Caster Semenya sagt: „Gott hat mich gemacht, wie ich bin.“ Foto: AP

Der Fall Caster Semenya bewegt die Sportwelt: Der Sport zieht hier eine Grenze - und überschreitet er damit eine Grenze? Was ist normal und was nicht? Wo respektiert man den Bauplan der Natur und wo nicht? Wo endet also Fairness, wo beginnt Diskriminierung? Einige Gedanken zu einem komplexen Thema.

Stuttgart - Es liegen keine schönen Jahre hinter Caster Semenya, der jungen Frau aus Südafrika. Die ganze Sportwelt diskutiert seit ihrer Ankunft auf der Weltbühne des Sports über die Frage, welches Geschlecht die 800-Meter-Läuferin denn nun hat, seit Jahren beschäftigen sich Gerichte mit der Frage, wie mit ihrer Intersexualität umzugehen ist, was ihr natürlich erhöhter Testosteronspiegel für den Sport und den fairen Wettstreit bedeutet, am Donnerstag nun hat der Internationale Sportgerichtshof CAS ihren Einspruch gegen das Testosteronlimit abgewiesen. Semenya wollte das Urteil nicht kommentieren – für sie gilt, was sie immer gesagt hat: „Gott hat mich gemacht, wie ich bin. Ich akzeptiere mich, wie ich bin.“

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Gott hat sie gemacht und mit maskulinen Zügen ausgestattet, mehr nicht. Sie hat nichts falsch gemacht. Und doch ist dies der Ausgangspunkt einer seit Jahren andauernden Debatte in der Welt-Leichtathletik. Frauen, deren Testosteronspiegel im männlichen Bereich liegt, dürfen nur noch dann bei den Frauen antreten, wenn sie den Wert durch eine medizinische Behandlung auf ein für Frauen normales Maß reduzieren. Damit soll verhindert werden, dass entsprechende Frauen einen Vorteil gegenüber „normalen“ Frauen haben.

Was ist Gottes Werk, und was ist dann Teufels Beitrag?

Der Sport zieht eine Grenze - und überschreitet er eine Grenze? Was ist normal und was nicht? Was ist ein ungerechter Vorteil und was nicht? Wo respektiert man den Bauplan der Natur und ab wann widerspricht er den Regularien des Sports?

Der Sport geht mit allen Mitteln gegen die künstliche Leistungssteigerung vor, gegen Schöpfung aus Menschenhand. Doch die natürliche Übervorteilung eines Menschen, die Schöpfung durch die Natur, ist Neuland. Was ist Gottes Werk, und was ist dann Teufels Beitrag? Manches ist nicht messbar und nicht in ein Korsett aus Regeln pressbar - das Ballgefühl des Tennisspielers Roger Federer etwa oder die Begabung des Fußballers Lionel Messi. Überhaupt ist die Frage der Normalität im Hochleistungssport schwer zu beantworten, da nach allgemeinem Verständnis permanent Grenzen überschritten werden. Ein Zehnkämpfer oder ein Radprofi oder ein Triathlet leistet auf diesem Niveau Übermenschliches. Doch es gibt schon immer auch nachweisbare, begünstigende Faktoren. Zu viel Testosteron gilt in der Leichtathletik künftig als „übernatürlich“ und unlauter.

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Jan Ullrich gilt als der geborene Radfahrer, ein von Geburt an mit den besten körperlichen Voraussetzungen ausgestatteter Mensch mit entsprechender Lunge und Hebeln, ein Jahrhunderttalent, mit dessen Fähigkeiten jenseits aller Debatten um seine Dopinggeschichte kaum ein Mensch in dieser Welt mithalten konnte. Würde man einen Radsportler am Reißbrett entwerfen - Jan Ullrich käme heraus. Athleten mit westafrikanischen Wurzeln gelten als von der Natur aufgrund ihrer Muskelfasern als bevorzugt, gleiches gilt für Langstreckenläufer aus den Hochregionen Afrikas. Zum erfolgreichen Sportler gehört zwar mehr als ein guter Körper, aber er ist unverzichtbare Grundlage für Erfolge.

Es gibt keine DIN-Norm für Sportler

Es gibt keine DIN-Norm für Sportler, jeder Mensch hat andere Voraussetzungen, von daher ist das Prinzip der Chancengleichheit eines, das nur auf dem Papier existiert. Je nach körperlichen Voraussetzungen ist der Mensch für diese oder eben jene Sportart prädestiniert, oder nicht. Der Fall der Intersexualität mag speziell sein, weil er mit sichtbaren Merkmalen verbunden ist, doch es geht ganz allgemein um ethische Fragen und darum, wie viel Chancengleichheit der Sport garantieren kann und will und muss. Der langjährige Spitzenfunktionär Helmut Digel hat mal gesagt: „Die Menschen sind ungleich, trotzdem muss der Sport faire und gerechte Wettkämpfe ermöglichen. Das Problem ist kaum zu lösen.“

Wo endet Fairness, wo beginnt Diskriminierung?

Zwei Beispiele: in der Berliner Charité kam im Jahr 2000 ein Kind auf die Welt, das eine medizinische Sensation war. Der Junge ist eine Laune der Natur. Michael hat doppelt so stark ausgebildete Muskeln wie gleichaltrige Kinder und nur die Hälfte des üblichen Körperfetts. Mit vier Jahren konnte er mit ausgestreckten Armen eine Dreikilohantel halten. Er ist das Ergebnis einer Genmutation. Sein Körper produziert nicht das Hormon Myostatin, welches das Muskelwachstum reguliert. Er ist, sozusagen, übermenschlich - und er wird immer einen körperlichen Vorteil gegenüber allen haben, die diesen Gendefekt nicht aufweisen. Gottes Doping.

Nun hat man ein Paradoxon kreiert.

Der Finne Eero Mäntyranta wurde zeit seines Lebens des Dopings verdächtigt, weil er so gar nicht dem Typus des Langläufers entsprach, dennoch dreimal Gold bei Olympischen Spielen gewann. Als er 1970 zugab, Hormonpräparate verwendet zu haben, schien der Fall klar. Doch der andere Grund für Mäntyrantas außergewöhnliche Leistungen wurde 1993 entdeckt. Nach einer DNA-Analyse stellte sich heraus, dass eine Mutation seines Erythropoetin-Rezeptors vorliegt. Dadurch bildete er verstärkt rote Blutkörperchen und war leistungsfähiger. In die Wiege gelegtes Epo.

Ist das gerecht für Konkurrenten, die diese genetische Disposition nicht haben?

In einigen Sportarten wird eine holzschnittartige Nivellierung vorgenommen, vor allem in den Kampfsportarten mit entsprechenden Gewichtsklassen. Im paralympischen Sport wiederum gibt es entsprechende Schadenklassen, um eine Vergleichbarkeit von Leistung zu ermöglichen. Überall sonst im olympischen Sport ist das Geschlecht die Demarkationslinie. Männlich. Weiblich.

Im Bestreben nach Fairness hat der Sport auch vor der Geschlechterfrage schon Grenzen gezogen, indem er im Antidopingkampf vermeintlich normale Durchschnittswerte seinem Regelwerk zugrunde gelegt hat. Damit hat man die Grenzen der Schöpfung bestimmt, sei es der Epo-Wert, sei es der erlaubte Höchstwert an Testosteron. Zwar können Sperren durch eine medizinische Indikation von natürlich erhöhten Werten umgangen werden, doch dies erfordert einen komplexen Nachweis. Der Fall der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein, die wegen auffälliger Blutwerte gesperrt wurde, ist ein Paradebeispiel. Die Wissenschaft ist sich mittlerweile einig, dass ein Gendefekt die Ursache dafür ist. Ein Defekt, der im Leistungssport von Vorteil sein kann.

Der Sport hat ein Paradoxon kreiert. Auf der einen Seite geht der Sport im Antidopingkampf mit allen Mitteln gegen den medizinischen Missbrauch vor, auf der anderen Seite sollen intersexuelle Frauen genötigt werden, gegen ihre zwar seltene und ungewöhnliche, aber trotz allem ihnen angeborene Natur mit der Medizin anzugehen und eine Art „Antidoping“ gegen sich zu betreiben.