Adolf Fleischmann, unbetiteltes Ölbild aus dem Jahr 1955 Foto: Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt

Vor allem mit einem fulminanten Spätwerk hat sich der Maler Adolf Fleischmann (1892–1968) einen festen Platz in der jüngeren Kunstgeschichte gesichert. Für das breite Publikum ist sein Werk aber immer noch zu entdecken – eine Schau in Ingolstadt will dazu beitragen.

Ingolstadt - Manchmal soll es halt nicht sein. Zumindest nicht sofort. Denn wenn ein Künstler zwei Kriege erlebt, im ersten auch noch an der Ostfront schwerste Verletzungen erleidet und dann sein Leben lang zwischen den Welten pendelt, wird es schwierig. Da kann er noch so talentiert sein – und Adolf Fleischmann (1892–1968) aus Esslingen war mit beträchtlichen Fähigkeiten ausgestattet. Man ist immer wieder verblüfft von diesem Œuvre, das jetzt im Museum Konkreter Kunst in Ingolstadt zu sehen ist. Von den am Kubismus orientierten Experimenten oder ausgedehnten Phasen, in denen geometrische Formen dominieren, bis hin zur endgültigen Stilfindung, die im Konstruktivismus verhaftet ist und selbstgewiss zwischen Piet Mondrian und Mark Rothko schwebt.

Fleischmann ging da schon auf die 60 zu, war eben erst nach New York emigriert, ohne auch nur ein einziges Wort Englisch zu sprechen, und wie so oft auf Jobsuche. Nicht als Lehrer an einer Kunstakademie, wie man das erwarten würde – und damit sind wir wieder bei den unterschiedlichen Welten, die jetzt auch den besonderen Reiz der Ausstellung ausmachen: in diesem Fall der Kunst und Medizin. Denn Fleischmann hatte vor dem Akademiestudium in Stuttgart die Königliche Kunstgewerbeschule besucht und sich seither mit Gebrauchsgrafik und in der Folge als medizinischer Zeichner über Wasser gehalten. Was er etwa in der Histologie durchs Mikroskop sah und mit dem Stift festhielt, lässt an geomorfe Formationen denken. Oder an eine Mischung aus Frottage und Drip Painting in extremer Verfeinerung.

In Zürich ist er ein Suchender

Echte medizinische Meriten hat sich Fleischmann allerdings in den 1920er Jahren durch die Abformung kranker Körperteile für die Chirurgische Klinik in Zürich gemacht. Die im Fachjargon Moulagen genannten Wachsrepliken wurden zu Lehr- und Dokumentationszwecken angefertigt, und in Ingolstadt sind nun dank der Zusammenarbeit mit dem nur 500 Meter entfernten Deutschen Medizinhistorischen Museum besondere Exemplare in einem eigenen Raum diskret in weißen Stoff geschlagen. Im Gegensatz zu ein paar gruseligen Beispielen im ansonsten sehr lesenswerten und sowieso grundlegenden Katalog kann man deren Anblick tatsächlich ganz gut aushalten.

In dieser Züricher Zeit ist Fleischmann ein Suchender, einer, der Verschiedenstes aufsaugt, das Expressive und dann besonders die Formensprache des Kubismus („Kubistische Komposition mit Tier- oder Fischelementen“, 1921). Um sich ganz der Kunst zu widmen, verlässt er 1927 die Schweiz, geht auf Reisen durch ganz Europa, versucht, in Berlin Fuß zu fassen, doch seine für das Jahr 1933 geplante Ausstellung wird kurzfristig abgesagt. Die Nationalsozialisten haben die Macht übernommen, und Fleischmann gehört zu den Ersten, die Deutschland verlassen. In Palma de Mallorca fühlt er sich eine Weile sicher, malt Landschaften und Stillleben, um alsbald wieder durch halb Europa zu fliehen. Die französischen Einflüsse sind greifbar in den Arbeiten der 1930er Jahre: Da wären Delaunay oder Gleizes, auch eine Spur Kandinsky.

Der Weg führt nun endgültig weg von der Gegenständlichkeit. Und Paris ist nach 1945 die Metropole der Abstraktion, hier will Fleischmann neu anfangen. Wie so viele hat er alles verloren, in den letzten Kriegstagen lernt er jedoch seine spätere Frau Elly kennen – ein Glücksfall. Mehr schlecht als recht schlagen sich die beiden durch, Fleischmann entwirft Halstücher, Glasfenster – für geschmackvolle Farbkombinationen hat er immer schon ein Händchen.

Mit 58 findet der Maler seinen Stil

Gleichzeitig ziehen sich schwungvolle Linien durch seine Kunst, Poesie und Musik scheinen hier aufeinanderzutreffen („Helle Kurven“, um 1949). Doch dann kommt es zu einer deutlichen Zäsur, kurz nach seinem 58. Geburtstag hat der Maler ihn endlich gefunden, seinen Stil: Auf dunklem Grund verlaufen schmale Streifen – parallel sowie in der bald charakteristischen L-Form. Und man realisiert auch in der Ausstellung diesen regelrechten Kick.

So könnte es weitergehen, doch Fleischmann sagt wieder einmal Adieu. Europa ist ihm nach wie vor zu unsicher, er befürchtet einen dritten Weltkrieg und verlässt Frankreich, um mit Ehefrau Elly nach Amerika aufzubrechen. Noch einmal fängt er bei null an, und es dauert lange, bis er als Laborassistent an der Columbia University arbeiten kann. In der knapp bemessenen Freizeit geht es an die Staffelei. Unermüdlich.

Das Chaos auf den Straßen strengt mächtig an, zugleich wird die Stadt mit ihren Wolkenkratzern aber genauso zur Quelle der Inspiration. Und Fleischmann ist bei allen Vorbehalten auch ein Netzwerker, bald schon werden die Kritiker auf ihn aufmerksam. Sie feiern den Deutschen als neuen Mondrian, während er zur Form seines Lebens aufläuft und gute Ausstellungen hat.

Kurzer Höhenflug, früher Tod

Der Höhenflug ist leider von kurzer Dauer. 1965 erleidet Fleischmann einen Schlaganfall und kehrt endgültig nach Stuttgart zurück. Dorthin, wo bis vor kurzem ein Wandteppich von beträchtlichem Ausmaß quasi „unerkannt“ im Lesesaal der Staatsbibliothek hing. Den hatte Marion Ruisinger, die Direktorin des Medizinhistorischen Museums, eher zufällig bei ihren Recherchen entdeckt. Auch das passt im Grunde wieder zu dieser kuriosen Künstlervita.

Adolf Fleischmann galten zuletzt beachtenswerte Ausstellungsprojekte – nicht zuletzt initiiert durch die Galerie Schlichtenmaier in Grafenau und Stuttgart. Die ausgesprochen fundierte Schau im Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt, die das Doppelleben dieses späten wie eigenständigen Konstruktivisten auffächert, ist nun ein wichtiger Schritt, den Farbformdichter Adolf Fleischmann wieder umfassend ins Gedächtnis zu holen.