Türgriffe sind ein Gebrauchsgegenstand, den man täglich in die Hand nimmt. Sie sind aber auch ein beliebtes Designobjekt unter Architekten. Denn schließlich sollen sie nicht nur funktionieren, sondern auch gut aussehen. Ein Überblick.
Stuttgart - Der Mantel sitzt perfekt, der Wollstoff hat eine angenehme Haptik, das zarte Beige harmoniert mit dem Hautton. Und doch stört etwas den Gesamteindruck. Die Knöpfe sind’s. Braunes Plastik mit einem dicken Wulst am Rand und viel zu dominanten Löchern. Manchmal kommt es eben auf Details an. Bei der Kleidung sowieso, aber auch beim Wohnen.
Wenn im stilvollen Altbau eine unschön proportionierte Messingklinke mit Pseudo-Patina und einer sinnlos verschnörkelten Rosette die Tür verunstaltet, macht auch das wohlproportionierte Designersofa nur noch halb so viel her. Es gilt dasselbe Prinzip wie beim Mantel: Kleinigkeiten können entscheidend sein.
Türgriffe fallen einem nicht gerade als Erstes ein, wenn man über Gebrauchsgegenstände als Designobjekte nachdenkt. Dabei sind sie schon lange Teil des Gesamtkunstwerks Architektur. Besonders im Jugendstil wurde jeder Griff wie ein Schmuckstück konzipiert, das den durchgestalteten Räumen noch den letzten Schliff verlieh. Spätestens das Bauhaus machte aber Schluss mit kunstvollen Gravuren im Metall und stilisierten Muscheln, die als Türgriff dienten.
Walter Gropius entwarf einen Griff im rechten Winkel
Funktional, begreifbar im Wortsinn und von allem unnützen Zierrat befreit, so sah die Klinke aus, die Walter Gropius für das Bauhaus in Dessau entworfen hat: Ein Griff im rechten Winkel, ein geschlossenes Rohr, das abrupt in einen quadratischen Drückerhals übergeht. Die Nachnutzung des Bauhauses hat auch den Türgriffen zugesetzt. Viele der Originale waren verschwunden, sind später aber in einem Kellerraum wieder aufgetaucht. Der „Gropius-Drücker“ hat nicht nur durch sein zeitweiliges Verschwinden Designgeschichte geschrieben.
Sehr viel radikaler als Gropius ist Ludwig Wittgenstein vorgegangen: Der Philosoph und Mathematiker hat sich auch als Architekt versucht und Mitte der 1920er Jahre das aus mehreren Kuben bestehende Palais Stonborough-Wittgenstein in Wien entworfen. Mitsamt einem Türdrücker, der an Minimalismus nicht zu übertreffen ist: ein Stahlstab mit einem Durchmesser von 17 Millimetern, der um exakt 90 Grad gebogen ist. „Erst die Anwendung macht den Stab zum Hebel“, meinte der große Denker dazu.
Auch der Hewi-Türgriff ist ein Designklassiker
Im Gebrauch hat so ein schlichter Stab allerdings seine Tücken: Wer zu schnell an einer offenen Tür mit einem solchen Griff vorbeiflitzt, kann mit der Kleidung hängen bleiben. Vielleicht ein Grund, warum die gute alte Hewi-Klinke aus Kunststoff auch heute noch beliebt ist: Zwar besteht auch sie aus einem in einem Guss detailfrei gebogenen Rohr, ganz wie der Wittgenstein’sche Hebel, doch der Hewi-Türgriff ist aus Kunststoff, viel dicker und macht am Ende eine Windung um die Ecke.
Daran kann sich nichts verfangen. Diese Hewi, Modell 111, ist mehr als 50 Jahre alt und hat einen großen Wiedererkennungseffekt. Auch ein Designklassiker, nur nicht puristisch, sondern eher gemütlich wie eine Cordhose.
Was haben David Chipperfield, Christoph Ingenhoven, Santiago Calatrava, Alvar Aalto oder Christoph Mäckler gemeinsam? Klar, alle sind große Architekten. Und sie haben alle schon ihre eigenen Türklinken entworfen. Viele der Fenstergriffe und Türdrückergarnituren aus der Hand der großen Baumeister werden von der Firma FSB hergestellt und verkauft.
Alle großen Architekten haben Türgriffe entworfen
Warum Türklinken seit jeher ein so beliebtes Designobjekt von Architekten sind, weiß Wolfgang Reul. Er ist bei der Firma Franz Schneider Brakel, kurz FSB, für die Architektenkommunikation zuständig. Für ihn liegen die Gründe zum einen in der langen Tradition, in die sich die Baumeister einreihen, wenn sie ihre eigene Klinke zeichnen und fertigen lassen. „Zudem ist die Türklinke der erste Gegenstand, den ein Besucher berührt – dementsprechend wichtig wird er genommen“, sagt Reul. Ob für den Privatgebrauch oder für eine gewerbliche Nutzung: Eine Klinke sollte etwas aushalten können und nicht nach einem Jahr anfangen zu wackeln.
Die Klinke muss angenehm in der Hand liegen
Was eine gute Klinke ausmacht, die nicht nur optisch etwas hermacht, sondern auch angenehm in der Hand liegt, darüber hat der Allgäuer Gestalter Otl Aicher ganz grundsätzlich nachgedacht. Seine „vier Gebote des Greifens“ aus dem Jahr 1985 besagen: Eine Klinke braucht eine Daumenbremse, eine Zeigefingerkuhle, eine Stütze für den Handballen und ein bestimmtes Greifvolumen, damit sie als angenehm empfunden wird.
Wittgensteins Stab ist in seiner Volumenlosigkeit davon weit entfernt, in der reduzierten Optik allerdings auch für Otl Aicher sinnbildlich: Das Logo, das er für FSB entworfen hat, sieht aus wie ein Piktogramm und ist nicht weit weg von dem Klinkenstab von Wittgenstein.
„Es gibt Klinken, in denen sich die gesamte Architektur ihres Entwerfers spiegelt und sie dadurch vervollständigt“, sagt Wolfgang Reul. Doch die Klinke neu erfinden, das sei kaum mehr möglich. Letztendlich geht es bei den Griffen, die Architekten für ihre eigenen Bauten entwerfen, um Modifikationen, um Varianten, die sich erst auf den zweiten Blick unterscheiden, weil die Proportionen doch ein klein wenig anders sind.
Griffe in Bronzeoptik liegen im Trend
Und natürlich sind es auch die Materialien, die Beschichtung und die Farbgebung, die eine Differenz herstellen. Griffe in Bronzeoptik stehen gerade hoch im Kurs, das ist der Eindruck, wenn man sich durch die Online-Portale der Hersteller klickt.
Selbstredend hat auch die Digitalisierung das Klinkenwesen verändert: Es gibt mittlerweile Klinken, die zwar immer noch wie eine Klinke aussehen, sich aber nur drücken lassen, wenn man vorher mit dem Smartphone Lichtsignale sendet. Handgreiflich werden muss man mit den Hightech-Klinken trotzdem noch.
Ob die Hand auf einer Klinke mit oder ohne ausgeprägter Zeigefingerkuhle landet, ob sich der Griff abflacht oder mit einem S-förmigen Schwung in die Kurve geht, ob er aus mattiertem oder glänzendem Edelstahl, aus Aluminium, Bronze oder Messing besteht, das sind dann die entscheidenden Kleinigkeiten. An der Tür lässt sich die Liebe zum Detail jedenfalls wortwörtlich begreifen.