Schick und modern: Alparslan Altas im Römerkastell, dem neuen Zentrum vom Hallschlag. Zwölf Millionen Euro wurden seit 2007 in die Entwicklung des Stadtteils investiert. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Der Hallschlag galt immer als Schmuddelecke Stuttgarts: heruntergekommene Häuser, Drogen, Gewalt. Inzwischen hat man den Stadtteil ordentlich herausgeputzt. Ein Rundgang mit Alparslan Altas, der hier seine Kindheit und Jugend verbrachte.

Stuttgart - Alles sieht so neu aus im Römerkastell auf dem Hallschlag. Die Straßen, die Gebäude, ein bisschen auch die Menschen. Im Westflügel hat vor einem halben Jahr ein Rewe-Supermarkt geöffnet, direkt daneben saßen gerade noch mehrere Leute im Schatten großer Sonnenschirme und tranken Kaffee, bis es anfing zu tröpfeln und der Regen alle in den Innenbereich der Bäckerei trieb. Studenten rennen, suchen Schutz im Gebäude der Macromedia Hochschule, zwei Männer in feinen Anzügen und mit Aktentaschen in den Händen flüchten in ihre Autos. Alparslan Altas schaut ein wenig ungläubig. „Als der Hallschlag noch als Ghetto durchging, gab es das alles noch nicht“, sagt er.

Es ist eine Weile her, dass Altas auf dem Hallschlag war, wo er fast dreißig Jahre seines Lebens verbracht hat. Schon vor sechs Jahren, als er heiratete und nach Fellbach zog, waren einige Veränderungen hier im Norden Bad Cannstatts sichtbar. Jetzt aber, bei seiner Rückkehr in den Multikultistadtteil, kann der 38-Jährige, der in der Dortmunder Straße unweit des Römerkastells seine Kindheit und Jugend verbracht hat, seinen Augen nicht so recht trauen.

Zwölf Millionen Euro zur Verschönerung

Seit 2007 wurden zwölf Millionen Euro im Zuge des Programms „Soziale Stadt“, einem Förderungsprogramm von Bund und Land für strukturschwache Stadtteile, in den Hallschlag gesteckt. Neben dem neuen Stadtteilzentrum im Kastell wurden viele Grünflächen gestaltet, neue Flächen für den gastronomischen Betrieb geschaffen, Bolz- und Spielplätze gebaut. Die Wohnqualität nahm im Laufe der letzten Jahre durch Neubauten und Sanierungen zu.

Alparslan Altas verlässt das Römerkastell durch das breite Tor im Westen, das erst vor Kurzem in der Kastellmauer geöffnet wurde. Er läuft die Straße hoch bis an die Kreuzung, wo am Eck ein älteres Haus steht, das aus schwarz verfärbten Klinkersteinen gebaut ist. Ein paar Schüler treten dort im Erdgeschoss aus dem allerersten Kebab-Imbiss des Hallschlags heraus. Alparslan Altas zeigt auf ein neu errichtetes, weiß gestrichenes Wohnhaus auf der anderen Straßenseite. „Das alte Gebäude, das hier stand, wurde komplett abgerissen.“

Viele der heruntergekommenen Wohnhäuser auf dem Hallschlag, die man kurz nach dem Zweiten Weltkrieg für die ankommenden Gastarbeiter aus dem Boden gestampft hatte, wurden entweder saniert oder wie jenes an der Kreuzung abgerissen, um modernere, attraktivere Gebäude zu errichten. Optisch hat das den Stadtteil zwar aufgewertet, aber die Wohnungen wurden dadurch auch teurer. „Meine Eltern mussten nach der Sanierung um die 200 Euro mehr Miete zahlen“, sagt Altas. Sie sahen sich gezwungen auszuziehen. Nur mit Mühe fanden die Eltern in der Dessauer Straße schließlich eine andere Wohnung, die sie sich leisten konnten. „Meine Mutter wollte aber gar nicht weg von hier.“

Das neue Gesicht

Das Gesicht des Stadtteils hat sich so über die Jahre hinweg allmählich verändert – von dem sozialen Brennpunkt und Ghetto, das über den Kesselrand hinaus berüchtigt war, ist für Alparslan Altas nicht mehr viel übrig. Alteingesessene berichten sogar, das Leben auf dem Hallschlag sei mittlerweile langweilig geworden.

Altas sitzt jetzt in seinem Wagen. Der Regen prasselt gegen die beschlagene Scheibe, hinter der sich schemenhaft der Hattinger Platz abzeichnet. Er nennt ihn nur „Hattinger“ – der Ort, wo sich früher Straßengangs, trinkfeste Hallschlager und andere zwielichtige Gestalten tummelten.

Früher lag hier immer Ärger in der Luft lag, erzählt er. „Im Winter, wenn der Schnee fiel und es früh dunkel wurde, hatte man auf dem Hattinger schon ein mulmiges Gefühl.“ Einmal, als er 14 Jahre alt war, lief er abends zum Training beim VfR Cannstatt, wo er jahrelang Fußball spielte. Vier junge Männer kamen ihm damals entgegen und bauten sich vor ihm auf. Sie pafften ihre Zigaretten, einer blies ihm den Dunst ins Gesicht, und ein anderer sagte: „Nee Mann, verdammt, ich kenn den, der ist Hallschlager.“ Also ließen sie Alparslan in Ruhe.

Die erste Zigarette in der „Hundehütte“

Heute ist niemand mehr auf dem Hattinger, zumindest niemand, der unangenehm werden könnte. In der Mitte des Platzes heben ein paar Straßenarbeiter in Warnwesten und matschigen Sicherheitsschuhen eine Baugrube aus. Altas schmeißt den Motor seines Wagens an, fährt weiter Richtung Travertinpark, der 2014 eröffnet wurde. Viele Hallschlager kommen bei schönem Wetter für einen Spaziergang hierher. Gleich da, wo der Weg zum Park mit den drei Steinbrüchen beginnt, sitzen drei Männer mittleren Alters auf einer Bank, trinken Bier, plaudern über Fußball – vielleicht alte Hattinger, aber Alparslan Altas ist sich nicht sicher.

„Früher gab es hier nur Felder“, erzählt er und erinnert sich an einen Baum mit weißen Kirschen, von dem er mit Freunden in Sommermonaten aß. Hier hat er auch heimlich seine erste Zigarette geraucht, mit elf. In der „Hundehütte“ war das, wie die Kinder ein altes Holzhäuschen nannten. Angestiftet wurde er vom Nachbarsjungen Daniel, der drei Jahre älter war und immer ein Messer mit sich herumtrug.

Irgendwie bekam es Alparslans älterer Bruder heraus. Zu Hause gab es dann mächtig Ärger. Heute ist Altas immer noch Nichtraucher. Den Kirschbaum gibt es nicht mehr, auch die „Hundehütte“ ist weg. Stattdessen gibt es jetzt Aldi, Lidl und Penny. „Früher schickte mich meine Mutter immer zu Fuß zum Aldi nach Cannstatt“, sagt er, „jetzt ist alles gleich ums Eck.“

Eine ungewöhnliche Karriere

Direkt hinter den drei Männern auf der Bank erstreckt sich ein kleines Gewerbegebiet um die alte Zuckerfabrik. In den letzten Jahren sind hier mehrere mittelständische Firmen zugezogen. Auch die private Bil-Schule befindet sich hier. Altas hat auf der Bil – nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaft an der Universität Hohenheim – einen Lehrerjob angenommen und unterrichtet seit neun Jahren Mathe, Physik und Wirtschaft. Im nächsten Schuljahr wird er dort Leiter der Realschule.

Seine Karriere sei schon ungewöhnlich, sagt er. Er war der Einzige, der es aus der 4b der Altenburgschule auf das Gymnasium schaffte. Nur Rüdiger, der einzige Deutsche, schaffte es noch auf die Realschule. Der Rest der Klasse kam auf die Hauptschule. Vom Hallschlag und dann noch auf dem Gymnasium – für die Leute hat das nicht zusammenpasst. „Ich war eben einer von den guten Jungs“, sagt er und lacht.

Die meisten seiner Freunde waren da anders, hatten ständig mit Drogen zu tun und waren immer wieder in Schlägereien verwickelt. Viele von ihnen wohnten im Norden Hallschlags, an der Dessauer Straße, wo es noch einige heruntergekommene Häuser direkt am Fuße eines der beiden „Daimler-Hochhäuser“ gibt – wuchtige Plattenbauten, wo bis vor ein paar Jahren nur Daimler-Mitarbeiter wohnen durften. Altas zeigt auf einen grauen Wohnblock, an dem die ausgeblichene Fassadenfarbe abblättert und der Putz stellenweise bröckelt. „Dort drüben hat Ali gewohnt“, sagt er, „ein guter Freund, er hatte aber ständig irgendetwas mit Drogen zu tun. Er wurde eines Tages von zwei Polizeistreifen vor unserer Haustüre eingekesselt und festgenommen. Ich konnte alles vom Fenster aus sehen.“

Erinnerung an die Dortmunder Straße

Der Vorfall mit Ali geschah in ebenjener Dortmunder Straße, wo Alparslan in dem Haus mit der Nummer sieben zusammen mit seiner Familie bis zu seinem 32. Lebensjahr gelebt hat. Bei der Reise durch seine alte Heimat ist dieser Ort, wo für den Ex-Hallschlager alles begann, sein letzter Halt.

An der breiten Einfahrt der Dortmunder Straße erstreckt sich heute ein grüner Metallzaun, den es früher nicht gab. Dort, wo jetzt im Innenhof ein kleiner Spielplatz ist, war zu Alparslans Kindheit nur ein Sandkasten aus morschem Holz. Die Wäsche der Bewohner hängt zum Trocknen nicht mehr draußen auf den meterlangen Leinen, die die Leute von einem Gebäude zum anderen gespannt hatten. Und das Wohnhaus, das „Dortmunder sieben“, wie er es nennt, strahlt in gelber Farbe, hat neue Kunststofffenster und sogar kleine Balkone, die bei der Sanierung angebaut wurden.

Alparslan Altas steigt die Treppen zum Eingang seines alten Wohnhauses hoch, blickt hinauf in den zweiten Stock, wo das Fenster zur alten Wohnung ist. Er drückt die Haustür auf, tritt in das Treppenhaus und bleibt auf der ersten Stufe stehen. „Der Boden ist derselbe wie damals, die Treppen auch“, sagt Altas ein wenig wehmütig. „Aber der Geruch ist ganz anders.“ Es wird nur ein ganz kurzer Besuch, dann dreht er sich um und verlässt das Haus und die Straße seiner Kindheit wieder.

Mittlerweile sitzen die Leute auf dem Kastellplatz wieder unter den Sonnenschirmen, trinken Kaffee und essen Eis. Der Regen hat aufgehört. An der Straße fährt ein roter City-Bus mit Touristen vorbei, die alles fotografieren, was noch an den alten, heruntergekommenen Hallschlag erinnert und bald verschwinden könnte. Altas sitzt in seinem Auto, hält an einer Kreuzung noch einmal an, wo ein riesiges Werbeplakat die neuen Wohnbauprojekte bewirbt. „Zukunft Hallschlag“, prangt an einer Stelle. Altas sagt, er wusste es ja schon. Und vermutlich hat es sich in Stuttgart und über den Kesselrand hinaus auch schon herumgesprochen. Der Hallschlag ist jetzt ein Geheimtipp.