Weil Gas, Öl und Strom knapp sind, dürfte in diesem Winter mehr denn je mit Kaminöfen geheizt werden. Der Aerosol-Forscher Achim Dittler warnt vor den Folgen: Holz sei ein extrem umweltschädlicher Brennstoff.
Gut zwei Jahrzehnte lang war Achim Dittler bei Daimler dafür zuständig, die Abgase von Nutzfahrzeugen sauberer zu machen. 2017 folgte der promovierte Chemie-Ingenieur dem Ruf des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und wurde Leiter der Arbeitsgruppe Gas-Partikel-Systeme. Als frisch ernannter Professor zog Dittler mit seiner Frau von Stuttgart in ein Reihenmittelhaus nach Stutensee, von dort aus ist er in 20 Minuten mit dem Fahrrad an seinem Arbeitsplatz. Er war mit seinem neuen Leben in der Oberrheinischen Tiefebene glücklich – bis der Herbst kam und in seiner Nachbarschaft die Holzöfen befeuert wurden. „Von da an haben wir gesundheitsschädliche Rauchgase eingeatmet, und mein Asthma, das ich eigentlich längst überwunden hatte, wurde getriggert“, erzählt er. „Ich litt unter Atemnot.“
Die Zahlen klingen alarmierend. Laut Umweltbundesamt stoßen die rund elf Millionen Holzöfen und 900 000 Pelletheizungen in Deutschland pro Jahr mehr lungengängigen Feinstaub aus als die 60 Millionen Verbrennungsmotoren in Pkw und Lkw zusammen. Dirk Messner, Chef der Behörde, rät daher „auf Holzverfeuerung zu verzichten“.
Momentan geschieht das Gegenteil. Weil Gas, Öl und Strom durch den Ukraine-Krieg knapp und teuer geworden sind, boomt der Brennstoff Holz. Ofenbauer sind über Monate ausgebucht, und wer bereits einen Kamin im Wohnzimmer hat, hortet so viele Holzscheite, wie er lagern kann. „Unserem Land droht der dreckigste Winter seit Jahrzehnten“, warnt Achim Dittler. „Die Energiekrise wirft uns ins Mittelalter zurück, in eine Zeit vor der Kohle und vor dem Gas.“
Was landet tatsächlich in den Öfen?
Holz verbrennt unvollständig. Dadurch entweichen Rußpartikel, an deren Oberfläche Schadstoffe wie die krebserregenden polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe haften. Verschärfend kommt hinzu, dass in der kostspieligen Heizsaison 22/23 nicht nur trockenes Buchenholz in privaten Öfen landen dürfte, sondern so ziemlich alles, was brennt: lackierte Möbel, lasierte Dielen, Spanplatten und womöglich sogar Müll. Bei der Verbrennung von Lacken, Bindemitteln oder Kunststoffen entsteht ein hochgefährlicher Giftcocktail, unter anderem enthält der Rauch Dioxine und Blausäure.
Nach Schätzungen des Bundesumweltministeriums bringt allein der Feinstaub hierzulande jährlich 45 000 Menschen frühzeitig ins Grab. Zwar lässt es sich schwer belegen, welcher Tote nun genau an der schlechten Luft gestorben ist, erwiesen ist aber, dass Schwebeteilchen, die kleiner als 2,5 Mikrometer sind (im Fachjargon: PM 2,5) in die Lunge eindringen und von dort in die Blutbahn. Asthmaanfälle, Bronchitis und Lungenkrebs können die Folge sein. Auch Schlaganfall, Herzinfarkt und Diabetes werden wahrscheinlicher.
Ende 2020 wollte Achim Dittler herausfinden, wie sehr seine Gesundheit gefährdet ist. Auf der Dachterrasse seines Reihenhauses installierte er eine Messstation. Die Werte, die das 10 000 Euro teure Gerät anzeigte, bestätigten seine Wahrnehmung: In seinem Wohnumfeld war die Luft im Stundenmittel dreimal so stark mit lungengängigem Feinstaub belastet wie am Stuttgarter Neckartor, das als eine der dreckigsten Straßenkreuzungen der Republik gilt. „Der Feinstaub kam eindeutig von den Holzöfen“, sagt Dittler. Andere Emissionsquellen konnte der Aerosol-Forscher ausschließen.
Passivrauchen für alle
Der negative Höhepunkt war am 21. Dezember vergangenen Jahres erreicht: Um 18.10 Uhr schoss die PM 2,5-Konzentration innerhalb von 20 Minuten auf 144 Mikrogramm pro Kubikmeter an. Von der Gesundheitsschädlichkeit sei das vergleichbar, wie wenn man in einem geschlossenen Raum neben einem Raucher sitze, sagt Dittler. „Die Gase verteilten sich bodennah und drangen über Lüftungssysteme in mehrere Häuser ein. Anwohner klagten an diesem Abend über Übelkeit und Kopfschmerzen.“
Die bundesweit rund 350 behördlichen Messstationen stehen meistens an Hauptverkehrsstraßen, Wohngebiete bleiben normalerweise außen vor. Zudem ist bei PM 2,5-Partikeln nur ein Jahresmittelwert umweltrechtlich relevant. Extreme Luftverschmutzung, die stundenweise auftritt, führt nicht zu einer Überschreitung der offiziellen Grenzwerte. Für Achim Dittler ist diese gesetzliche Regelung ein Skandal. „Holzofengate ist größer als Dieselgate“, sagt er. „Die Abgase von modernen Verbrennungsmotoren werden mittlerweile mit hochwirksamen Partikelfiltern gereinigt, während Holzöfen Feinstaub und Schadgase ungefiltert in die Umwelt pusten.“ Laut einer EU-Studie stoßen die Geräte in der Praxis deutlich mehr Schadstoffe aus, als die Hersteller angeben. „Selbst die umweltfreundlichsten Holzöfen verursachen wesentlich mehr luftverschmutzende Schadstoffe als Heizöl- oder Erdgasheizungen“, sagt Dittler.
Ist Holz ein nachhaltiger Brennstoff?
Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse verbreitet der Aerosol-Forscher auf Twitter. Fast täglich erhält Dittler Reaktionen von Betroffenen aus Baden-Württemberg, von Menschen aus Böblingen, Esslingen oder auch aus dem idyllischen Schwarzwalddorf Schielberg, die unter den Rauchschwaden in ihren Wohngebieten leiden. Ihre Erfahrungen gleichen sich: Wer sich bei der Kommune über die Belästigung beschwert, erreicht bestenfalls, dass ein Schornsteinfeger die Lage vor Ort – nach Voranmeldung bei den Rauchverursachern – sondiert und für regelkonform erklärt. „Die Betroffenen stehen da wie überempfindliche Idioten“, sagt Dittler. „Die Politik nimmt das Thema nicht ernst.“
Was wohl auch daran liegt, dass Holzverfeuerung lange Zeit als nachhaltige Form des Heizens empfohlen und staatlich gefördert wurde. Mitte September stimmte das Europaparlament zwar dafür, die Menge von Holz, die für die Wärmeerzeugung genutzt werden darf, zu verringern und die Subventionen einzuschränken. Als erneuerbare Energie soll die Holzverbrennung aber weiterhin gelten, weil ein Baum im Laufe seines Lebens genauso viel Kohlendioxid (CO2), speichere wie er in die Atmosphäre abgebe.
„Menschen neigen dazu, einfachen Botschaften, die erst einmal plausibel klingen, zu glauben“, sagt Dittler. Tatsächlich unterschlage die EU in ihrer Kalkulation den Faktor Zeit: Bäume wachsen über Jahrzehnte, ihr Holz setzt aber bei der Verbrennung auf einen Schlag sehr viel CO2 frei – und zwar „für jede Kilowattstunde Wärme zwei- bis dreimal so viel wie bei der Verwendung fossiler Brennstoffe“. So steht es in einem offenen Brief, den 500 Wissenschaftler aus zahlreichen Ländern kürzlich veröffentlicht haben. Statt Bäume zu verheizen, sei es für das Klima wesentlich besser, sie leben zu lassen oder zumindest für langlebige Produkte wie Möbel oder Bauholz zu verwenden.
„Reichenstaub“ in den Villenvierteln
Der Schweizer Meteorologe Jörg Kachelmann fordert schon seit vielen Jahren ein Verbot des „Hausbrands“. Er spricht von der „Holzofen-Lüge“, der „unendlichen Dummheit von Politikern“ und einer langsamen Vergiftung durch „Reichenstaub“, benannt nach den Villenvierteln, in denen in jedem Eigenheim ein Kaminofen installiert ist.
Achim Dittler drückt sich zwar weniger provokant aus, seine Botschaft ist aber die gleiche. „Ich würde mir wünschen, dass die Gesellschaft das Thema mit mehr Realismus betrachtet“, sagt er. „Holzöfen werden mit Begriffen wie Gemütlichkeit, Entspannen, Wohlfühlen vermarktet. Wir sehnen uns nach dem heimeligen Feuer, es bietet Schutz und Geborgenheit. Diese Wahrnehmung stammt noch aus der Neandertalerzeit, dabei können wir inzwischen bestens ohne Holzverbrennung leben.“
Dass inzwischen selbst konservative Blätter wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die „Wirtschaftswoche“ und „Die Welt“ den Holzofen-Kritiker Dittler ausführlich zu Wort kommen lassen, wird in der Brennholzbranche bissig kommentiert. Der Karlsruher Institutsleiter betreibe „pseudowissenschaftliche Hetze gegen Holzheizungen“, schreibt die Zeitschrift „Forstpraxis“. Starke Rauchentwicklung, die derzeit vielerorts bemerkt werde, sei lediglich Folge von Bedienfehlern oder dem Umstand geschuldet, dass alte Öfen wieder in Betrieb seien, die eigentlich schon stillgelegt werden mussten: „Das ist aber das Ergebnis einer akuten Krisensituation und darf nicht dazu führen, dass ein Professor und die Medien die gesamte Holzenergie verteufeln.“
Anfeindungen gegen den Wissenschaftler
Auch manche Eigentümer einer „handbeschickten Einzelraumfeuerung“ (Amtsdeutsch) sind auf Dittler nicht gut zu sprechen und schicken wütende Briefe an sein Karlsruher Institut: „Wie viel Geld haben Sie eigentlich für Ihre Aussage bekommen, dass Holzöfen die Atemluft belasten?“ – „Ihnen sind wohl die letzten Gehirnzellen als Rauch durch Ihren Schornstein entwichen.“ – „Ich wünsche mir, dass es in diesem Jahr einen besonders kalten Winter gibt. Da wären Sie froh, wenn Sie ein Stück Holz hätten, um Ihren kalten Arsch zu wärmen.“ Und so weiter. Dittler sagt, dass er sich nicht einschüchtern lasse. „Mit solchen Reaktionen muss man als Wissenschaftler heutzutage leider leben, wenn man Fakten vermittelt, die dem Meinungsbild widersprechen.“
In Stutensee verlief Dittlers Kampf für saubere Luft ergebnislos. Seine Eingaben an die Kommune, das Landratsamt und das Regierungspräsidium wurden abgeschmettert. Das baden-württembergische Umweltministerium schrieb ihm, dass im Jahresmittel die Luftqualität in seinem Wohngebiet gesetzeskonform sei – „auch wenn Ihnen das nicht gefallen mag“. Nun verlegen Achim Dittler und seine Frau ihren Hauptwohnsitz. Das Ehepaar zieht an einen Ort, wo es an Winterabenden nicht nach Rauch stinkt.