So wirbt die Stadt für die Beteiligung an der Kommunalwahl am 26. Mai. Die gleichzeitig stattfindende Europawahl findet auf den städtischen Plakaten leider keine Erwähnung. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

So umfangreich das Angebot an Gemeinderatskandidaten, so dürftig die Botschaften der Wahlplakate, findet Lokalchef Jan Sellner. Etwas konkreter sollte es schon werden. Und bitte Europa nicht vergessen.

Stuttgart - Seit dem Wochenende dürfen in der Landeshauptstadt Wahlplakate geklebt werden. Und sie werden geklebt! Massenweise. Und das, was man jetzt sieht, ist erst der Anfang. Weil jeder der 20 Parteien oder Listenvereinigungen, die am 26. Mai zur Kommunalwahl antreten, 2500 Plakate mit Kandidatenköpfen zustehen, werden in Kürze bis zu 50 000 Plakate in den 23 Stadtbezirken und 156 Stadtteilen Stuttgarts zu sehen sein. Auch wenn es nur in wenigen Fällen Starschnitte sind und es auch sonst nicht schön aussieht, gibt’s keinen Grund, sich darüber zu beklagen. Denn Wahlplakate sind der Schmuck der Demokratie. Je bunter und facettenreicher, umso besser.

Das gilt es vorwegzuschicken, ehe man näher betrachtet, was die Parteien und Listen den Wählern in Stuttgart plakativ anzubieten haben: In erster Linie natürlich Personen, 913 an der Zahl, die sich für die 60 zu vergebenden Plätze im Gemeinderat bewerben. Kommunalwahlen sind immer auch Persönlichkeitswahlen. Bewerber, die den Wählern besonders zusagen, können unabhängig von ihrem Listenplatz das Feld von hinten aufrollen; Das bürgernahe Mittel des Panaschierens und Kumulierens erlaubt es den Wählern bekanntlich, ihr favorisiertes Personaltableau aus dem vorhandenen Kandidaten-Pool selbst zusammenzustellen.

Stuttgart-Themen anschaulicher herausstellen

So umfangreich das Angebot an Kandidaten, so dürftig allerdings die Botschaften, die in Stuttgart großflächig ausgerollt und aufgehängt werden. Eine kleine Auswahl: „Wer Stuttgart liebt, macht es besser“, „Schnell und sicher ankommen“, „Durchstarten für Stuttgart“, „Auf gute Nachbarschaft“. Wissen Sie, welche Partei oder Liste da jeweils spricht? Die Zuordnung fällt schwer, sieht man von jenen Kandidaten ab, die die „Vernunft“ gegen Fahrverbote ins Feld führen oder gleich zur „Rebellion“ auffordern. Ansonsten viel Gleichklang und wenig Konkretes. Man wünschte sich, dass Themen anschaulicher herausgestellt würden, die in Stuttgart auf der Straße liegen: Wohnen Mobilität, Lebensqualität, Stadtklima, Kinderfreundlichkeit. Ganz konkret: Wie schaffen wir ein Marktplatz-Flair? Wie wird der Neckar erlebbar? Wie bewegen wir uns künftig in der Stadt? Wie wohnen wir? Natürlich sind Wahlplakate kein Wahlprogramm – die muss man mitlesen, um zu wissen, für was die Bewerber stehen. Ein Konzentrat der Stuttgart-Idee der jeweiligen Parteien und Listen sollten die Plakaten allerdings schon enthalten.

Am auffälligsten und am streitbarsten agiert die SPD. Sie ist mit provokativer Schwarzmalerei in den Wahlkampf gestartet. Ihr Frontalangriff auf den grünen Oberbürgermeister Fritz Kuhn verschafft ihr immerhin ein Alleinstellungsmerkmal. Ob die Wähler den aggressiven Stil honorieren werden, ist offen. Langeweile kann man ihr jedenfalls nicht vorwerfen.

Auch die Beteiligung an der Europawahl ist im eigenen Interesse

Bei alldem wird oft übersehen, dass am 26. Mai nicht nur die Stadträte und die Mitglieder des Regionalparlaments gewählt werden, sondern auch die Abgeordneten des Europaparlaments. Auf den überparteilichen Plakaten, mit denen die Stadtverwaltung die Bürger zur Stimmabgabe motivieren will („Meine Stimme für Stuttgart“), kommt Europa allerdings mit keinem Wort vor. Angesichts der sinkenden Wahlbeteiligung an Kommunalwahlen ist die Werbung in lokaler Sache zweifellos wichtig. In ureigenem Interesse ist jedoch auch eine aktive Bürgerbeteiligung an Europa. Wäre schön, das würde jemand auf Plakate schreiben und aufhängen. So prominent wie möglich.

jan.sellner@stzn.de