Der SC Paderborn, nach eigener Aussage „krassester Außenseiter der Bundesliga-Geschichte“, mischt die Bundesliga auf
Paderborn - „Paderborn im Rausch“, titeln die Nachrichtenagenturen. Der Fußball führt Begriffe zusammen, die im normalen Leben einen krassen Widerspruch bilden.
Wobei: Ist Paderborn, die 146 000-Einwohner-Stadt im Süden der Region Ostwestfalen-Lippe tatsächlich so tiefe Provinz, wie alle Schlaumeier seit dem Aufstieg des örtlichen Sportclubs in einer Mischung aus großstädtischer Hochnäsigkeit und stiller Bewunderung behaupten?
Die Antwort: Ja, Paderborn ist Provinz. Zumindest wenn man die Fußball-Bundesliga zum Maßstab nimmt. Daraus machen selbst Paderborner keinen Hehl. Sie kokettieren sogar damit. So war kurz vor Ende der vergangenen Zweitliga-Saison, als die Blau-Schwarzen in akuter Aufstiegsgefahr schwebten, auf einem Plakat zu lesen: „Bitte keine Relegation – da haben wir Schützenfest.“ Auch dass wegen Ruhestörung nach 22 Uhr kein Fußballspiel ausgetragen werden darf, gehört zu Paderborn dazu. Im Zweifel ist dem Westfalen die Ruhe in seinem Klinker wichtiger als die Bundesliga.
Gut, vielleicht sind die Anwohner spätestens seit Samstag vom Paderborner Fußball wenigstens ein bisschen berauscht. Dass der SCP nach vier Spieltagen von der Tabellenspitze der Bundesliga grüßt, hätten auch sie sich wohl nie träumen lassen. Der Aufsteiger mit dem kleinsten Etat (geschätzt: 17 Millionen Euro/zum Vergleich der VfB: 40 Millionen) fährt an diesem Dienstag (20 Uhr/Sky) als Spitzenreiter zum FC Bayern München!
„Nachdem wir letzte Saison gegen 1860 in die Allianz-Arena eingelaufen sind, haben wir gesagt: Wir kommen wieder, wenn das Stadion rot und voll ist“, sagte Trainer André Breitenreiter nach dem 2:0-Erfolg gegen Hannover 96. Die Partie gegen den Branchenprimus ist das i-Tüpfelchen auf eine bislang fabelhafte Saison. Vier Spiele, acht Punkte. Natürlich alles Punkte für den Klassenverbleib, wie Moritz Stoppelkamp nach dem Spiel betonte. Sein Wahnsinns-Tor aus 83 Metern zum 2:0 rundete den denkwürdigen Tag für die Ostwestfalen ab. Stoppelkamps Kommentar: „Ich wusste gar nicht, dass ich überhaupt so weit schießen kann.“
Manager Michael Born war ob Stoppelkamps grandioser Schusstechnik ebenfalls verblüfft. Dass die Mannschaft das Zeug für die Bundesliga hat, überrascht ihn indes nicht. Der Aufstieg sei kein Zufall gewesen, sondern das Ergebnis harter Arbeit, sagt Born in Richtung all jener, die so tun, als sei der Aufsteiger vom Himmel gefallen. Mit der Tabellenführung hat er freilich nicht gerechnet. Sein Vorschlag: „Die Tabelle kann man ausschneiden. Daraus kann der Fanshop eine schöne Tapete machen.“
Trainer Breitenreiter bleibt bei seiner Aussage, die er vor Saisonbeginn gemacht hat: „Wir sind der krasseste Außenseiter der Bundesliga-Geschichte.“ Tiefstapeln ist kein Fehler, wie ein Blick auf andere sensationell gestartete Aufsteiger beweist. Rot-Weiß Essen (1970/71) und Hansa Rostock (1991/92) standen nach vier Spieltagen ebenfalls ganz oben – und stiegen wieder ab. Vor zwei Jahren startete Fortuna Düsseldorf als Aufsteiger ebenfalls mit acht Punkten aus vier Spielen. Mit demselben Ende.
Falls es den kecken Neuling aus der Provinz am Ende doch erwischen sollte, würde die Welt in Ostwestfalen nicht untergehen. Die Anwohner hätten wieder ein bisschen mehr Ruhe – und das Schützenfest wieder mehr Aufmerksamkeit.