Frank Schweikert segelt mit seinem Forschungsschiff auf allen Weltmeeren und sammelt dabei Daten für den Schutz der Umwelt.
Schramberg - Ein Schwertransport mit Polizeibegleitung rollt am 28. August 1990 in die kleine Schwarzwaldgemeinde Fluorn-Winzeln bei Schramberg. Ein Kran setzt auf einem Grundstück ein 14 Meter langes, lädiertes Segelschiff ab. Es gehört Frank Schweikert, der in Schramberg geboren ist und dessen Vater hier ein Wochenendhaus hat. Weit und breit kein Wasser, steht das Schiff nun im Garten. „Da hat sich das ganze Dorf natürlich gewundert, was da passiert“, sagt Frank Schweikert.
Für den damals 27-Jährigen beginnt damit die Verwirklichung eines Traums. Das Boot soll für den Schutz der Ozeane Forschungsdaten sammeln und live Radio- und TV-Beiträge ausstrahlen, damit das Bewusstsein dafür wächst, wie sehr Umweltverschmutzung und Klimawandel die Meere schädigen.
Dieses Konzept hat Frank Schweikert bereits zwei Jahre fertig im Kopf, als er seinen Bruder in Wilhelmshaven besucht. Per Zufall entdeckt er auf einem Werftgelände ein ziemlich ramponiertes Segelschiff. Ein französischer Chirurg war mit der „Pen Kalet“ um die Welt gesegelt, bis die Yacht im September 1989 in der Karibik in den Hurrikan Hugo geriet und schwer gebeutelt wurde. Schweikert, der gerade sein Biologiestudium abgeschlossen hat, kennt den Schiffstyp und weiß, dass er für seine Zwecke perfekt geeignet ist. Schweikert will die Yacht haben. „Den Plan hatte ich, das Problem war aber das nötige ,Kleingeld‘.“
Der große Umbau
Neben dem Studium her hat Schweikert als Autor und Reporter für die ARD und für private Sender zwar fleißig Radiobeiträge produziert. Was er auf der Kante hat, reicht für sein Projekt aber hinten und vorne nicht. Er gibt nicht auf. Schließlich findet er eine Bank, die ihm einen Kredit gewährt. Für das Schiff blättert Schweikert 170 000 Mark hin.
Im Garten in Winzeln wird es entkernt, damit Platz frei wird für ein Radiostudio und ein Labor. Die Digitalisierung steckt zu der Zeit in den Kinderschuhen, doch Schweikert erkennt das Potenzial und richtet in einer Koje ein digitales Studio ein – „eines der ersten, die es gab. Der Plan war, über die digitalen Medien mit möglichst geringem Aufwand eine möglichst hohe Reichweite zu erzielen.“
Bei der Restaurierung und dem Umbau helfen Freunde, Freiwillige, Handwerker aus dem Ort und Spezialisten von der Küste. Eine Brauerei aus der Gegend sponsert ein Bierzelt, damit auch bei eisigen Temperaturen weitergearbeitet werden kann. Diese enorme Hilfsbereitschaft spornt Schweikert an. „Das wäre anderswo nicht möglich gewesen“, sagt er. „Es gab und gibt bis heute eine treue Fangemeinde von Freunden und Unternehmern, die gesagt haben: ,Das ist zwar verrückt, was der will, aber wir finden die Idee gut und unterstützen das.‘“
Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: „Der alte Mann und der Wald – Naturschützer Wolf Hockenjos“
Nach 18 Monaten ist der Umbau geschafft. Das Dorffest bildet den Rahmen der Schiffstaufe. Die kaputte „Pen Kalet“ ist zur stolzen, knallgelblackierten „Aldebaran“ geworden. Der Name leitet sich vom hellsten Stern im Sternbild Stier ab. Diesem Sternzeichen wird Hartnäckigkeit und Durchsetzungsvermögen zugeschrieben. Frank Schweikert selbst ist Stier. „Ich bin ungeduldig. Ich möchte, dass das was ich tue, auch zu einem wirkungsvollen Ergebnis führt“, sagt er über sich selbst.
Die „Aldebaran“ verlässt das Trockendock im Süden, auf der Straße wird sie auf die Insel Fehmarn transportiert. Ihre Jungfernfahrt führt sie zum Tag der Umwelt nach Kiel. Pünktlich macht die Crew im Morgengrauen des 5. Juni 1992 vor dem Institut für Meereskunde fest. Direkt im Anschluss beginnt die erste „Umweltexpedition Ostsee“ an der Küste vor Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Dabei entstehen die ersten farbigen Unterwasserfernsehaufnahmen vom Grund der Ostsee überhaupt. In Kooperation mit dem NDR sendet die „Aldebaran“ erstmals live einen Beitrag – „Es gibt wieder Heringe in der Flensburger Förde“. Im Juli folgen wissenschaftliche Kartierungsarbeiten für den Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Im September dann erste eigene Dreharbeiten für die ZDF-Dokumentation „Ist die Ostsee noch zu retten?“
Pionier auf dem gelben Segler
Frank Schweikert gründet parallel den Förderverein Meer. Und unter Aldebaran firmiert im Jahr 1993 auch eine der allerersten deutschen Webseiten im Internet zu Umweltthemen. Der Pionier Frank Schweikert ist mit dem gelben Segler vor allem in den Küstengewässern von Nord- und Ostsee im Einsatz, auf Flüssen oder in der Mecklenburgischen Seenplatte. Aber auch in der Karibik, vor Belize in Mittelamerika, wird die „Aldebaran“ gesichtet. Biologen, Geologen, Techniker, Paläontologen und Medienmacher nutzen die schwimmende Plattform für ihre Zwecke.
Komplexe Zusammenhänge in eine verständliche Sprache zu bringen, lernt Frank Schweikert von der Pike auf. Aufgewachsen im badischen Bühl, heuert der 14-Jährige in der Lokalredaktion der „Badischen Neuesten Nachrichten“ an und schreibt und fotografiert neben der Schule als freier Mitarbeiter. Anfang der 80er soll er seinen Wehrdienst leisten. Der Abiturient schickt einen Brief an Verteidigungsminister Wörner: „Verteidigung unserer Demokratie ja, aber nicht mit der Waffe in der Hand.“ Er landet bei der Psychologischen Verteidigung, sitzt mit ehemaligen Soldaten der DDR-Volksarmee und der Sowjetarmee in unauffälligen Lastwagen mit Antennen und produziert Radiosendungen und Flugblätter in Zeiten des Kalten Krieges. Die Aufgabe für den Redaktionssoldaten: Hintergründe zu internationalen Vereinbarungen zu recherchieren und senden.
1984 wird Schweikert Redaktionsassistent und freier Autor bei SWF3 in der Redaktion von Peter Stockinger in Baden-Baden. Er fährt zweigleisig, macht Journalismus und schippert gegen Ende seines Biologie-Studiums mit dem Forschungsschiff „Walter Herwig“ im Zickzack die Nordsee von Bremerhaven bis zu den Shetlandinseln ab, um auf dem Weg die Fischbestände zu untersuchen.
2016 gründet Frank Schweikert zusammen mit dem Medienunternehmer Frank Otto, einem Erben des Otto-Versands, die Deutsche Meeresstiftung. Deren Fokus: Ein besserer Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zum Thema Ozean. Ein Aushängeschild ist der Meereswettbewerb „Forschen auf See“, für den sich Schulklassen aus ganz Deutschland bewerben. Im vergangenen Juli waren Schüler des Offenburger Schillergymnasiums rund um Rügen unterwegs und suchten mit Schweikerts Hilfe nach Spuren von giftigen Rückständen von versenkter Munition aus dem Zweiten Weltkrieg. Alleine in deutschen Gewässern sind es geschätzte 1,6 Millionen Tonnen. Der Cocktail aus TNT, Phosphor, Senfgas oder arsenhaltigen Kampfstoffen ist eine Zeitbombe.
Schweikert als UN-Botschafter
Das nächste Schüler-Projekt schaffte es sogar auf die Nürnberger Erfindermesse: das Team des Kant-Gymnasiums Tuttlingen entwickelte einen giftfreien und vollständig recycelbaren Kunststoff auf biologischer Basis. In der Neustädter Bucht experimentierten die 15 und 16 Jahre alten Schülerinnen und Schüler, wie sich ihre aus Resten von Meerestieren zusammengesetzte Folie im Wasser wieder auflöst. „Das Projekt ist höchstes Niveau“, lobt Schweikert, „und ist eine sensationelle Lösung für ein wichtiges Problem unserer Zeit.“
Jetzt ist der Meereswettbewerb Teil der UN-Dekade der Ozeanforschung für nachhaltige Entwicklung. Ziel ist es, Politikern weltweit Daten an die Hand zu geben, damit sie die richtigen Entscheidungen zum Schutz der Ozeane angesichts des Klimawandels und der Verschmutzung der Meere treffen können. Botschafter der Dekade aus Deutschland ist der Segler Boris Herrmann, der bei der Hochseeregatta Vendée Globe im Januar in einem dramatischen Finish als Fünftplatzierter über die Ziellinie segelte. Auch Projekte an Bord der „Aldebaran“ wurden zu Teilen der UN-Dekade und damit zum Ritterschlag für Frank Schweikert, der in der Szene auch der „deutsche Jacques Cousteau“ genannt wird. Vor drei Jahren wurde die Deutsche Meeresstiftung gemeinsam mit der Prince Albert II of Monaco Stiftung mit dem Europäischen Kulturpreis Taurus ausgezeichnet. Frank Schweikert in der Dresdner Frauenkirche im Rampenlicht Seite an Seite mit dem Fürsten Albert und Laudator Klaus Töpfer – ein Parkett, an das sich der Skipper erst gewöhnen muss.
Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: „Dem Himmel so nah – der Ballonfahrer Roland Kugel“
Schweikert segelt schon immer hart am Wind, muss Klippen umschiffen. Etablierte staatliche Forschungsinstitute seien über das Engagement eines privaten Meeresforschers nicht immer begeistert gewesen, sagt Schweikert. Er wird von der Liebe zum Meer angetrieben. Er versteht sich als Umweltlobbyist, als „Sprachrohr der Meere“ und als Moderator, der in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft Gleichgesinnte sucht. Dem Schutz der Meere widmet er seine ganze Kraft. Zwei Drittel unseres Planeten bedecken die Ozeane, sie spenden 70 Prozent des Sauerstoffs in der Atmosphäre und beherbergen Millionen von Tier- und Pflanzenarten. „Wir Menschen sind alle essenziell vom Meer abhängig, egal ob wir an der Küste leben oder in den Bergen.“
Die Meeresforschung sei dabei, politischer zu werden, was auch dringend geboten sei. Immerhin wurde in zahlreichen Gesprächen inzwischen erreicht, dass der Bundesverkehrsminister die Abteilung Meerespolitik in seinem Ressort vergrößert hat. „Wir brauchen ein sofortiges Umdenken“, mahnt Schweikert, der auch stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Meeresforschung ist. „Das Überleben der Menschheit ist von gesunden Ozeanen abhängig. Der effizienteste Meeresschutz ist die sofortige Umsetzung der Energiewende.“ Und wenn es nicht gelingt, das Ruder herumzureißen? Schweikerts lapidare Antwort: „Dann wird der Mensch kürzer auf der Erde sein, als es sonst möglich wäre.“