Auf der Rennstrecke fühlt er sich wohl: Gustl Mollath Foto: Guyton

Im Sommer vergangenen Jahres war Gustl Mollath, Deutschlands berühmtester Psychiatrie-Insasse, plötzlich freigelassen worden. Seitdem reist er durch die Republik, widmet sich seinem geliebten Motorsport – und denkt doch immer auch an den neuen Prozess.

Im Sommer vergangenen Jahres war Gustl Mollath, Deutschlands berühmtester Psychiatrie-Insasse, plötzlich freigelassen worden. Seitdem reist er durch die Republik, widmet sich seinem geliebten Motorsport – und denkt doch immer auch an den neuen Prozess.

Schlüsselfeld - Sorgsam überprüft er, ob der Beifahrer richtig angeschnallt ist. Mit dem 16 Jahre alten silbernen Mercedes-Coupé fährt er vor zu der kleinen Rennstrecke, gefolgt von sieben anderen Autos. Es geht auf die Piste, er drückt so plötzlich aufs Gas, dass man in den Sitz hineingepresst wird. Dann auf die Bremse, eine Rechtskurve folgt. Schnell wieder Gas, Bremse, 90 Grad nach links, Haarnadelkurve rechts, bergauf und bergab.  

„Ich fahre diese Strecke zum ersten Mal“, sagt Gustl Mollath. Da hält sich der durchgeschüttelte Beifahrer noch krampfhafter irgendwo fest. „Die hinter uns sind schon zu schnell“, kommentiert er. Man hört das Quietschen ihrer Reifen. „Da bricht das Rennfieber durch.“ Von ihm sollen sie auf der ADAC-Übungsstrecke im fränkischen Schlüsselfeld lernen, wie man bei einem Rennen sicher fährt.

Hier nennen ihn alle den „Gustl“

Mollath ist einer von drei sogenannten Instruktoren. „Gibt es noch Fragen?“, meint ein Organisator am Beginn des Tages. „Welcher Chirurg hat heute Dienst?“, sagt Mollath und grinst.  Hier nennen ihn alle den „Gustl“ – jenen Gustl Ferdinand Mollath, der im Sommer vergangenen Jahres, am 6. August, aus dem Bezirkskrankenhaus Bayreuth entlassen worden war. Siebeneinhalb Jahre war er dort in der forensischen Abteilung, der Gefängnis-Psychiatrie, unter äußerst fragwürdigen Umständen eingesperrt gewesen. Mollath galt als gemeingefährlich und von einem krankhaften Wahn befallen.

Der 57-Jährige ist ein wenig fülliger geworden, das Haar grauer seit dem Treffen im November 2012. In Bayreuth war das, hinter den Gittern der Anstalt, wo der Besucher an der gesicherten Pforte alles abgeben musste bis auf Kleidung, Notizblock und Kugelschreiber. Welch ein Kontrast zum Mai 2014. „Das ist heute ein Tag fürs Gemüt“, sagt Mollaths Freund Edward Braun, ein Zahnarzt und Oldtimer-Fan aus dem niedersächsischen Bad Pyrmont. Inmitten der geschwungenen Hügel des Steigerwaldes findet das Renntraining statt. 

Am 8. August 2006 war Mollath vom Landgericht Nürnberg vom Vorwurf der schweren Körperverletzung und der Sachbeschädigung zwar freigesprochen worden – aber nur wegen angeblicher Schuldunfähigkeit aufgrund einer psychischen Erkrankung. Das brachte ihn in die Psychiatrie. Mollath soll seine Ehefrau schwer zusammengeschlagen und zudem die Reifen der Autos von jenen zerstochen haben, die er in dem Ehestreit als Freunde seiner Frau ausgemacht habe.

Es hatte einen langjährigen „Rosenkrieg“ gegeben, wie Mollath es bezeichnet. Er warf seiner Frau Petra, die als Vermögensberaterin bei der Hypovereinsbank arbeitete, vor, für die Kunden hohe Summen als Schwarzgeld illegal in die Schweiz zu transferieren. Das habe sein Gewissen nicht mehr ertragen können.

Ex steckte immer wieder Geld in seine Oldtimer-Kfz-Werkstatt

Sie wiederum steckte immer wieder Geld in seine Oldtimer-Kfz-Werkstatt, die aber keinen Gewinn abwarf. Das Ehepaar lebte in Nürnberg in Mollaths Elternhaus. Als die Beziehung völlig zerstört war, zeigte Mollath seine Ex-Frau und viele ihrer Kunden wegen des Schwarzgeldes an, er verschickte Papiere mit vielen Behauptungen, Namen und Zahlen an die Staatsanwaltschaft, an Gerichte, an Politiker. Ohne Erfolg.

Petra Mollath ließ sich 2002 ein Attest von einer Ärztin schreiben über eine angebliche tätliche Auseinandersetzung im Jahr 2001. Doch das Attest war nicht von der Ärztin, sondern von deren Sohn als Praxisvertretung unterzeichnet worden. Eine ihr bekannte Psychiaterin bescheinigte der Ehefrau 2003, dass Mollath „mit großer Wahrscheinlichkeit an einer ernstzunehmenden psychischen Erkrankung“ leide. Die Ärztin hatte Mollath nie gesehen, einzige Quelle für ihre Ferndiagnose war die Frau.

Seinen Freund Edward Braun erreichte 2010 ein Brief aus der Psychiatrie, es war ein Hilferuf. Da erinnerte er sich, was ihm Petra Mollath 2002 am Telefon gesagt haben soll, mitten im Scheidungskrieg: „Wenn Gustl meine Bank und mich anzeigt, mache ich ihn fertig. Der ist doch irre, den lasse ich auf seinen Geisteszustand überprüfen, dann hänge ich ihm was an, ich weiß auch, wie.“

Braun hat dies so in einer eidesstattlichen Versicherung erklärt. Petra M., die nach erneuter Heirat einen Nachnamen trägt, der auch mit einem „M“ anfängt, widerspricht dieser Darstellung. Auf eine Anfrage unserer Zeitung reagierte sie nicht.

„Das Auto hat mir der Eddie geliehen“, sagt Gustl Mollath über das Mercedes-Coupé. Das ist ihm ganz wichtig – „nicht dass die Leute denken, dass mich der Reichtum überkommen hat“. 300 000 Kilometer hat das Fahrzeug auf dem Buckel. Wie geht es Mollath seit seiner Freilassung? „Ich sehe, dass ich noch am Puls der Zeit bin.“ Er meint damit seine Kfz-Fähigkeiten.

Im neuen Prozess kann Mollath nicht viel passieren

Es wird viel gelacht, er erzählt manche Oldtimer-Anekdote.  Ansonsten spricht Mollath von der Anspannung vor dem Prozess, am 7. Juli  beginnt vor dem Landgericht Regensburg das Wiederaufnahmeverfahren. Dabei kann ihm gar nicht viel passieren: Eine Verschlechterung des Urteils ist bei einem solchen Prozess nicht zulässig – und er war freigesprochen worden.

Theoretisch denkbar wäre allenfalls, dass er erneut als psychisch krank und gemeingefährlich eingestuft werden würde. Doch wie sollte das begründet werden angesichts der Tatsache, dass er seit neun Monaten friedlich und gesetzeskonform in Freiheit lebt?    In 17 angesetzten Verhandlungstagen soll genau herausgearbeitet werden, was am 8. August 2006 in dem nur zwei Stunden langen Prozess womöglich alles falsch gelaufen ist.

Der psychiatrische Gutachter Klaus Leipziger hatte Mollath eine „paranoide Wahnsymptomatik“ in Bezug auf die Schwarzgeldverschiebungen bescheinigt. Erst im November 2012 wurde ein Bericht der Hypo-vereinsbank bekannt, in dem es hieß: „Alle nachprüfbaren Behauptungen haben sich als zutreffend herausgestellt.“ Das Schwarzgeld war kein Wahn.

Mollath trägt an diesem Tag auf der Auto-Teststrecke Turnschuhe und Jeans, eine hellblaue Baumwolljacke und einen dunkelblauen Anorak. Als Beifahrer coacht er nun einen jüngeren Arzt aus Bayern, der einen Oldtimer fährt. Dieser erzählt, dass er damals, als der Fall für Aufsehen sorgte, bei der  Menschenrechtsbeauftragten der bayerischen Ärztekammer protestiert habe.

„Ich habe mich fremdgeschämt"

„Ich fand das unerträglich“, erinnert er sich, „ich habe mich fremdgeschämt.“ Nach dem Prozess 2006 stand Mollath für zwei Monate auch unter „vorläufiger Betreuung“, er war also entmündigt. Seine Ex-Frau hatte währenddessen das Haus – sein Elternhaus – zwangsversteigern lassen und die Wertsachen offenkundig verramscht.   „Wo ist meine Habe?“, ruft Mollath eindringlich. Der Verdacht liegt nahe, dass Petra M. in einem engen Zeitfenster seine bürgerliche Existenz auslöschen wollte.

Sein Gericht rötet sich, die Stimme wird scharf: „Es ist eine Räuberpistole sondergleichen, ich bin im falschen Film.“ In der Psychiatrie sei er „rechtlos“ gewesen, „vogelfrei“, ein „unwertes Leben“ habe er geführt. Hakt man da ein, relativiert er wiederum schnell: Natürlich leiste die Psychiatrie auch gute Dienste, man könne das nicht verallgemeinern.   

Mollath hat einen neuen Personalausweis, doch er ist nirgendwo gemeldet. „Freunde geben mir Obdach.“ Er ist dankbar für die Spendengelder aus der Bevölkerung. Dauerhaft möchte er wieder in Nürnberg leben, er könnte in einer Kfz-Werkstatt arbeiten oder im Flugzeugbau, es gibt Angebote.  In der neuen Freiheit macht er auch Dinge, die er sich immer schon gewünscht hatte.

Zwei Studentinnen von der Münchner Filmhochschule dürfen ihn begleiten. Sie drehen ihren Abschlussfilm über ihn, solch ein Projekt gefällt ihm. Er hat in Tübingen das Hölderlin-Grab besucht und ist auf die Zugspitze gestiegen. Im Elsass ist er ein Oldtimer-Rennen gefahren, an Pfingsten begleitet er Braun zu einer englischen Rennstrecke. „Da bin ich der Schmiermaxe.“ Über den Tag in Schlüsselfeld sagt Mollath: „Das ist Therapie, die mir etwas bringt.“