Mit 90 kann man schon mal Zwischenbilanz ziehen. Die von Luigi Colani ist klar: „Ich bin verkannt!“ Foto: dpa

Schwer überschätzt oder leicht genial? Am Designer Luigi Colani schieden sich oft die Geister. Jetzt wird der kantige Meister der runden Form 90 Jahre alt. Und hat immer noch viel vor.

Karlsruhe - Da sitzt er in der Sonne, wirkt zart. Vor ihm steht eine Tasse Kaffee, die Zigarre zündet er sich fast trotzig an. Luigi Colani, der Mann mit dem einst rabenschwarzen Schnauzer und legendär hitzigen Temperament, sieht still und zerbrechlich aus. Der Rollstuhl ist auf der Terrasse eines Karlsruher Hotels diskret an einen anderen Tisch geschoben, als gehöre er nicht zu ihm. Der einstige Star-Designer, Starrkopf, Großsprecher, Motzer, Revoluzzer und Egomane feiert am 2. August seinen 90. Geburtstag. Ohne großen Bahnhof, ohne Leute, die Reden halten, ohne Party. Nur mit Frau und einem Schweizer Freund. „Party ist für Nichtse“, sagt er. Und Nichtse sind nichts für ihn.

Colanis war einmal Vorbild für Generationen junger Designer. Und auch sonst kennen ihn viele. Erinnern sich an seine spektakulären, futuristischen Entwürfe von Autos und Rennwagen mit geschwungenen Kotflügeln wie lässig nach hinten geworfenes Haar; von Riesenflugzeugen mit gebogenem Rundbug und Lastwagen mit delfinähnlichem Führerhaus.

Der Universaldesigner hat aber auch Möbel entworfen, Geschirr, Brillen, Kameras, Fernseher, Kleidung, Klos, Küchen. Was seine Entwürfe eint? Die runden, organischen Formen. Ecken und Kanten sind ihm verhasst, immer schon und heute noch. „Meine Welt ist rund“, sagt er.

Arrogant und laut

Mit manchen Ideen verdiente er viel Geld und erregte großes Aufsehen: Die ergonomisch geformte Spiegelreflexkamera Canon T90 nennt er sein vielleicht bestes Produkt. „Ich habe die Kamerawelt re-vo-lu-tio-niert“, ruft er aus, mit Betonung auf jeder Silbe. Für namhafte Möbelhersteller entwarf er Stühle und Tische; seine Brillen verkauften sich bestens. „Ich bin ein erfolgreiches Schwein und habe riesige Chancen gehabt“, sagt er.

Seine Entwürfe sind meist extravagant, mit großer Geste gezeichnet, mitunter genial, nicht immer praxistauglich. Er ist in den 70er und 80er Jahren zum Medienstar und Vermarkter in eigener Sache avanciert. Auf Schmähungen der Fachwelt hat er mit umso größerem Geltungsdrang reagiert - und einer gern zur Schau getragenen Arroganz. Laut und mit drastischen Worten hat er auf seinen Berufsstand geschimpft, sich gerne als Enfant terrible inszeniert. Heute klingt sein Zorn erschöpft.

Träume in der Schublade

Viele seiner Entwürfe - nach Colanis Angaben etwa 70 Prozent - blieben als Skizze in der Schublade, wurden nie mehr als ein Prototyp. Insgesamt beziffert er seine zu Papier gebrachten Ideen auf rund 4000 - „Entwürfe, aus denen gelegentlich Gegenstände wurden. Oder nur Träume“, erzählt er.

Überhaupt das Thema Traum und Wirklichkeit, Anspruch und Umsetzung: Colani hat bis heute hochfliegende Pläne. „Große Projekte“, wie er es nennt, die aber im Vagen bleiben und über die Jahre gestrandet sind – irgendwo im Nirwana abgesprungener Investoren, aus seiner Sicht spießiger Geschäftspartner, bockiger Stadtplaner, regelwütiger Behörden oder schlichter Ignoranten. Das Museum, das man ihm in Venedig bauen wollte? Das gibt es bis heute nicht. Sein Lebenswerk „Eco-City“, das er auf einer chinesischen Insel verwirklichen wollte? Auf Eis gelegt, weil die Chinesen dort alles verbaut hätten.

Nicht gescheitert, aber verkannt

Für Colani ist das kein Scheitern, sondern eher ein Kampf: „Ich bin denen immer zu sehr nach vorne gestürmt“, sagt er. „Colani war für seine Umgebung eine Nummer zu groß und dachte zu schnell und zu weit voraus“, heißt es in einem Aufsatz des Designers Peter Friedrich Stephan zum Schaffen Colanis. Aber inzwischen erkenne man den visionären Charakter so mancher seiner Vorschläge, sagt Stefan Legner, Mitarbeiter für Produktdesign an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung (HfG). Colani fasst das knapper zusammen: „Ich bin verkannt!“

Er hat in Japan gearbeitet und lebt seit mehr als 20 Jahren auch in China. Seinen Wohnsitz in Karlsruhe hat er aber behalten. Hier arbeitet er an neuen Aufträgen, über die er nichts Konkretes sagen dürfe. In China sitze er an „drei großen Projekten“: Zwei Wohnwagentypen sowie einem E-Auto. Die will er diesmal selbst produzieren. Was daraus wird, wird sich zeigen. Die Welt sei sowieso noch nicht bereit für ihn, erklärt er. „Ich muss auf sie warten.“

Über den Tod will er übrigens nicht sprechen. „Ich entstamme einer Familie von Hundertjährigen“, sagt er knapp. „Warum sollte man sich mit dem Sterben beschäftigen, wenn das Leben so viele Fragen stellt, die noch unbeantwortet sind?“