Einmal mehr ganz auf sich allein gestellt: James Bond (Daniel Craig) fühlt sich in „Spectre“ wie eine Schachfigur – und erfährt noch mehr über seine familiäre Vergangenheit. Foto: Sony

Daniel Craig gibt sich in seinem vierten Auftritt als britischer Geheimagent keine Blöße – und oberflächlich betrachtet hat „Spectre“ alles, was ein James-Bond-Film braucht. Doch die Konkurrenz schläft nicht.

Stuttgart - Früher war alles klar: Der tollkühne Draufgänger James Bond schaltete verrückte Möchtegern-Weltbeherrscher aus, bezwang trickreich deren übermächtige Schergen, kippte Cocktails, gewann mit Fliege am Spieltisch immer und machte reihenweise Frauen schwach. Seit dem „Reboot“, dem Neustart der Reihe mit Daniel Craig und „Casino Royale“ (2006), hat sich das geändert – das Bond-Universum ist nun unübersichtlich und aus den Fugen wie die reale Welt.

Mexiko, Rom, Marokko, Autos, Wodka-Martini, schöne Damen: Die Motive von früher tauchen auf, auch in „Spectre“, aber sie haben eine neue Schwere – denn James Bond ist nun ein Mann mit Vorgeschichte, der in „Casino Royale“ die Frau seines Lebens verloren hat und dessen geheimnisvolle Herkunft in „Skyfall“ anerzählt wurde. Er ist zudem ein Fossil aus anderer Zeit, das sich zunehmend zum Einzelkämpfer entwickelt.

In „Spectre“ erfahren die Zuschauer noch einiges mehr, der einst enigmatische Held wird noch menschlicher, und Sam Mendes nötigt die Zuschauer in dessen inneres Ringen. Zum Glück macht Daniel Craig keine halben Sachen: Er lässt das emotionale Brodeln für Momente spürbar werden in feinen Gesten und Mienen, wischt die Gefühlsduselei aber in bewährter Raubeinigkeit schnell wieder weg und springt, rennt, prügelt, fliegt, schießt, als wäre es das letzte Mal.

Bond kämpft gegen seine eigene Abschaffung

Was tatsächlich sein kann, glaubt man Craigs Aussagen der vergangenen Wochen. Das melodramatische Ende von „Spectre“ indes macht dies unwahrscheinlich: Das wäre bei aller vorangegangener Action nicht der Ausstieg, der Craigs Mannhaftigkeit entspräche – eher ein sentimentales Herausmogeln, musikalisch flankiert von Streicher-Kitsch.

Gegen seine eigene Abschaffung kämpft Bond diesmal, flächendeckende Überwachung und Drohnen sollen die Doppel-Null-Agenten ersetzen. Computergestützte Überwachungssysteme aber lassen sich kapern und missbrauchen, zum Beispiel, um die Weltherrschaft zu erringen. Diese Idee ist nicht taufrisch, ein ähnlicher Plot lag „Stirb langsam 4.0“ (2007) zugrunde und jüngst „Terminator 5: Genisys“ (2015). Das heißt nicht, dass das Thema damit erschöpft wäre, raubt „Spectre“ aber Originalität.

Ein süffisanter Superschurke kompensiert das zum Teil, weil er verblüffende Querverbindungen zu allen möglichen Bond-Themen mitbringt. Christoph Waltz spielt ihn als psychopathischen Gefühlskrüppel mit der sadistischen Ader eines Folter-Virtuosen, der gerne festgeschnallten Opfern mit feinen Bohrern den Kopf löchert.

Die weiblichen Rollenbilder sind von vorgestern

Die Intensität seiner Auftritte bei Quentin Tarantino („Inglourious Basterds“, „Django Unchained“) erreicht Waltz nicht, auch nicht die von Javier Bardems Gangster-Drama-Queen in „Skyfall“. Waltz kann nicht mit jedem Regisseur gleich gut: Als Hochstapler in Tim Burtons „Big Eyes“ (2014) war er Weltklasse, als Computergenie in Terry Gilliams „The Zero Theorem“ (2013) scheiterte er grandios. Mendes kitzelt zumindest eine ansprechende Leistung aus ihm heraus, doch man spürt: Da wäre mehr zu holen gewesen.

Was die Ausgestaltung angeht, bringt die stetig wachsende Konkurrenz die BondMacher stark unter Druck. Matthew Vaughn hat in „Kingsman: The Secret Service“ (2014) das distinguierte Understatement britischer Agenten mit Colin Firth charmant auf die Spitze getrieben, Guy Ritchie mit „Codename: U.N.C.L.E.“ (2015) eine ironische Satire auf rangelnde Agenten inszeniert. Und man muss Tom Cruise nicht mögen, um anzuerkennen: „Mission: Impossible 5“ (2015) bot höchst spektakuläre Action, einen hochaktuellen Schwarzgeld-Plot mit extremen Wendungen, eine intelligent ausdefinierte weibliche Doppelagentin in Gestalt von Rebecca Ferguson.

In „Spectre“ nun schaut man Léa Seydoux auch gerne zu, wie sie sich französisch-widerborstig ziert als schmollmundige Verführerin – doch das Rollenbild, das sie verkörpert, ist von vorgestern: Ohne starken Beschützer ist diese Frau ein hilfloses Nichts. Auch Monica Bellucci als frische Wittwe mit schwarzem Schleier dient vor allem als Dekoration in der Männerwelt Geheimdienst, aus der die bärenstarke Frauenfigur, die Judi Dench als Chefin M verkörperte, in „Skyfall“ leider dahingeschieden ist.

Der neue Q besinnt sich auf alte Tugenden seines Berufsstandes

Vielleicht sind es auch die epischen 144 Minuten, die „Spectre“ ein wenig altbacken wirken lassen gegenüber rasant erzählten Serienformaten wie „Homeland“. Dabei hat Mendes einiges zu bieten, etwa einen atemberaubenden Luftkampf im trudelnden Hubschrauber über dem dicht bevölkerten Fest der Toten in Mexico-City. Auch zündelt er virtuos weiter an dem Beziehungschaos, das er in „Skyfall“ angerichtet hat, und spielt mit Klischees: Wie immer zeigt der Schurke Bond sein Hauptquartier und erklärt detailliert seine Pläne, worauf 007 alles hochgehen lässt – doch das ist hier mitnichten der Showdown, sondern nur persiflierender Vorgeschmack.

Jesper Christensen hat einen furiosen Kurzauftritt als Mr. White. Ralph Fiennes wirkt etwas müde als neuer M mit analoger Ausrichtung, Andrew Scott als digitaler Gegenspieler hinterlässt wenig Eindruck. Der neue Q war in „Skyfall“ eher eine Spaßbremse als Computer-Nerd, der analoge Geheimwaffen wie explodierende Kugelschreiber als unzeitgemäß geißelte, selbst aber nicht viel anzubieten hatte. Diesmal nun darf der schlaksige Ben Wishaw richtig mitspielen und sich auf alte Tugenden seines Berufsstandes besinnen. Verraten sei nur so viel: Ein sehr schnittiges Auto spielt ebenso eine Rolle wie ein Uhr.

Das Marketing zum Film preist die ultrahohe digitale „4K“-Auflösung, was seltsam anmutet angesichts vieler Unschärfen und Verwaschungen auf der Leinwand. In „American Beauty“ (1999) war Sam Mendes viel weiter, was makellose Bildgestaltung angeht. Sollte die Visualisierung jetzt Absicht sein als Spiegel der diffusen Gegenwart, dann wird das nicht deutlich genug.

Mendes’ Vermächtnis ist ein starkes Plädoyer für den „human factor“

Anders als Daniel Craig scheint Mendes mit Bond fertig zu sein. Sein Konzept ist nach zwei Filmen auserzählt, vieles löst sich auf oder fügt sich zusammen zu einer neuen Ausgangslage, der ein anderer Regisseur frische Energie einhauchen könnte.

Ohne Cowboys geht es nicht – das wäre Mendes’ Vermächtnis, ein starkes Plädoyer für den „human factor“, das menschliche Element, ohne das eine durchtechnisierte Welt bald frei von Überraschungen wäre.

Unabhängig davon ist es keine Schande, sich insgeheim zurückzusehnen nach Sean Connery, Roger Moore und Zeiten, in denen alles klar war.

„Spectre“ startet am 5. November