Antonio Yang (Holländer) und Inga-Britt Andersson (Senta) Foto: Oliver Vogel

Wagners „Fliegender Holländer“ sorgte für einen spannenden Auftakt der Opernfestspiele Heidenheim.

Heidenheim - Senta riskiert alles. Träumt, bis der Mann ihrer Träume vor ihr steht, und dann wirft sie alle Sicherheiten über Bord. Doch noch hat am Freitagabend Wagners „Fliegendem Holländer“ bei den Opernfestspielen Heidenheim nicht begonnen, es ist schwül, und die Veranstalter riskieren lieber nichts. Die Open-Air-Opernpremiere findet im Saale statt. Wer deshalb enttäuscht ist oder wehmütig, kann hinüberspazieren zur Burgruine und sich vorstellen, wie das Schiff des ewig Untoten vor fledermausbewohntem altem Gemäuer gewirkt hätte. Wobei man – und das ist das Glück im Unglück – in Heidenheim außer Freiluftatmosphäre und Mückenstichen durch die Verlagerung ins Festspielhaus gleich neben der Burg Hellenstein nichts verpasst, denn die Inszenierung ist drinnen wie draußen dieselbe, und hüben wie drüben finden sich auf der Bühne dieselben schräg gestellten, übereinandergeschobenen und nach vorne offenen Holzcontainer.

 

Und wie dramatisch, ja geradezu knallig klingt drinnen das Orchester! Das wäre an der frischen Luft gewiss nicht passiert. Marcus Bosch, seit 2010 künstlerischer Leiter des Festivals, dirigiert die Stuttgarter Philharmoniker, die – was für ein Luxus! – hier als Festivalorchester residieren, und schon die Ouvertüre ist ganz Theater: zugespitzt, aufgerauht. Die italienischen Bestandteile des Stücks wie auch die Anleihen Wagners bei der deutschen Spieloper: Man kann sie hören. Bosch lässt sich in diesem Werk des Übergangs auf große dramatische Bögen ebenso ein wie auf reizende Klangnischen des bürgerlich-biederen Dreivierteltakts, und die Musiker folgen ihm mit gut gebündelten Aktionen. Die Bläser sind bei der Premiere gelegentlich ein wenig intonationsschwach, aber dass manche ihrer Aktionen an diesem Abend nicht ganz zusammenkommen, könnte auch der Breite des Orchestergrabens geschuldet sein.

Die Sänger leisten Erstklassiges. Inga-Britt Andersson gibt der Senta vor allem in der Mittellage blühende Farben mit, Randall Jakobsch ist ein prägnant singender und artikulierender Daland, Vincent Wolfsteiner ein überraschend facettenreicher Erik mit weichem Tenor, Martin Platz ein stimmschöner Steuermann, und Antonio Yang verleiht dem Holländer auf so überzeugende Weise düstere Kraft, dass man manches intonatorisch nur Ungefähre nicht gar so wichtig nehmen muss.

Kapitalismuskritik und Missbrauchsgeschichte

Der Grundgedanke von Georg Schmiedleitners Inszenierung entspricht Boschs Zugriff: Auch der Regisseur, der zuletzt an Boschs Haus, dem Staatstheater Nürnberg, für seine „Ring“-Inszenierung viel Zuspruch erhielt, geht rasch und griffig zur Sache. Daland, Musterkapitalist, lässt seine Security-Männer mit goldenen Scheinchen schmeißen und die Frauen in der Spinnstube Pakete füllen und leeren (das gab’s 2013 auch bei Jan-Philipp Gloger in Bayreuth). Außerdem grapscht Daland so selbstverständlich an seiner Tochter herum, dass man deren Weltfluchtfantasien unbedingt als Folge frühen Missbrauchs deuten muss, und so wirkt es kein bisschen aufgesetzt, wenn der hier omnipräsente Steuermann, irre kichernd, wie wenn er unter Drogen stünde, am Ende den bösen Handelsmann in die ewigen Jagdgründe des Kapitalismus befördert. Vorher hat Senta, zwischendurch mit schwarzen Flügeln versehen wie ein gefallener Engel, den bigotten Erik beiseite geschafft – auch das ist radikal, aber zwingend, denn auch er missbraucht das Mädchen, das er sich untertan machen will. Außerdem gibt es für ihn neben den beiden ziemlich rockig-schwarzen Außenseitern ohnehin gar keinen Platz. Draußen in der Burg, hört man, wäre Senta so in den Tod gesprungen, wie es Wagners Partitur vorsieht. Drinnen im Festspielhaus indes – und da macht das Drinnen dann doch Differenzierteres möglich – endet das Stück mit einem langen Kuss. Ein Happy End bei Wagners „Holländer“: Ja, das ist möglich, logisch und bezaubernd, und überhaupt hat diese Inszenierung nichts von sommerlich-luftiger Dekoration, sondern fördert Facetten eines Stücks zu Tage, dessen tiefenpsychologische Grundierung unbekannter ist, als es sein Bekanntheitsgrad vermuten ließe.

Termine 14./15., 21./22., 26. und 28. Juli