Marine Le Pen und ihre Partei, der Front National, stecken in der Krise. Foto: AFP

Marine Le Pen, die tief gefallene Chefin des französischen Front National, macht reinen Tisch. Unter neuem Namen, mit neuen Statuten und neuem Programm will sie die Partei wieder beleben.

Paris - Sie ist Trennungen gewohnt. Wenn jemand fortgehe, bringe das einen nicht um, pflegt Marine Le Pen zu sagen. Zwei Scheidungen hat die Chefin des französischen Front National (FN) durchgestanden. Mit dem Vater Jean Marie, dem Parteigründer, hat sie sich überworfen. Die Nichte Marion Maréchal Le Pen, die sich dem rechtsradikalen Großvater näher fühlte als der einen salonfähigen Rechtspopulismus anstrebenden Tante, hat ebenfalls das Weite gesucht. Die aufstrebende FN-Jungpolitikerin nahm sich eine politische Auszeit. Marine Le Pen hat sich damit abgefunden. Als ihr im vergangenen September auch noch ihr Mentor und Stellvertreter Florian Philippot die Treue aufkündigte und eine konkurrierende Partei gründete, die Patrioten, trug die FN-Vorsitzende das ebenfalls mit Fassung und sagte später: „Das war wie bei einer Scheidung.“ Es hatte etwas Befreiendes, sollte das heißen.

Aber dass ihr auch noch die Wähler in Scharen davonlaufen, damit will sich die 49-Jährige nicht abfinden. In Beliebtheitsumfragen droht der Sturz ins Bodenlose. Noch im vergangenen Mai schien sie in Frankreich kurz vor der Machtübernahme zu stehen. Nun bescheinigen ihr die Meinungsforscher noch ganze 17 Prozent Zustimmung. Schon die bei der Stichwahl um das Präsidentenamt im vergangenen Mai verbuchten 33,9 Prozent waren für Le Pen eine herbe Enttäuschung gewesen. Selbst unter langjährigen Getreuen schwindet der Glauben, die Rechtspopulistin könnte das 2017 verfehlte Ziel in einem zweiten Anlauf erreichen und den Élysée-Palast im Jahr 2022 erobern.

Marine Le Pen hat nichts mehr zu verlieren

Für Marine Le Pen ist das zu viel des Schlechten. Die kampferprobte ehemalige Anwältin wehrt sich. Viel hat sie nicht mehr zu verlieren. Und so geht sie aufs Ganze, macht Tabula rasa. Ein neues Programm, neue Statuten und einen neuen Namen will sie dem Front National verpassen. Nach einer Mitgliederbefragung sollen die Neuerungen am 10. und 11. März in Lille auf einem Sonderparteitag verabschiedet werden. Als sicher gilt, dass das holzschnittartige Feindbild EU und Euro fürs neue Parteiprogramm weichgezeichnet wird. Eine Frontalopposition gegen die Europäische Union und die Gemeinschaftswährung sind nicht  mehrheitsfähig. Laut Umfragen wollen 70 Prozent der Franzosen am Euro festhalten. „Der institutionelle Big Bang, den wir den Franzosen vorgeschlagen haben, hat Angst ausgelöst“, stellt Le Pen fest und zieht die Konsequenzen.

Vom einst propagierten Frexit soll nicht mehr die Rede sein. Sie sei nicht gegen Europa, sie wolle lediglich ein anderes, eines der Nationen, hat Le Pen wissen lassen. Der Abschied vom Euro könne am Ende eines langwierigen Umbaus der Gemeinschaft stehen.

Bleibt das zweite Feindbild: die Einwanderer. Le Pen will die Konturen nachzeichnen, entschlossener noch als bisher den Kampf gegen die Immigration führen. Auch damit liegt die Politikerin im Trend. „60 bis 70 Prozent der Franzosen fordern Festigkeit in der Einwanderungspolitik“, versichert Jérôme Fourquet, Leiter des Meinungsforschungsinstituts IFOP.

Die Chefin bleibt von der Runderneuerung verschont

Sich dem Wähler als oberste Grenzschützerin zu empfehlen, ist allerdings schwieriger geworden. Die politische Konkurrenz hat Volkes Stimme ebenfalls vernommen. Auch Staatschef Emmanuel Macron und der Vorsitzende der konservativen Republikaner, Laurent Wauquiez, propagieren Härte gegenüber Wirtschaftsflüchtlingen.  Im Vorgriff auf den verschärften Feldzug gegen Fremde hat Le Pen kürzlich das Pariser Abschiebegefängnis aufgesucht. Von Niederlagen gezeichnet, der Teint blass, das Lächeln erstarrt, beklagte die Besucherin, dass viele Zellen leer seien, deutete dies als fehlende Festigkeit des Staates und fragte in die Runde: „Wir haben die Schwelle von 100 000 Asylbewerbern pro Jahr überschritten, wo sind die 60 Prozent abgelehnten?“

Eines freilich soll von der geplanten  Runderneuerung ausgenommen sein – oder besser: eine. Marine Le Pen bleibt, was sie ist. Ihre Wiederwahl zur Parteichefin gilt als sicher. Nicht, dass es innerhalb des FN keine Zweifel an den Siegerinnenqualitäten der Vorsitzenden gäbe, aber die innerparteilichen Machtverhältnisse sind dauerhaft zementiert. Zwei Außenseiter, die in Lille als Gegenkandidaten antreten wollten, sind bereits im Vorfeld an Zulassungsvoraussetzungen gescheitert. Le Pen winkt deshalb ein Wahlergebnis sowjetischen Ausmaßes.

Was den neuen Namen betrifft, baut Le Pen auf Vorschläge einer Kommunikationsagentur. „Wir suchen etwas, das Bewegung signalisiert, so etwas wie Macrons En Marche!“, hat ein Vertrauter der Vorsitzenden verraten. Dass der alte Name in Verruf geraten ist, steht außer Frage. Mit Rechtsradikalismus wird er in Verbindung gebracht. „Manchen Franzosen macht der Name einfach Angst“, hat Marine Le Pen festgestellt. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Europaabgeordnete des FN haben ihn zusätzlich diskreditiert. Die Parlamentarier stehen im Verdacht, ihnen angeblich in Straßburg zur Hand gehende Assistenten für Arbeiten in der Parteizentrale abgestellt zu haben.

Hoffnung auf eine Schwäche Macrons

Von Grund auf erneuert soll die Partei sich nach dem Willen der Chefin dann als wichtigste oppositionelle Kraft profilieren. Die Chance hierzu bietet sich durchaus. Jean-Luc Mélenchon, der Le Pen links außen Konkurrenz machende Chef des „Unbeugsamen Frankreich“, ist weitgehend verstummt. Zerknirscht musste der von Venezuelas früherem Diktator Hugo Chávez inspirierte Volkstribun einräumen, dass der von ihm prophezeite Aufstand der Massen gegen die von Staatschef Emmanuel Macron im Eilverfahren durchgesetzte Arbeitsmarktreform ausgeblieben ist.

Laurent Wauquiez, der weit nach rechts ausgreifende neue Vorsitzende der Republikaner, gibt sich zwar radikal, muss aber auf seine bürgerliche Klientel Rücksicht nehmen und kann nicht so laut tönen wie die Kollegin vom Front National. Mit Genugtuung hat Le Pen vernommen, dass Sozialwissenschaftler dem sich seit Wochen wachsender Beliebtheit erfreuenden Staatschef Rückschläge prophezeien. So erwartet etwa der Politologe Pascal Perrineau, dass Macrons Reformeifer an Grenzen stoßen und die Aufbruchstimmung in Ernüchterung umschlagen wird. Deshalb prophezeit Perrineau eine wachsende Zahl von Enttäuschten, die für populistische Schalmeienklänge empfänglich sind.

Ein Problem bleibt erhalten

Tatsächlich war Marine Le Pen schon einmal dicht dran an der Macht. Im vergangenen Frühjahr noch hatte die Rechtspopulistin im Präsidentschaftswahlkampf die durch Trump und Brexit verunsicherten EU-Partner das Fürchten gelehrt. Bis sie dann Anfang Mai im TV-Duell mit dem späteren Sieger Macron ein erbärmliches Bild abgab. Wie sie auf europa- und wirtschaftspolitischem Terrain die Orientierung verlor, sich in Widersprüche verwickelte und außer wütenden Attacken nicht mehr viel zu bieten hatte, das hat sich tief ins kollektive Gedächtnis der Franzosen eingegraben.

Ein Problem allerdings bleibt dem Front National über den Neugründungskongress hinaus erhalten. Selbst wenn er das etliche Wählerschichten abschreckende Etikett Front National tilgen mag: Ein anderes, das womöglich noch mehr verstört, wird auch der neuen Partei anhaften. Es ist der Name Le Pen. „Wenn man die Partei umbenennt, muss man auch Marine umbenennen“, soll ihre Nichte Marion Maréchal Le Pen in privatem Kreis spitz angemerkt und angefügt haben: „Oder können Sie sich vorstellen, Marine Le Pen an der Spitze einer Partei der Blumen?“