Eine große Reise, außen wie innen: Reese Witherspoon in „Der große Trip – Wild“ Foto: Verleih

Reese Witherspoon beeindruckt als Frau, die auf einer langen Wanderung den Boden unter den Füßen zurückgewinnt: In der Verfilmung der Autobiografie von Cheryl Strayed entblößt sie sich und taucht unvorbereitet in die ­harsche Wildnis ein.

Filmkritik und Trailer zum Kinofilm "Der große Trip - Wild"

Cheryl Strayed ist hingegangen, wo es wehtut: Traumatisiert durch den Krebstod ihrer Mutter suchte sie Vergessen in hartem Sex mit Fremden und in harten Drogen, sie ruinierte ihre Ehe und zerstörte ihr Leben – beinahe. Denn gerade rechtzeitig fasste sie den Entschluss, es mit der Natur zu versuchen: Sie wanderte auf dem Pacific Crest Trail an der US-Westküste von Kalifornien Richtung Kanada in der Hoffnung, zu sich zu kommen, sich selbst wiederzufinden.

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Strayed hat ihre Erlebnisse in einem autobiografischen Buch verarbeitet, Reese Witherspoon, Oscar-Preisträgerin für ihre Rolle als June Carter-Cash in „Hold The Line“ (2005), sicherte sich die Filmrechte – und übernahm selbst die Hauptrolle. Und auch Witherspoon geht mutig hin, wo es wehtut: Als Cheryl entblößt sie sich, taucht unvorbereitet in die harsche Wildnis ein und durchlebt in schonungslosen Rückblenden den Tod der fürsorglichen Mutter sowie den folgenden Absturz.

Dabei geht es ihr, Regisseur Jean-Marc Vallée („Dallas Buyers Club“) und Drehbuchautor Nick Hornby („High Fidelity“) nicht um Effekthascherei, sondern einzig darum, möglichst wahrhaftig zu motivieren, wieso diese Frau das Abenteuer auf sich nimmt. Bei den sexuellen Eskapaden geht es rau zur Sache, Heroinspritzen führen in die innere Ödnis – nichts wird da beschönigt oder romantisiert. Genau wie in der Natur auch: Cheryl geht natürlich mit einem viel zu schweren Rucksack los und mit völlig untauglicher Ausrüstung, höchstens ansatzweise ahnend, was sie sich da eigentlich vorgenommen hat.

Sie muss sich daran gewöhnen, tagelang allein zu sein und in Krisensituationen ganz auf sich gestellt. Und sie muss ein Gespür dafür entwickeln, wem sie dort draußen vertrauen kann – nicht von jedem Mann geht Gefahr aus, aber mancher Jäger oder Ranger hat lange keine Frau gesehen. Die meisten Begegnungen mit Wanderern, Abenteurern, Hippies und Kindern aber bereichern sie. Das erinnert ein wenig an David Lynchs „Straight Story“ (1999), die beschwerliche Reise eines alten Mannes auf einem Traktor zu seinem kranken Bruder.

Witherspoon geht in der Rolle auf, sie nimmt die Zuschauer mit auf einen wilden Trip im doppelten Sinn: Einerseits lässt sie sie teilhaben am äußeren Erleben ihrer Figur, an Exzessen, existenziellen Nöten und Blasen an den Füßen; andererseits bändigt Cheryl mit fortschreitender Wanderung beinahe unmerklich und sehr glaubhaft den Aufruhr in ihrem Innern. Eine große persönliche Entwicklung vollzieht sich da auf der Leinwand bis zu dem Punkt, an dem sie weiß, dass sie weit genug gelaufen und die Rückkehr ins Leben mit Händen zu greifen ist.

Eine Sonderstellung im starken Ensemble nimmt auch Laura Dern ein („Blue Velvet“, „Wild At Heart“), die eine großartige Mutter spielt: Alleinerziehend bringt sie ihre Kinder durch, ohne sich je zu beklagen, immer verströmt sie gute Laune und hat für alle ein freundliches Wort. Sie lebt ganz im Moment und versucht, jeden einzelnen zu genießen – eine starke Demonstration, wie wenig Materielles es dafür braucht.

Cheryls Reifung vollzieht sich vor der Folie fantastischer nordamerikanischer Landschaften: Wüsten, verschneite Berge, Nadelwälder und reißende Flüsse liegen zwischen ihr und ihrem Ziel. Darum hat sie es auch wirklich verdient, wenn sie schließlich ankommt.

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