzudenken: ‚Ich möchte immer leben mit dir, heute bist du für mich da und morgen bin ich für dich da, du bist nie mehr allein!‘ „Da habe‘ ich geschluckt“, bekennt Goelz. Er habe sich in seinem Entschluss auch nicht vom ursprünglichen Misstrauen der Familie beirren lassen. „Die Mutter in Guinea war einverstanden, im Februar 2017 wurde die Adoption beantragt, am 5. Mai 2017 wurde Jakob vor dem Familiengericht Göppingen mein Sohn, und am 9. Mai kam das Schreiben mit der Bestätigung. Am Jahrestag unserer ersten Begegnung.“

Zweimal waren Vater und Sohn mittlerweile in Guinea. „Es ist so schön, wieder die Familie und die Freunde zu sehen“, sagt Jakob in fast schon perfektem Deutsch in die Kamera. Und erklärt, umringt von Schulkindern, wie wichtig Bildung für das Fortkommen im Leben sei. Denn Goelz hat nicht nur den Verein Amis de Guinée, sondern auch gleich eine Schule gegründet, die noch in diesem Jahr für 750 Kinder erweitert wird, von Vorschulklassen bis zur Klasse 6. Eine Berufsschule für Kfz, Informatik und Umwelt soll einmal folgen. Jakob hat ihr den Namen von Oma Goelz, Selma, gegeben. „Für die Schulerweiterung haben wir mehrere zinslose Darlehen in Höhe von 65 000 Euro erhalten,“ erzählt er. Es ist eine Privatschule, die 50 Euro im Jahr kostet. Dafür wirbt Goelz um Patenschaften, kein Cent werde für Verwaltungskosten verwendet. Er denkt sogar an eine Universitätsgründung.

Es ist ein bisschen wie im Märchen

Obendrein ist dazu bereits der Grundstock für ein Unternehmen, die „Kindia-Fruit Company“, gelegt: eine Plantage, auf der unter anderem Zitrusfrüchte, Mangos und Avocados angebaut und geerntet werden, später vielleicht auch für den Export nach Europa. „Das machen wir ganz professionell“, hatte Goelz den Wunsch seines Sohnes nach einem Stück Land weiterentwickelt.

Es ist ein bisschen wie im Märchen vom armen Jungen, den eine gute Fee in einen Prinzen verwandelt hat: „Ich will meinem Sohn alle Wege für ein erfolgreiches und glückliches Leben ebnen“, sagt Goelz. „Natürlich ist das wie ein Sechser im Lotto, aber er muss selbst was draus machen.“ Gerade steht Jakob hinter der Wurst- und Fleischtheke im nahen Supermarkt, wo er eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann absolviert. Die Kunden mögen den jungen Mann, der so charmant lächeln kann, der Chef verfolgt seine Fortschritte mit der manchmal nötigen Nachsicht.

Und wie geht es ihm selbst? „Ist schon okay“, sagt Jakob. „Er lässt seine Gefühle kaum raus“, kommentiert Goelz die verhaltene Äußerung. Und verschweigt nicht, dass es manchmal heftig knirsche in der Vater-Sohn-Beziehung: „Wir haben gute Phasen und dann wieder schlechte.“ Dann rebelliere Jakob, fühle sich in seiner Freiheit eingeschränkt, maule über den „goldenen Käfig“. Die normale spätpubertäre Auflehnung eines Sohnes gegen den starken Vater oder ein Clash of Cultures? „Beides“, vermutet Goelz, „aber ich gebe nicht auf.“ Seinen Entschluss zur Adoption habe er noch keinen Moment bereut, seine Liebe zu Jakob sei bedingungslos.