Die Luftfahrt von Salomon Idler endete tödlich. Für vier Hühner. Der

Die Luftfahrt von Salomon Idler endete tödlich. Für vier Hühner. Der Bad Cannstatter überlebte im Sommer 1659 den Sprung von einem Schuppen. Er war damit der erste Deutsche, der einen Flugversuch wagte. Dieser Tage wäre Salomon Idler 400 Jahre alt geworden.

Von Frank Rothfuss

STUTTGART. Vom Schneider von Ulm hat jeder schon einmal gehört. Albrecht Berblingers Versuch vom 31. Mai 1811, mit einem Hängegleiter zu fliegen, und der Sturz in die Donau sind Allgemeingut. Dass 152 Jahre früher ein Deutscher mit einem selbst gebauten Apparat fliegen wollte, war bisher kaum bekannt. 1659, kurz nach den Wirren des Dreißigjährigen Kriegs, hatten die Menschen andere Sorgen, als sich für einen waghalsigen Flugpionier zu interessieren. Zeitungen waren noch nicht verbreitet. So geriet der Flug des Salomon Idler in Vergessenheit. Bis seine Nachfahren zu forschen begannen. Nun versuchen sie, ihren Urahn und seine Luftfahrt bekanntzumachen. Mit Erfolg. In Augsburg, dem Ort seines Sprungs von einem Schuppen, wurde eine Straße nach ihm benannt und eine Plakette angebracht. In Idlers Heimatstadt will demnächst der Verein Pro Alt-Cannstatt mit einer Tafel über Idler informieren.

Der Verein will die Tafel an dem Haus Brählesgasse 3 aufhängen. Früher hieß die Straße in der Altstadt Fischergasse. Dort war Salomon Idler am 11. Februar 1610 geboren worden. Viel mehr weiß man nicht über die Kindheit und Jugend von Idler. Von 1618 bis 1648 tobte der Dreißigjährige Krieg, Söldner plünderten und mordeten. Städte und Dörfer lagen in Schutt und Asche, von 17 Millionen Deutschen starben vier Millionen. Wie es Idler in diesen Wirren nach Augsburg verschlug, ist nicht bekannt. Dank Eugen Oskar Rindt weiß man immerhin einiges über sein Leben dort. 1942 schrieb der Philosoph an der Ludwig-Maximilians-Universität in München seine Doktorarbeit: "Grundlagen für ein Lebensbild des fliegenden Schusters von Augsburg".

Dafür wertete Rindt die Steuerakten aus und studierte Prozessakten. Denn Jahre nach seinem Flug verklagten die Augsburger Meistersinger vor dem Hohen Rat Salomon Idler, weil er sich "erdreistete, als Schauspieldirektor zu agieren". Um zu untermauern, dass Idler offensichtlich nicht bei Sinnen sei, führten sie an, er sei "hirnlos und luftsinnig", weil er seinen "närrischen Einbilden nach" vom 63 Meter hohen Perlachturm habe springen wollen. Das stimmt tatsächlich.

Idler arbeitete als Schuhmacher, träumte aber vom Fliegen. Also bastelte er aus Eisen und bunten, am Gestell angeleimten Federn Flügel. Und wollte vom Perlachturm springen. Sein Pfarrer jedoch glaubte nicht an den Erfolg des Unternehmens und redete ihm den Sprung aus. Er sagte zu ihm: "Wenn du fliegen kannst, dann flieg doch zuerst hinauf!" Idler stieg nicht auf den Turm, seinen Traum aber gab er nicht auf.

Er arbeitete weiter an seinem Fluggerät. Im Sommer 1659 kletterte er auf das Dach eines Schuppens im Rahmgartengässchen. Er zwängte die Arme in die Flügel und sprang. Der Flug war von kurzer Dauer. Ein Holzgestell, das zum Lüften von Betten diente, bremste seinen Sturz: Er wurde kaum verletzt. Vier Hennen hatten weniger Glück. Idler erschlug sie beim Aufschlag. Sieht man von Ikarus ab, waren sie die ersten bekannten Opfer der bemannten Luftfahrt.

Idler war die Lust auf weitere Flüge vergangen. Im Zorn zerhackte er die Reste seiner Flügel. Aber die Nachricht von seinem Absturz machte die Runde. Fortan nannte man ihn in Augsburg nur noch den "fliegenden Schuster". Als Schuhmacher aber wollte Idler nicht mehr arbeiten. Er fühlte sich zu Höherem berufen. Und wenn sein Ruhm auch zweifelhaft war, so wollte er ihn doch nutzen. Er dressierte Pferde, versuchte sich als Gaukler und Possenreißer im Theater. 1663 gründete er eine eigene Schauspieltruppe und verfasste Theaterstücke. Was die Konkurrenz, die Meistersinger, erzürnte. Sie strengten den Prozess an und gewannen. Idler war hoch verschuldet, arbeitete wieder als Schuhmacher. Am 17. März 1670 starb er in Augsburg. Seine Frau musste ins Armenhaus ziehen.

Mit dieser historischen Figur hat jener Salomon Idler wenig gemein, den Peter Dempf in seinem Roman "Der Teufelsvogel des Salomon Idler" beschrieb. In dem im Jahr 2000 erschienenen Buch ist Idler eine Art James Bond im Dreißigjährigen Krieg. Er findet ein geheimnisvolles Manuskript, das Zeichnungen von Fluggeräten enthält. Sowohl die Schweden als Vertreter der Protestantischen Union als auch die Feldherren Tilly und Wallenstein von der Katholischen Liga erfahren davon und vermuten, die Fluggeräte könnten den Krieg entscheiden. Also jagen sie Idler, der sich bei der Hure Agnes verbirgt. Dann bricht die Pest aus.

Auch der Roman hat Idler wenig Ruhm beschert. Dies soll sich nun ändern. Seine Nachfahren hoffen, dass man künftig den Schneider von Ulm und den fliegenden Schuster in einem Atemzug nennt.