Karls Ende: Ein Diener identifiziert die Leiche des Herzogs von Burgund zwei Tage nach der Schlacht von Nancy. Foto: Wikipedia/gemeinfrei

Burgund war einst ein ernst zu nehmender Machtfaktor in Europa. Bis die Hybris Karls des Kühnen das Land in den Abgrund führt.

Dijon/Nancy - Lebend gesehen wird Karl der Kühne zum letzten Mal, als er mit dem Schwert wild um sich schlagend versucht, den Piken und Hellebarden seiner Feinde zu entkommen. Weit kommt er nicht. Sein Rappe scheut, Karl stürzt zu Boden, und ein Schweizer Söldner spaltet ihm mit der Streitaxt den Schädel. Die Leiche des Herzogs von Burgund wird erst zwei Tage nach der Schlacht von Nancy in einem zugefrorenen Weiher gefunden: nackt, von Wölfen angefressen, nur mühsam identifiziert von einem seiner Pagen.

 

„Die Geschichte lehrt, dass Herrscher mit maßlosen Ambitionen eines Tages zwangsläufig untergehen. Die Frage ist nur, wann“, schreibt Bart van Loo in seinem Buch „Burgund. Das verschwundene Reich“. Karl muss den Preis für seine Hybris sehr schnell bezahlen. In einem Jahr und drei Schlachten verspielt er, was seine Vorgänger innerhalb eines Jahrhunderts mit viel Geschick und Skrupellosigkeit aufgebaut hatten. Dem Historiker Christoph Driessen gilt er als „Paradebeispiel eines Herrschers, der sich binnen kürzester Zeit durch übersteigerten Ehrgeiz um ein großes Reich und noch dazu um Kopf und Kragen bringt“.

Auf dem Höhepunkt reicht Burgund von der Rhone bis zur Nordsee

Denn am 5. Januar 1477 wird nicht nur der letzte Herzog der Linie Valois-Burgund im dichten Schneetreiben von einem einfachen Bergbauern erschlagen. Vor Nancy endet auch der rasante Aufstieg eines kleinen, unbedeutenden Herzogtums zu einem ernst zu nehmenden Machtfaktor im Hauen und Stechen des 14. und 15. Jahrhunderts, verschwindet ein Land, das am Ende seiner kurzen Blüte von der Rhone bis zur Nordsee reicht.

Begonnen hatte der Aufstieg mit Philipp dem Kühnen (1342–1404). Von seinem Vater, dem französischen König Johann der Gute, erhält er das Herzogtum Burgund zum Lehen. Seine Heirat mit Margarete von Flandern beschert ihm florierende Städte wie Gent, Brügge oder Ypern, die durch den Tuchhandel reich geworden sind. In Verbindung mit einer effizienten Verwaltung und einer modernen Armee gute Voraussetzungen, um im Kampf um Macht und Einfluss kräftig mitzumischen.

Der burgundische Hof gilt als Inbegriff abendländischer Kultur

Philipps Nachfolger Johann Ohnefurcht (1371–1419) und Philipp der Gute (1396–1467) lavieren geschickt zwischen Frankreich und England, die sich gerade im Hundertjährigen Krieg zerfleischen. So etabliert sich, eingeklemmt zwischen dem Heiligen Römischen Reich im Osten und Frankreich im Westen, in der Mitte Europas ein neues Machtzentrum. Der Hof Burgunds gilt bald als Inbegriff abendländischer Kultur, auch das Spanische Hofzeremoniell geht auf ihn zurück.

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Der Pomp, den die Burgunder pflegen, hat allein ein Ziel: Alle Welt soll sehen, dass Burgund mehr ist als nur ein kleines Herzogtum. 1475 bringt Karl der Kühne Lothringen unter seine Kontrolle und verbindet damit erstmals „die Niederen Lande“ im Norden und Burgund im Süden miteinander. Jetzt fehlt nur noch der Königstitel und Karl wäre sein eigener Herr. Auch auf den Kaisertitel schielt der kühne Burgunder.

Mit seinen Gegnern macht Karl kurzen Prozess

Doch Karls rücksichtslose Expansionspolitik lässt die Zahl seiner Feinde wachsen. Darunter ist auch die Alte Eidgenossenschaft, dank ihrer mit langen Piken und Hellebarden ausgestatteten „Gewalthaufen“ die gefürchtetste Militärmacht der damaligen Zeit. Selbst Niccolò Machiavelli schwärmt in seinem Werk „Die Kunst des Krieges“, dass die Riesenigel „selbst die größten Reitermassen angreifen würden“. 1476 kommt es zum Zusammenstoß: Nach kurzer Belagerung kann Karl das Städtchen Grandson einnehmen, die Besatzung lässt er trotz ihrer Kapitulation bis zum letzten Mann über die Klinge springen. „Er befahl drei Henkern, vierhundert Mann an den Bäumen in der Nähe aufzuhängen, die übrigen wurden im See ertränkt“, notiert ein Chronist.

Wenige Tage später in der Schlacht von Grandson wird aus einem taktischen Rückzug, um die Schweizer vor die Artillerie der Burgunder zu locken, eine chaotische Flucht. Die verblüfften Eidgenossen machen fette Beute: 400 Kanonen, das Heerlager Karls samt Staatsschatz und 4000 Prostituierten. Selbst Karls Staatssiegel und sein Rosenkranz fallen den Schweizern in die Hände. Allein der mit Perlen und Diamanten besetzte Hut des Herzogs reicht aus, um die Schulden der Stadt Basel zu begleichen.

Die wahren Gewinner stehen nicht auf dem Schlachtfeld

Karl ist außer sich vor Zorn, überlistet von Bauerntölpeln. Um seine Ehre wiederherzustellen, werde er „auf dem Schlachtfeld siegen oder sterben“, erklärt er und stellt ein neues Heer auf. Bei Murten, 30 Kilometer vor Bern, wird seine Armee erneut überrannt. Nun rächt sich die Hinrichtung der Besatzung von Grandson, denn die Schweizer geben kein Pardon, am Ende sind 10 000 Burgunder tot. Als Karl Anfang Januar vor Nancy steht, ist das einst modernste Heer Westeuropas nur noch ein Schatten seiner selbst. Ein damaliger Spottreim bringt es auf den Punkt: „Herzog Karl von Burgund verlor bei Grandson das Gut, bei Murten den Mut, bei Nancy das Blut.“

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Die eigentlichen Gewinner von Nancy stehen nicht auf dem Schlachtfeld. Im Gezerre um das Erbe Karls des Kühnen reißt sich Frankreich Burgund unter den Nagel. Der nördliche Teil, der die heutigen Beneluxländern umfasst, fällt durch Heirat an Maximilian von Österreich. Der tiefe Fall Karls ist zugleich der Beginn des Aufstiegs des Hauses Habsburg, der Burgundische Erbfolgekrieg zwischen Wien und Paris nur der Auftakt für eine Jahrhunderte währende Auseinandersetzung um Europas Mitte.

Zum Weiterlesen

Bart van Loo: „Burgund. Das verschwundene Reich. Eine Geschichte von 1111 Jahren und einem Tag“. C.H. Beck Verlag 2020, 656 Seiten, 32 Euro.