Auch für Männer wird das Drunter immer wichtiger. Foto: dpa

Was tragen die Menschen unter Rock und Jeans? Wie viel sind ihnen Dessous wert? Ein Gespräch über Vorlieben und Trends mit Wäscheexpertin Silvia Jungbauer vom Wäscheverband Gesamtmasche.

Stuttgart - Die Zeiten, da Mama Unterwäsche für den Sohnemann gekauft hat, sind vorbei – auch weil sich Rollenbilder ändern, sagt Silvia Jungbauer vom Wäscheverband Gesamtmasche. Auch die öffentliche Diskussion um sexuelle Übergriffe wirkt sich auf die Unterwäsche-Branche aus.

Frau Jungbauer, als Hauptgeschäftsführerin des Wäscheverbands Gesamtmasche, der auch die Hersteller von Bodywear vertritt, mit seinen mehr als 180 Unternehmen sind Sie auch Fachfrau für Unterwäsche. Wird das Drunter immer wichtiger als das Drüber?

Unterwäsche hat es schwer auf dem Markt, grundsätzlich schwerer als Oberbekleidung. Denn die Menschen schauen zuerst danach, dass außen die Schale stimmt. Das, was darunter kommt und als letztes gesehen wird, hat für viele nicht den gleichen Stellenwert. Dennoch verzeichnet die Branche mit einem Umsatz von 3,2 Milliarden Euro seit Jahren ein leichtes Wachstum. Der Markt für Oberbekleidung hingegen geht zurück. Nicht, weil weniger gekauft wird, sondern weil günstigere Ware stärker gefragt ist.

Was verrät Unterwäsche über den Träger?

Das kann ein Psychologe wahrscheinlich besser beurteilen. Zumal die Grenze zwischen Unterwäsche und Oberbekleidung verschwimmt und in der Mode damit gespielt wird. Heute weiß man manchmal nicht mehr, ist das jetzt noch ein Unterhemd oder schon ein Shirt? Ich kann nur aus den Trends auf Vorlieben schließen. Und da zeigt sich, dass es eine neue Verbundenheit mit der Natur und Rückbesinnung auf natürliche Materialien gibt. Die Nachfrage nach Stoffen mit einem Fasermix - etwa aus Baumwolle mit Viskose oder Modal - steigt. Ein Hemdchen aus Baumwolle mit Elastan kann schlapprig werden und nimmt nicht so viel Feuchtigkeit auf bleibt beispielsweise besser in Form. Oft bietet sich eine Kombinationen an, damit die Wäsche auch bequem komfortabel ist.

Wem ist Unterwäsche mehr Wert, Frauen oder Männern?

Frauen. Sie sind konsumfreudiger und modebewusster - und geben mehr für Dessous aus. Nach Angaben des Marktforschungsinstituts Euromonitor, mit dem wir zusammenarbeiten, sind es bei deutschen Frauen ab 15 Jahren im Schnitt knapp etwa 70 Euro pro Jahr. Das hängt aber auch damit zusammen, dass die Herstellung eines BHs aufwendiger und teurer ist als Unterwäsche für Männer. Der deutsche Durchschnittsmann zahlt für sein Darunter pro Jahr gut 38 Euro.

Männern ist also egal, was sie unter der Jeans tragen?

Nein, keineswegs. Wir stellen fest, dass gerade junge Männer – und zwar nicht nur die jungen – modebewusster sind als früher sind und Wert auf Qualität legen. Das ist zwar immer auch eine Frage des Einkommens, aber es ist ein Bewusstsein dafür da. Männer kaufen ihre Unterwäsche inzwischen häufig selbst - und lassen sie sich nicht mehr von Mama, Frau oder der Freundin schenken. Frauen haben sich lange um die Wäsche gekümmert, doch die Rollenbilder und das Rollenverständnis ändern sich.

Ist Feinripp noch in Mode?

Feinripp ist immer noch ein Klassiker. Wir merken in der Branche aber, dass Männer verstärkt zu Unterhemden und Unterhosen greifen, die aus einer Fasermischung bestehen, die sich glatt und angenehm, fast schon seidig anfühlt. Sie wollen Unterwäsche, die chic und gut zu tragen ist.

Knapp 70 Euro im Jahr für Unterwäsche - klingt nicht danach, dass Frauen bei Dessous die Spendierhosen anhaben.

70 Euro sind nicht besonders viel. Im Ausland sieht das anders aus, da greifen die Frauen tiefer ins Portemonnaie. Spitzenreiter sind die Vereinigten Arabischen Emirate mit im Schnitt 113 Euro pro Jahr, gefolgt von Norwegen mit rund 109 Euro und Großbritannien mit 98 Euro. In den USA, einem der wichtigsten und größten Märkte, zahlen Frauen fast 82 Euro.

Wie erklärt sich die Spitzenposition der Vereinigten Arabischen Emirate, in denen viele Frauen verhüllen und oftmals nicht mal ihre Kleidung zu sehen ist?

Die Emiratis sind sehr modebewusst und haben relativ hohe Einkommen. Auch wenn viele Frauen sich noch traditionell kleiden, wird, gerade in Dubai, auch westliche Mode toleriert, insbesondere im privaten Raum. Oft tragen Frauen westliche Kleidung unter ihrer Abaya, einem weiten Übergewand. Zu den zahlungskräftigen Einheimischen kommen zig Millionen Touristen pro Jahr, die in den über 100 luxuriösen Einkaufs-Malls ein breites Markenangebot finden. Längst hat Dubai seine eigenen Fashion Week und lockt mit Shopping-Festivals.

Das US-Wäsche-Label Victoria’s Secret galt lange Zeit als das Maß aller Dinge in der Branche und fast jeder kennt die Models, die mit Engelsflügeln und diamantenbesetzter Reizwäsche auf den pompösen Schauen zu sehen waren. Jetzt liegt die Ware wie Blei in den Regalen und Geschäfte sollen geschlossen werden. Wie kam es soweit?

Das Konzept hat sich überlebt, Victoria’s Secret hat den Zeitgeist verpasst. Frauen wollen immer noch schön und sexy sein, sich aber nicht vorschreiben lassen, wie ihre Maße auszusehen haben und irgendeinem Ideal hinterherrennen. Zudem ist mit dem „Athleisure“-Trend die Nachfrage nach schlichterer, bequemer und sportlicher Unterwäsche stark gestiegen. Das Segment ist eines der wachstumsstärksten in der Modebranche.

Hat dies auch mit der „#MeToo-Debatte“ und der öffentlichen Diskussion über sexuelle Übergriffe zu tun?

Die Debatte wirkt sich auf viele Bereiche und vor allem die Modebranche aus. Und sie zeigt, was passieren kann, wenn Frauen nur als Püppchen dargestellt werden. Die Konkurrenz setzt inzwischen auch auf Frauen mit durchschnittlichen, natürlichen Körpermaßen und Nicht-Models.

Wie sieht es in Deutschland aus, mögen es die Frauen drunter auch bequem und leger?

Auch in Deutschland wollen Frauen komfortable Unterwäsche, oft aus einer Naturfasermischung, die sie nicht einschnürt oder schwitzen lässt und gleichzeitig gut aussieht. Spitzendessous werden etwas weniger gekauft, aber Spitze ist auch ein Geschmacksfrage. Zumal ästhetisch und bequem längst kein Gegensatz mehr ist. Heute haben wir die große Freiheit, mit diesen Gegensätzen zu spielen, Materialien, Farben und Muster zu kombinieren.

Wie viel „Made in Germany“ steckt noch in Unterwäsche aus Deutschland?

Noch jede Menge. Genau beziffern kann man das zwar nicht. Doch die Unternehmen produzieren noch viel selbst an ihren Standort und stellen etwa die viele ihrer Stoffe und Garne noch selbst her und verwenden Garn aus deutscher und europäischer Produktion.

Wie sehen die Trends für die Herbst-Winter-Saison aus?

Da dominieren natürliche Farben, die nicht so grell, sondern eher gedeckt sind - Pastellfarben und Grüntöne. Natürlich wird es auch farbige Prunkstücke in Lila, Dunkelrot oder Petrol geben, die schon am Ladeneingang alle Blicke auf sich ziehen.