Die Enttäuschung ist sichtbar: der abgewählte Oberbürgermeister Dieter Salomon und seine Frau Helga Mayer-Salomon. Foto: dpa

Am Montag herrscht bei den Grünen in Freiburg Katzenjammer, die SPD jubelt. Der Verdruss der Wähler über die Person und den Stil des Amtsinhabers Dieter Salomon waren offenbar zu groß. Genutzt hat das seinem Gegenkandidaten Martin Horn, der von der SPD unterstützt wurde.

Freiburg - Die Schmerzen am Tag danach sind unterschiedlicher Natur: Martin Horn, frisch gewählter neuer Oberbürgermeister von Freiburg, erholt sich von dem Schlag, den ihm ein offenbar geistig verwirrter 54-Jähriger auf seiner Wahlparty versetzt hat. Noch am Abend verbreitete der Überraschungssieger ein Video, in dem er mit gebrochener Nase, ausgeschlagenem Zahn und Platzwunde unter dem Auge tapfer in die Kamera blickte. Davon wolle man sich den grandiosen Erfolg nicht vermiesen lassen, „Pillepalle“ sei das, betonte der künftige Rathauschef, der anderntags schon wieder zu einem Gag aufgelegt war. „Ich habe im Wahlkampf tausend Horn-Veilchen verteilt, jetzt habe ich eins zurückbekommen“, scherzte er gegenüber unserer Zeitung. Er wolle jetzt „positiv und einladend auf die Gemeinderatsfraktionen zugehen“, wohlwissend, dass auch er „nicht alle Probleme über Nacht lösen kann“. Mittlerweile ist Horns Angreifer auf Antrag der Staatsanwaltschaft Freiburg in einer psychiatrischen Klinik untergebracht.

Der unterlegene Amtsinhaber Dieter Salomon hingegen musste sich beim gewohnten Gang ins Rathaus Gedanken darüber machen, wie er binnen eines Monats nicht nur den Schreibtisch räumt, sondern auch eine geordnete Amtsübergabe in die Wege leitet. Äußern wollte er sich nicht mehr zum Thema, er stürzte sich lieber ins Tagesgeschäft, eine Sitzung des Hauptausschusses stand auf der Tagesordnung.

Der Amtsbonus ist für Salomon zum Malus geworden

Dass er verlieren könnte, hat Salomon erst nach der Niederlage im ersten Wahlgang für möglich gehalten. „Entscheidend ist, ob die Leute nach 16 Jahren mein Gesicht noch sehen wollen“, hatte der erste Bürgermeister der Grünen in einer deutschen Großstadt vor einem Jahr gesagt. Dass der Amtsbonus zum Malus werden würde, haben auch die Wahlforscher nicht kommen sehen. Der Newcomer Martin Horn hat alle eingesammelt, die Salomons Gesicht tatsächlich nicht mehr sehen wollten. Selbst die von einer renommierten Werbeagentur hastig neu gestylten Plakate und Broschüren mit dem hemdsärmeligen „Dieter“ haben am Ende nicht gefruchtet, man hat ihm die Volkstümlichkeit nicht abgenommen.

Nur einen einzigen von 39 Freiburger Wahlbezirken hat Salomon gewonnen, ein früher selbstständiges Dorf im Osten der Stadt mit 1000 Wählern. Wahlsieger Horn lag dagegen in 35 Bezirken vorn, die Drittplatzierte Monika Stein in dreien. Man weiß nicht, wohin ihre Wähler gegangen wären, hätte Stein ihre Kandidatur zurückgezogen. Verloren hat sie gegenüber dem ersten Wahlgang lediglich zwei Prozent. Das beste Ergebnis erzielte Horn im Freiburger Westen, wo das neue Stadion des Bundesligisten SC Freiburg gebaut werden soll. Salomon war im Wahlkampf vor acht Jahren noch dagegen, kurz danach schwenkte er um. Die im Bürgerentscheid unterlegenen Stadionkritiker, die Gegner eines neuen Stadtteils auf landwirtschaftlich genutzter Fläche und die Wohnungssuchenden sind größere Zuflüsse für den Strom der Unzufriedenheit. Hinzu kam der Verdruss über die Person und den Stil des Amtsinhabers. „Arroganz“, „Überheblichkeit“ und „Abgehobenheit“ wurde Salomon häufig nachgesagt. Diese Etiketten blieben wie ein Kaugummi an ihm kleben.

Die Kreisvorsitzende der Grünen sieht die Chance zum Aufbruch

„Er ist ja von seinen eigenen Leuten nicht gewählt worden“, staunt der CDU-Fraktionsvorsitzende Wendelin Graf Kageneck bei der Analyse. Die CDU-Fraktion bedauere sehr, „dass sich Salomon so verabschieden muss“. Er habe schließlich viel geleistet für die Stadt, aber Freiburg wähle nun mal nicht konservativ. Dass die CDU zum zweiten Mal keinen eigenen Kandidaten aufgestellt hat, findet Kageneck noch immer richtig. „Er hätte keine Chance gehabt.“ Allerdings habe sich die Partei „vielleicht zu spät“ zu einem klaren Bekenntnis zu Salomon aufgerafft. Ausschließen will Kageneck nicht, das die Unterstützung gar zulasten des ausgewiesenen Schwarz-Grünen Salomon gegangen sein könnte. „Horn ist als Sammelbecken für viele Bauchschmerzen aufgetreten und angenommen worden.“ Eine reine Persönlichkeitswahl sei es gewesen, „stark amerikanisiert“.

Nach den Grünen stellt die CDU die zweitstärkste Gemeinderatsfraktion. „Wir warten erst einmal ab und wollen hören, wie Herr Horn sich die Lösung der Probleme, etwa in der Wohnungsfrage, vorstellt, das hat er ja bisher nicht verraten“, sagt Kageneck. Horn hat angekündigt, „Brücken zu bauen“ und alte Gräben zuzuschütten. Mit Blick auf die Grünen wird das nicht einfach sein, die Ökopartei ist erschüttert und kann nicht verstehen, warum ihre Führungskraft von einem politischen Leichtgewicht aus dem Amt geworfen wurde. „Das werden wir alles diskutieren, auch ob Fehler und wenn vom wem gemacht wurden“, kündigt der Grünen-Stadtrat Timothy Simms an. „Wir brauchen noch Zeit, um zu verstehen, was passiert ist“, sagt die Kreisvorsitzende Ella Müller, sieht aber auch die „Chance, einen Aufbruch zu wagen“.

Die SPD schwebt hingegen landesweit im siebten Himmel. „Die grün-schwarzen Allianzen in Baden-Württemberg haben ihren Charme verloren“, deren „Bräsigkeit“ komme nicht mehr an, jubelt die SPD-Generalsekretärin Luisa Boos. Vor Ort ist man moderater. Er habe gespürt, dass Martin Horn sehr genau wisse, was er wolle, und „dass er auf Sieg setzt und nicht nur auf Platz“, sagt der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Gernot Erler. Und der SPD-Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach, der vor acht Jahren Salomon noch klar unterlegen war, betont: „Martin Horn ist ein unglaublich authentischer Typ.“

Dieter Salomon verabschiedet sich in den Ruhestand

War es Frust über die Niederlage oder ein Zeichen von Vorfreude? Was hat ihn zu dieser Ansage bewogen? Womöglich etwas von beidem. Jedenfalls hat der abgewählte Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon im Licht des Wahlergebnisses offen verkündet: „Ich habe immer gesagt: Wenn ich es nicht werden sollte, dann werde ich in Ruhestand gehen. Das werde ich jetzt auch machen.“ Nun wird Salomon im August erst 58 Jahre alt – da würden andere an seiner Stelle wohl einen Neustart wagen. Doch der Grüne sagt: „Ich habe mein Leben lang viel gearbeitet. Jetzt trete ich kürzer.“

Diese Perspektive hätten vermutlich viele gerne, die in ihrem Leben auch hart gearbeitet haben, aber noch bis zum 65., 66. oder gar 67. Lebensjahr durchhalten müssen, um auf ihre angestrebte Rente zu kommen. Dabei tut Salomon nichts Unrechtes – nach zwei Amtszeiten als OB steht dem „kommunalen Wahlbeamten auf Zeit“ eine Pension zu, die sich laut Landeskommunalbesoldungsgesetz aus den ruhegehaltfähigen Dienstbezügen und der entsprechenden Dienstzeit zusammensetzt. Der Ruhegehaltssatz beträgt nach einer Amtszeit von 16 Jahren, abgesehen von möglichen Zu- und Abschlägen, 48,8 Prozent der letzten Bezüge. Als Stadtoberhaupt dürfte Salomon nach Einschätzung des Beamtenbunds in Besoldungsgruppe 11 eingestuft worden sein, was derzeit einem Bruttomonatsgehalt von 13 383 Euro entspreche.