Auch der Waiblinger Dekan und Pfarrer Timmo Hertneck muss zurzeit den physischen Kontakt zu seinen Gemeindemitgliedern meiden. Foto: Gottfried Stoppel

Der Waiblinger Dekan Timmo Hertneck über Einschränkungen aber auch Tugenden, die die Coronakrise mit sich bringt und über die besondere Bedeutung von Ostern.

Waiblingen - Das Coronavirus erschwert das Verkünden der frohen Botschaft, doch lähme es die Gläubigen nicht. Im Gegenteil: „Die Kirchengemeinden sind quietschfidel“, sagt der Waiblinger Dekan Timmo Hertneck.

Herr Hertneck, ausgerechnet in einer Zeit, in der Trost und Hoffnung verkünden so wichtig wäre, müssen die Kirchen wegen Kontaktsperre geschlossen bleiben.

Die Michaelskirche ist offen! Wir haben zwar ein Versammlungsverbot, aber als Einzelne beten wir in der Kirche und zu Hause. Der Gottesdienst ist allerdings ins Private und ins Internet ausgewichen. Ich bin davon überzeugt, dass an Karfreitag und Ostern Zehntausende von Gebeten allein im Rems-Murr-Kreis gesprochen werden. Und so körperlich auch ich die Gemeinschaft in den festlichen Gottesdiensten vermisse, wahr ist auch: Das offene Grab wurde an Ostern von nur drei Frauen entdeckt. Jede einzelne von ihnen ist namentlich benannt. Nicht die Masse macht es. Der Einzelne ist wichtig.

Das Virus hat auch die Kirche erfasst?

Es hat uns erfasst, ja. Aber die Kirchengemeinden sind quietschfidel und liegen nicht auf der Intensivstation. Natürlich gibt es Stillstand in vielen Bereichen. Viele Gemeinden haben sich aber sofort auf die Suche nach neuen Wegen zu den Gemeindemitgliedern gemacht. Vieles, auch Bewährtes, haben wir neu entdeckt. So hat sich für mich der Telefonbesuch als „der Renner“ entpuppt. Ich möchte von einer Art Wiederentdeckung der Seelsorge in Briefen und Telefonaten sprechen.

Vieles hat sich ins Internet verlagert. Hat das Coronavirus eine Digitalisierung der Kirche beschleunigt?

Ja, das hat es sicherlich, auch wenn unser Kirchenbezirk in dem Bereich kirche-online schon zuvor gut aufgestellt war.

Ist das eine gute oder eine schlechte Tendenz?

Den Raum der neuen Medien verstehe ich als einen wirklichen Lebensraum vieler Menschen. Wir wollen dort genauso präsent sein, wie in den klassischen Medien. Wir wollen Begegnung mit Christen und Kirche ermöglichen, aber auch den Austausch von guten Ideen und Aktionen. Ziel ist eine digitale Gemeindearbeit als Teil der örtlichen Gemeindearbeit zu verankern. Das haben wir schon vor Corona gemacht, doch hat es jetzt noch einmal einen spürbaren Schub bekommen.

Die unmittelbare Begegnung kann das aber nicht ersetzen?

Nein, die persönliche Begegnung ist ganz wichtig. Ein sichtbares Zusammenwirken von digitaler und örtlicher Gemeindearbeit sehen wir ganz aktuell bei den Projekten „Waiblingen liefert“ oder „Fellbach liefert“. Dank der neuen Medien machen sich Ehrenamtliche auf den Weg und besuchen Menschen, um ihnen bei den Besorgungen zu helfen.

Spüren Sie in diesen besonderen Zeiten eine neue Sehnsucht nach Kirche und Glauben – oder ist das Gegenteil der Fall?

Die Nachfrage ist – Gott sei Dank – auch in guten Zeiten immer da. Aber ich spüre tatsächlich ein besonders ausgeprägtes Nachdenken, ein Tasten nach der Frage, was ist Leben und welche Rolle spielt Gott dabei. Viele sagen, die Welt sei nun anders. Das glaube ich nicht. Aber wir sehen jetzt klarer, wie die Welt ist. Die Offenbarung von Jesus Christus zeigt an Karfreitag und Ostern: Gott geht mit uns den ganzen Weg. Auch den Weg der nicht spaßig ist: den Weg durch Lebenskrisen und Krankheiten. An Ostern feiern wir den Durchbruch! Gott ist stärker als der Tod und wir singen das Christ ist erstanden.

Wie feien Sie selbst Ostern und was bedeutet es Ihnen privat?

Karfreitag und Ostern sind aufregend, immer sprühend und gleichzeitig herausfordernd für mein Denken und Fühlen. Natürlich bin ich da als Verkünder der frohen Botschaft gefragt. Große Glücksgefühle kommen bei mir aber auch beim Ostereiersuchen mit den Kindern und unseren vier Enkeln auf. Leider hat der Familienrat in Anbetracht der Lage mehrheitlich und vernünftigerweise beschlossen, dass wir dieses Jahr darauf verzichten. Also werden meine Frau und ich uns gegenseitig ein Osternest bereiten und verstecken.

In der Bibel finden sich immer wieder Seuchen, Plagen, Krankheiten, welche die Menschen heimsuchen – warum?

Die Interpretation von Krankheit ist ein großes Kapitel. Völlig falsch ist das Denken, dass es ein menschliches Leben ohne Leid und Schmerz und Krankheit geben könnte. Aus theologischer Sicht akzeptieren wir das und wissen uns im Leid und Schmerz und Krankheit von Gott getragen. Deshalb besuchen wir die Kranken, deshalb betreiben wir Krankenhäuser, pflegen wir, beten wir. Deshalb begleiten wir unsere Sterbenden und können unsere Lieben schließlich in Gottes Hand geben, wenn sie von uns gehen.

Haben Sie in schwierigen Zeiten eine frohe Botschaft?

Gehen sie am Sonntag auf Youtube oder Facebook. Geben Sie dann „Kirchenbezirk Waiblingen“ ein. Da entzünde ich die Osterkerze und singe das „Christ ist erstanden“. Ich weiß mich mit vielen Freunden, meiner ganzen Kirchengemeinde und der weltweiten Kirche verbunden.

Der Dekan und die Kirche an Ostern

Dekan
Timmo Hertneck ist seit sieben Jahren Dekan des Kirchenbezirks Waiblingen und damit für 24 Kirchengemeinden und rund 65 000 Gemeindeglieder verantwortlich. Der 61-Jährige ist verheiratet und hat drei Kinder.

Pfarrer
Als Pfarrer wirkt Hertneck in der Waiblinger Michaelskirche. Dort finden bis zum Ende der Osterferien vorerst keine Gottesdienste statt. Die Kirche ist allerdings auch tagsüber geöffnet und bietet Raum für Stille und Gebet. Hilfen für die häusliche Andacht können auf den Pfarrämtern erfragt werden.

Osterweg
„Machen Sie sich alleine, zu zweit oder mit Ihrer Familie auf den Weg. Sammeln Sie Eindrücke, Worte, Gegenstände aus der Natur – Sie sind dabei frei, alle Stationen zu machen oder sich nur auszuwählen, was Sie mögen.“ So laden die Kirchen zu individuellen Osterspaziergängen ein. Die Liturgien dafür liegen von Ostersamstag an vor den Kirchen zum Mitnehmen aus oder können im Internet heruntergeladen werden.

Online
Die Kirche bietet auf ihrer Facebookseite (Kirchenbezirk Waiblingen) täglich um 10 Uhr einen komprimierten Gottesdienst an. Am Ostersonntag predigt Timmo Hertneck aus dem Nonnenkirchlein. Das Programm der Waiblinger Kirchen zu Ostern findet man hier.