Viel Rauch um nichts? Ganz und gar nicht – Robert Menasse hat seinen europäischen Visionen einen Bärendienst erwiesen. Foto: dpa

Der österreichische Autor Robert Menasse verwechselt die Freiheiten der Literatur mit einer europapolitischen Agenda. Das hat fatale Folgen, kommentiert Stefan Kister.

Stuttgart - Soviel ist klar: Dichter lügen, das wusste schon der griechische Philosoph Platon, weshalb er sie aus seinem Idealstaat gewiesen hat. Was sind Romane, Erzählungen, Gedichte anderes als alternative Fakten, Erzeugnisse, die ihre eigene Wahrheit der Wirklichkeit entgegenstellen. Trotzdem kann man nicht genug kriegen, wenn es irgendwo in der Welt brodelt, die Dichter um ihre Meinung zu fragen. In der Wertschätzung ihres Urteils überlebt in säkularisierter Form ein archaischer Weisheitsvorbehalt, der sie über die Froschperspektive konkurrierender Experten und anderer Einschätzungsspezialisten erhebt. Es gibt gute Gründe, ihnen kraft ihrer literarischen Weltschöpfungspotenz einen Blick aufs Ganze zuzubilligen, der produktiv von dem abweicht, worüber alltäglich Konsens zu bestehen scheint. Aber es gibt ebenso in trauriger Regelmäßigkeit erschütternde Fälle, in denen der sehende, mahnende, eifernde Dichter sich als falscher Priester erweist und auf dem Feld des Politischen und Gesellschaftlichen gänzlich verspielt, was er sich auf dem des Ästhetischen errungen hat.