Landesparlamente – hier der baden-württembergische Landtag in seinem Übergangsdomizil – stehen häufig im Schatten des Bundestags. Foto: dpa

Das Landesparlament hat ein Imageproblem – dabei haben die Abgeordneten die Attraktivität des Hauses selbst in der Hand.

Stuttgart - Am mangelnden Tageslicht kann es nicht liegen, wenn Abgeordnete künftig über Migräne klagen. Denn mit Beginn der neuen Wahlperiode kehrt Baden-Württembergs Landtag in ein saniertes Gebäude zurück, dessen Plenarsaal erstmals Fenster hat. Der frühere Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn, heute OB von Stuttgart, hielt Kopfwehtabletten zwar für die preiswertere Lösung. Doch das ist Jahre her. Mittlerweile sind die Fenster unumstritten, denn die Abgeordneten wollen auch, dass man ihnen bei der Arbeit zusieht.

Transparenz gewinnt der Landtag zusätzlich nach innen. Erstmals in dieser Wahlperiode müssen Beamte ihr Amt ruhen lassen, wenn sie ein Mandat ausüben. Bürgermeister, Landräte und Schulleiter, die früher so zahlreich waren, dass sie zusammen eine absolute Mehrheit auf die Waage brachten, sind aus dem Spiel. Die Neuerung – sie geht auf die Parlamentsreform von 2008 zurück - ist ein Akt der politischen Hygiene, denn sie verhindert, dass Spitzenbeamte als Abgeordnete ihre eigenen Behörden kontrollieren. Auch auf vielen anderen Feldern hat diese Reform den Parlamentsbetrieb durchsichtiger gemacht – bis hin zur Regelung der Altersvorsorge.

Die äußeren Umstände versprechen also frischen Wind im Stuttgarter Talkessel - natürlich auch wegen der politischen Konstellation, die spannend ist wie selten zuvor. Der Souverän hat die Kräfteverhältnisse bekanntlich verschoben und die CDU in eine Koalition mit den Grünen gezwungen. Außerdem sitzt künftig im Plenarsaal eine Fraktion, mit der die anderen von vornherein nichts zu tun haben wollen: die Vertreter der AfD. Die Landtagsbühne bietet also für die nächsten fünf Jahre alle Voraussetzungen, um das öffentliche Interesse auf das Hohe Haus zu lenken - statt immer nur auf die Regierung.

Landtag tritt in den Hintergrund

Für das Landesparlament wäre das ein Gewinn, denn es hat ein Imageproblem. Die Öffentlichkeit verbindet mit ihm ein gewisses Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag: hohe Kosten, wenig Nutzen. Selbst Abgeordnete äußern sich bisweilen maliziös oder spotten über die „aufwändig organisierte Langeweile“ (Theresia Bauer, Grüne) am Stuttgarter Eckensee. Bei vielen Bürgern gilt der Landtag jedenfalls als Volksvertretung zweiter Wahl – deutlich nach dem Bundestag.

Ist Außenpolitik für sie wichtiger als Bildungspolitik? Und äußere Sicherheit bedeutsamer als innere? „Die Menschen wissen, wer ihnen weh tun kann“, hat die Chefin des Allensbacher Instituts für Demoskopie, Renate Köcher, die unterschiedliche Bewertung einmal erklärt. Die großen Steuern erhebt nun mal der Bund. Dass damit auch der Landtag thematisch eingeengt ist, kann man ihm nicht anlasten, ist aber Fakt. Überhaupt tritt er als gesetzgebendes Verfassungsorgan in den Hintergrund. Die Bilanz von mehr als 100 verabschiedeten Gesetzen pro Wahlperiode täuscht da leicht darüber hinweg. In den meisten Fällen werden bereits bestehende Paragrafen geändert. Grundsätzliche Weichenstellungen gab es auch in der vergangenen Wahlperiode wenige. So befand denn auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, bei der Feier zum 60-Jahr-Jubiläum des Hohen Hauses im Jahr 2012: „Die Landesparlamente stehen einer Abwanderung ihrer Kompetenzen sowohl nach Europa als auch zum Bund weitgehend schutzlos gegenüber.“

Ein kleines Stück Autonomie hat sich der Landtag zurück erkämpft hat: Artikel 34 a der Landesverfassung sieht vor, dass die Regierung an Stellungnahmen des Parlaments gebunden ist, wenn Europa oder der Bund weitere Landeskompetenzen an sich ziehen. Voßkuhle sah darin einen „Silberstreif“, sollten auch andere Parlamente dies übernehmen. Die Frage ist jedoch, wie selbstbewusst die Abgeordneten dieses Recht einfordern werden. Und bei Abstimmungen im Bundesrat hebt ohnehin ein Regierungsvertreter die Hand, niemand vom Parlament.

„Der Bund hat Geld, das Land hat keins“

Andererseits ist es auch nicht so, dass die Länder alles nur noch abnicken dürften. Bei der Frage etwa, wohin die Brüsseler Gelder zur Entwicklung des ländlichen Raums fließen, haben sie in den letzten Jahren sogar Kompetenzen hinzugewonnen. Auch die Landtage dürfen sich an diesem Prozess beteiligen – so sie denn wollen. Die Politikwissenschaftler Julia Oppat und Stefan Ewert haben allerdings kürzlich in einem Ländervergleich herausgefunden, dass eine Diskussion über diesen EU-Topf gar nicht überall gewünscht ist: „Deutlich wird, dass den Landesparlamenten zumindest zum Teil ein gewisser Hang zur Selbstentmachtung zu attestieren ist“, so das Fazit der Autoren. Dem Stuttgarter Landtag ist da übrigens kein Vorwurf zu machen: Er hat mehrfach über dieses Thema debattiert.

Vor Selbstentmachtung ist aber auch er nicht gefeit. Auch am Stuttgarter Eckensee ertönt sofort der Ruf nach dem Bund, sobald irgendwo das Geld nicht reicht - zum Beispiel für die Hochschulen. Berlin gibt nicht ungern, weil es gern mitredet. Das verführt. „Das Problem ist doch: Der Bund hat Geld, das Land hat keins“, sagt Wolfgang Drexler, der seit 28 Jahren im Landtag sitzt, zehn davon als Vizepräsident. Er plädiert dafür, dass die Länder einen Teil der Steuern selbst festsetzen. Auf keinen Fall dürfe man jedoch die in zwei Föderalismuskommissionen erreichte Entflechtung von Bundes- und Landesfinanzen aufweichen: „Ich will kein Parlament, das vom Bund Geld zugewiesen bekommt, das es verteilen darf.“ Die Praxis spricht oft eine andere Sprache. Und das Recht, eigene Steuern zu erheben, ist unter den Ländern auch gar nicht mehrheitsfähig, wie die Verhandlungen zum Finanzausgleich regelmäßig zeigen.

Der Landtag muss sich also einstweilen mit den Kompetenzen begnügen, die er hat – diese dann aber auch ausüben. Dazu gehört die Kontrolle der Regierung. Dass es auf diesem Gebiet noch Luft nach oben gibt, hat zuletzt der Stuttgarter NSU-Untersuchungsausschuss gezeigt: Manche Abgeordnete fühlten sich der Sache der Polizei so verbunden, dass sie jeglichen Verdacht pauschal zurückwiesen, diese könnten bei den Ermittlungen Fehler gemacht haben. Dabei waren die Pannen offensichtlich. Es reicht auch nicht, wenn die Regierungsfraktionen ihre wichtigste Aufgabe darin sehen, den Ministerpräsidenten zu wählen und dann der Exekutive den Rücken frei zu halten. Dem Landtag täte ein wenig mehr vom Selbstbewusstsein des Bundestags gut, der so gut wie keinen Gesetzentwurf der Regierung unverändert passieren lässt.

Es gibt auch schwarze Schafe

Nicht wenige Parlamentarier sehen ihren Arbeitsnachweis aber dadurch erbracht, dass sie Sachverhalte zu allen möglichen und unmöglichen Themen abfragen: vom „Wasserkreuzkraut auf Landschaftspflegeflächen im Wurzacher Ried“ bis hin zum „Immissionsschutz bei der Hundekuchenherstellung“. Dass die Ministerien personell so zugelegt haben, hat auch damit zu tun.

Der oft gehörte Vorwurf, der Landtag sei eigentlich kein Vollzeitparlament, ist jedoch unberechtigt. Wer sein Mandat ordentlich ausüben will, braucht pro Woche vielleicht keine 60 Stunden, wie manche behaupten, aber nicht viel weniger. Natürlich gibt es schwarze Schafe, die sich um 10 Uhr in die Anwesenheitsliste eintragen, auch kurz den Plenarsaal betreten, dann aber heimlich Hut und Mantel nehmen, um sich einem einträglichen Nebenjob zu widmen. Doch das ist nicht die Regel. Mit drei Untersuchungsausschüssen und der wichtigen Enquetekommission zur Pflege hatten die Abgeordneten der vergangenen Wahlperiode jedenfalls mehr zu tun als je zuvor.

Arbeiten müssen sie in jedem Fall an ihrer „Performance“ während der Plenarsitzungen. „Das Parlament lebt vom Reden“, sagt Drexler. Zwar ist nicht jeder rhetorisch so begabt wie der frühere SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel. Doch auf Besucher wirkt es irritierend, wenn der Präsident vor Beginn der Tagesordnung ausdrücklich dazu auffordert, frei zu reden, die Volksvertreter dann aber stockend vom Blatt lesen. Wenn dann die Sitzreihen noch stark gelichtet sind, kann man den Besuchern dafür noch so viele Erklärungen liefern: Es schadet dem Image des Hohen Hauses. Immerhin hat sich das Zeitungsrascheln verflüchtigt, seit auf jedem Pult nun ein Tablet liegt. Jetzt blicken die Besucher auf tief geneigte Köpfe.

Landtag wird zunehmend zum Veranstaltungsort

Gut getan hat dem Landtag, dass er in den letzten Jahren zunehmend zum Veranstaltungsort wurde – für Ausstellungen, Vorträge und andere Events. So wurden Hemmschellen abgebaut. Wenn 2017 das neue Bürger- und Medienzentrum eröffnet ist, lässt sich diese Tür noch etwas weiter öffnen. Noch viel wichtiger im Sinn der Nahbarkeit wäre jedoch, wenn die Abgeordneten das Volk im eigentlichen Wortsinn repräsentierten. „Uns fehlen Selbständige, aber auch technische Berufe“, sagt Drexler und macht dafür die Höhe der Diäten verantwortlich: Das sind momentan 7448 Euro, zu denen allerdings noch 1545 Euro Kostenpauschale sowie 1638 Euro für die Altersversorgung kommen. Völlig kostenneutral wäre es freilich, zunächst mal den Frauenanteil zu erhöhen: Mit 24,5 Prozent ist er auch im neuen Landtag schlicht blamabel. Ein Zweistimmenwahlrecht ist deshalb überfällig.

Der Landtag sollte sich jedenfalls nicht der Illusion hingeben, die Beteiligung an der jüngsten Landtagswahl zeige doch, dass das Interesse an ihm wieder wachse. Zwar gingen am 13. März tastsächlich mehr als 70 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne – so viel wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Doch das war eher dem polarisierenden Thema Flüchtlinge und einem stark personalisierten Wahlkampf geschuldet als dem gewachsenen Interesse an Landespolitik oder gar am Landesparlament.