Nils Fischer war Geschäftsführer des Badischen Handball-Verbands und Mitarbeiter einer Eventagentur. Dann beschloss er, sich mit einem Minigolf-Gärtle selbstständig zu machen. Ein Besuch auf der Uhlandshöhe.
Bahn zwei hat es in sich. Der Minigolfball muss ins Loch, klar. Weniger klar ist, wie man ihn dazu bringt, zuvor den Looping zu passieren, der einzige Weg zum Ziel. Johann braucht nur drei Schläge. Seine Freunde sind baff. „Alter!“ Jetzt ist Matthias dran. Er trifft den Eingang des Loopings nicht, da kann er machen, was er will. „Nicht mit Gewalt!“, frotzeln die Mitspieler. „Gewalt ist keine Lösung.“ Gelächter.
Bahn um Bahn spielen sich die fünf Männer voran. Sie sind Ende 40. Zwei Ingenieure, ein Grafikdesigner, ein Mathematiker, ein Zahnarzt. Aus dem Ruhrpott kommen sie, sind Freunde seit der fünften Klasse. In Bergkamen bei Dortmund sind sie aufgewachsen. Weil keiner mehr in dem Ort wohnt, treffen sie sich einmal im Jahr irgendwo in Deutschland. Diesmal also Stuttgart. Im Internet sind sie auf die Uhlandshöhe gestoßen – und haben das Minigolf-Gärtle entdeckt. Dieses kleine Stück Grün, mit Bäumen, auf denen Eichhörnchen klettern. Mit Palmen auf der Terrasse, der Blick geht über Gablenberg bis hin zum Fernsehturm.
„Zeit ist das Zauberwort“
Es ist ein Samstag im April. Nach mehreren Regentagen ist der Himmel ungewohnt blau, ab und an ziehen weiße Wattewolken vorbei. Vögel zwitschern, aus der Ferne hört man eine Kirchturmglocke schlagen. Manchmal dringt der Ruf der Esel aus der Nachbarschaft aufs Gelände.
An Tagen wie diesen hat Nils Fischer viel zu tun. Viele Stunden sitzt er in seinem Holzhäuschen. Er reicht den Kunden die Schläger, füllt Kaffee in Becher, öffnet Limonadenflaschen. Und wenn man ihn danach fragt, dann erklärt er begeistert, worauf es ankommt bei diesem Sport, der selten als solcher ernst genommen wird. „Zeit ist das Zauberwort“, sagt der 37-Jährige. Wer den Ball mit wenig Schlägen einlochen wolle, dürfe nicht hektisch werden. Und: bloß nicht den Profigolfern nacheifern. „Die müssen 300 Meter überwinden. Unsere Bahnen sind nur sechs Meter lang. Wenn man da draufhaut wie ein Ochse, hat man keine Chance.“ Als Kind ist es Fischer selbst passiert. Er schwang den Schläger im hohen Bogen und traf nicht den Ball, sondern die Nase seiner Mutter.
Nils Fischer ist seit einem Jahr der Chef im Minigolf-Gärtle. Er nennt es seinen Sehnsuchtsort, auch Naturoase ist ein Wort, das er gerne benutzt. Sieben Jahre war er Geschäftsführer des Badischen Handball-Verbands, fast vier Jahre Projektmanager bei einer Sportmarketing- und Eventagentur. Er war verantwortlich für Sponsoring-Events des VfB Stuttgart, drehte mit dem ehemaligen Fußballprofi Timo Hildebrand Videos für die Mercedes-Benz-Bank. Er betreute Europas größtes Schachturnier. Ein spannender, fordernder Job.
Dann kam Corona – und mit dem Virus die Kurzarbeit. Ein Gedanke, der lange in Fischers Unterbewusstsein geschlummert hatte, brach sich Bahn. Wie das wohl wäre, den Schreibtisch hinter sich zu lassen und eine Beachvolleyball-Bar zu eröffnen? Oder einen Minigolfplatz? An einem Ort arbeiten, an dem Menschen automatisch gute Laune haben. Das wäre was! Wenn nicht jetzt, wann dann?
Von klein auf spielt der Sport im Leben von Nils Fischer eine große Rolle. Er wächst in Rettigheim auf, einem Dorf zwischen Heidelberg und Karlsruhe mit weniger als 3000 Einwohnern. Als Kind spielt er Fußball im Verein, später – als er aufs Gymnasium geht – macht er mit Handball weiter. Er spielt in der Regionalliga, einmal wird er süddeutscher Meister. Lange steht er im Tor, mit Mitte 20 wechselt er ins Feld. Im Winter betreut er Skifreizeiten für Kinder.
Nach der Schule studiert Fischer in Heidelberg zwei Semester Physik, entscheidet sich dann aber für Sportwissenschaften mit dem Schwerpunkt Sportökonomie und Sportmanagement. Nach dem Studium sammelt er Erfahrungen bei einem Sportartikelhersteller, später erfindet er eine neue Sportart: Holf, eine Mischung aus Handball und Golf. „Im Fußball gibt es die Altherren, was prima funktioniert. Beim Handball ist das schwierig, weil der Sport ohne körperliche Härte keinen Sinn macht.“ So kam er auf Holf. Ein Wurfspiel, das drinnen wie draußen funktioniert, ohne Körperkontakt.
Schanze ins Glück
Wer sich seinen Lebenslauf genauer ansieht, stößt auf einige Superlative. Bestes Abitur 2005. Bestes Diplom-Examen 2011. Sieger des 4. Akademischen Fallstudienwettbewerbs der Deutschen Olympischen Akademie. Immer höher, immer weiter, Karriere machen als Big Boss – Fischer sagt, für ihn sei das nicht mehr erstrebenswert. Er mäht lieber den Rasen in seiner Minigolfanlage, pustet mit dem Laubbläser die 18 Bahnen frei. Schleppt Kisten oder sägt irgendwas zurecht. Er ist Gärtner, Gastronom und Geschäftsführer. Das Mit-den-Händen-Arbeiten gefällt ihm. Mit Minigolfromantik habe das Ganze aber nichts zu tun. „Bei gutem Wetter kommen schon mal 150 Leute an einem Tag. Da muss ich stundenlang funktionieren.“ Er spricht von positivem Stress.
Fischer mag den Kontakt zu den Kunden. Minigolf, das kennt jeder. Das kann jeder. Da kann jeder mitreden, auch ohne Ahnung zu haben. Wenn gerade niemand am Kassenhäusle wartet, dann geht Fischer über den Platz, lauscht ein bisschen hier und da und freut sich über die Minigolfweisheiten, die die Leute zum Besten geben. An Bahn 18 zum Beispiel, seiner Lieblingsbahn (er nennt sie „Schanze ins Glück“). Hier muss der Ball in ein Netz gepfeffert werden. „Das liebe ich“, sagt Fischer. „Weil, wenn man einmal den Dreh raus hat, dann gelingt es. Das ist so cool, wenn der Ball lautlos ins Netz wuscht.“ „Mach’s mal mit Schmackes!“, ist ein Satz, den er an Bahn 18 ständig hört. Er lacht.
Während Fischer Neuankömmlinge mit Schlägern und Bällen versorgt, ist an Bahn sechs („Korkenzieher-Schänzle“) ein Kindergeburtstag in vollem Gange. Der zehnjährige Malik und seine Freunde haben Zweierteams gebildet und sich lustige Namen gegeben. Luca und Simon nennen sich Killer-Kühe und haben eine Strategie: Simon macht die Vorlagen, Luca befördert den Ball ins Loch. Bahn sieben („Das Halbrund der grauen Haare“) ist eine Herausforderung. „Das ist ja übel schwer“, schimpft einer der Jungs. Das Ziel befindet sich auf einer Schräge.
Auf der Bahn nebenan versucht ein Vater mit seinem vierjährigen Sohn sein Glück. Der Ball muss eine Rampe hoch. Der Mann stöhnt. Der wievielte Versuch ist das? „Ach, der Hundertste. Ich zähle nicht.“
Als Nils Fischer vor einem Jahr das Minigolf-Gärtle übernommen hat, war es ein anspruchsvolles Erbe. Die Anlage auf der Uhlandshöhe ist die älteste in der Region. Alle 18 Bahnen stammen von 1962 und sind immer noch im Originalzustand. Lediglich die Hindernisse hat Fischer abgeschliffen und neu gestrichen. Dass sich durch manchen Betonboden ein Riss zieht oder eine kleine Unebenheit, das darf so sein. „Historisch-charmant“, nennt Fischer das.
Die Schwabs vertrauten Fischer ihr Lebenswerk an
60 Jahre lang war das Minigolf-Gärtle in den Händen der Familie Schwab, die nicht aktiv nach einem Nachfolger gesucht hat. Nils Fischer ist auf sie zugegangen, weil er wissen wollte, wie ein Minigolftag abläuft. Irgendwann traute er sich zu fragen, ob sie schon mal darüber nachgedacht hätte, das Gelände zu verpachten. Familie Schwab vertraute Fischer ihr Lebenswerk an. Erst vor kurzem sei die 101-jährige Seniorchefin mit ihrem Sohn vorbeigekommen, erzählt er. „Sie hat sich darüber gefreut, wie belebt und schön dieser Platz ist.“
Fischer sagt, dass ihn vor allem die Lage in den Bann gezogen habe. Und die Geschichten, von denen die Bahnen erzählen. In den 60er Jahren strömten die Menschen nur so zum Minigolfen, dass die Tore wegen Überfüllung vorübergehend geschlossen werden mussten. 1968 war das Gärtle Austragungsort der deutschen Meisterschaften. In den 80er Jahren ging der Hype zurück, ganz erlosch er aber nie.
Turniere gibt’s auf der Uhlandshöhe nicht mehr. Profis trifft man trotzdem. Fischer hat die Namen der Rekordhalter auf eine Tafel geschrieben. 35 Schläge hat einer für alle 18 Bahnen gebraucht. Erst vor wenigen Tagen war wieder Sarah Schumacher vor Ort. Die vierfache Jugendweltmeisterin, amtierende deutsche Meisterin und Siegerin der Champions League im Minigolf studiert in Stuttgart und kommt regelmäßig vorbei. Beim letzten Mal hielt sie einen Vortrag und zeigte den Besuchern, wie der Hase läuft.
Es war nicht Fischers erstes Event im Gärtle. Ein abendliches Konzert mit dem Schwäbischen Salonensemble gab es schon. Und auf der von Lampions beleuchteten Terrasse finden regelmäßig Yoga-Einheiten statt. Er vermietet die Anlage für Geburtstage und Firmenevents. In Kürze wird eine Hochzeit gefeiert, für die sogar einige Bahnen überdacht werden sollen.
Fischer weiß, dass Minigolf nostalgisch anmutet. Trotzdem glaubt er, dass sein Gärtle eine Zukunft hat. Um das zu unterstreichen, erzählt er von IT-Firmen, deren Mitarbeiter das „analoge Erlebnis“ auf der Uhlandshöhe super fanden. „Die wären zu Tode betrübt gewesen, wenn sie nicht meinen Punktezettel zum Schreiben bekommen hätten, sondern eine App.“
Minigolf ist ein Saisongeschäft, das Anfang November endet. Fischer plant, in den Wintermonaten zu jobben, um weiterhin Geld zu verdienen. „Ich muss nicht reich werden“, sagt er. „Ich glaube, dass ich glücklich bin, wenn ich etwas mache, was mich erfüllt.“ Ja, er könne sich vorstellen, für immer ein Minigolfmann zu sein.