Markus Baur, der Weltmeister von 2007, traut dem deutschen Team nach Platz vier bei der Handball-WM noch viel zu. Foto: Baumann

Markus Baur führte das deutsche Team 2007 zum Titel und sieht nach der Handball-WM nun „glänzende“ Perspektiven für die aktuelle Mannschaft. Der 48-Jährige erklärt, wie die Euphorie genutzt werden kann.

Stuttgart - Mit Platz vier ist die Heim-WM der Handballer zu Ende gegangen. Der frühere Nationalspieler und Bundesligatrainer Markus Baur hat dennoch viel Gutes gesehen.

Herr Baur, was sagen Sie zum neuen Weltmeister Dänemark?

Wie so oft hat sich ein Gastgeber durchgesetzt. Der Titelgewinn ist absolut verdient. Die Mannschaft ist ohne Punktverlust durchmarschiert. Trainer Nikolaj Jacobsen ist jetzt der König von Dänemark.

Überrascht gewesen, dass es die Norweger ins Finale geschafft haben?

Ich will mich nicht selbst loben – aber das war von Anfang an mein Geheimfavorit. Sie spielen einen tollen, modernen Tempohandball und haben einen klasse Mix aus jungen und erfahrenen Spielern.

Kommen wir zur deutschen Mannschaft: Ändert die verpasste Medaille etwas am positiven Gesamteindruck?

Es ändert sich insofern etwas, als man gesehen hat, dass zur absoluten Weltspitze noch etwas fehlt.

„Eine Medaille bleibt für die Ewigkeit“

Wie wichtig wäre es gewesen, zumindest mit Bronze das Turnier zu beenden?

Sehr wichtig. Was im Sport zählt, sind Erfolge und Medaillen. So etwas bleibt für die Ewigkeit. Hinzu kommt, dass die Mannschaft bei dieser WM die Massen so lange begeistert hatte. Da wäre ein schöner Abschluss mehr als wünschenswert gewesen.

Kommen jetzt wieder Diskussionen auf?

Das weiß ich nicht. Die Zielsetzung Halbfinale ist erreicht worden, also gibt es eigentlich keinen Grund dazu.

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Hätten Sie den deutschen Handballern eine solche WM überhaupt zugetraut?

Ja, denn die Qualität im Kader ist gut. Die war auch letztes Jahr gut. Die Mannschaft hat nur nicht gut gespielt.

Sie hatten also keine Zweifel?

Nein, ich war nur gespannt.

Gespannt, wie es nach der verkorksten EM 2018 zwischen Trainer und Mannschaft funktioniert?

Ja. Beide Seiten haben diese schwache EM um die Ohren geschlagen bekommen. Und offenbar die richtigen Lehren gezogen.

„Eine Heim-WM setzt Kräfte frei“

Der Bundestrainer hatte sich von der Mannschaft entfremdet, stand nach der EM vor dem Rauswurf. Wie konnte das im zweiten Anlauf gut gehen?

Da kommen viele Dinge zusammen. Vor allem ist so eine Heim-WM für jeden Beteiligten das absolute Karriere-Highlight. Da fokussiert man sich zu 100 Prozent. Dann kommen die ersten Siege, das Feuerwerk an Emotionen, das Selbstvertrauen. Das setzt Kräfte frei. Und klar: Jeder hat etwas zurückgesteckt und ist auf den anderen zugegangen.

Vielen war der Trainer sogar etwas zu unterwürfig gegenüber seinen Spielern.

Was soll ich dazu sagen? Beim ersten Turnier hat er alles vorgegeben und die Spieler nicht mit einbezogen – das ist sicherlich dem einen oder anderen Erfahrenen in der Mannschaft etwas negativ aufgestoßen. Jetzt hat Christian sich reflektiert, er hat alles offen angesprochen, die Spieler in seine Entscheidungen mit einbezogen – und es ist anscheinend auch nicht recht.

Was hat Ihnen bei der deutschen Mannschaft am besten gefallen?

Sicher die Abwehr, dieser bärenstarke Innenblock mit Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek und Finn Lemke. Das ist absolute Weltklasse. Und die Breite im Kader ist natürlich auch ein großer Trumpf, der uns sehr optimistisch in die Zukunft blicken lassen darf.

Erinnerungen an 2007

Erinnerte Sie das Ganze ans Wintermärchen 2007?

Natürlich. Vor allem in Köln kamen Erinnerungen hoch. Das war Gänsehaut pur. Da ich als Fernsehkommentator im Einsatz war, musste ich mich mit extremen Gefühlsausbrüchen etwas zurückhalten.

Wie kann dieser Hype um die Nationalmannschaft genutzt werden? Und zwar besser als 2007, als der Effekt schnell verpuffte.

Die Schwierigkeit ist, dass die Nationalmannschaft ganz Deutschland interessiert, die Vereinsmannschaften aber nur regional. Viele Spieler sind oft nur regionale Helden. Jetzt werden bestimmt viele Kinder Lust bekommen haben, Handball zu spielen. Es liegt an den Vereinen, dies auch abarbeiten zu können. Mit den nötigen qualifizierten Trainern, mit den nötigen Hallenkapazitäten, die oft knapp sind. Das sind schwere Aufgaben.

Ihr früherer Nationalmannschaftkollege Jogi Bitter sagte vor dieser WM: 2007 wurde es verpasst, Persönlichkeiten herauszubilden.

Er hat ja recht, wenn er sagt, dass die Kids nicht den Deutschen Handball-Bund geil finden, sondern einen bestimmten Spieler, einen Star. Der Nachwuchs braucht solche Vorbilder dringend. Ich sehe aber genug interessante Typen: Pekeler, Wiencek, Wolff, Gensheimer, Wiede, Drux – diese gilt es jetzt zu pushen.

„Wir müssen an die Basis ran“

Sonst ebbt die Euphorie nach drei Wochen wieder ab und alle reden wieder nur über Fußball.

Die Begeisterung wird mit Sicherheit in die Bundesliga transportiert. Die Nationalspieler werden in der Rückrunde keine Auswärtsspiele haben. Wenn der THW Kiel am 7. Februar in Göppingen antritt, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Frisch-Auf-Fans Wolff, Pekeler, Wiencek oder Weinhold auspfeifen.

Gegenüber 2007 ist der DHB viel besser organisiert. Wie schwer wiegt dieser Vorteil?

Das Hauptamtlichkeit mit dem Vorstandsvorsitzenden Mark Schober an der Spitze ist ein großer Vorteil und vereinfacht bestimmt einiges. Wir müssen mit professionellen Konzepten an die Basis ran. An die Kindergärten, an die Schulen, an die Unis. Völlig klar ist: Je breiter unsere Basis ist, umso größer ist die Auswahl an Talenten.

Von denen es mit Migrationshintergrund so gut wie keine gibt.

Sie zu gewinnen würde mit Sicherheit nicht schaden. Aber ich bin ganz sicher, dass auch an ihnen und ihren Eltern diese Handball-Begeisterung nicht grußlos vorbeigegangen ist. Diese WM hat alle mitgerissen. Aus sämtlichen Bevölkerungsschichten wird der Handball neue Freunde gewinnen und auch der Nachwuchs wird bunter werden.

Der Handball droht zu veraltern. Leistet der DHB genug, um die Jungen anzusprechen?

Mehr geht bestimmt immer. Aber ich finde, was zum Beispiel Stefan Kretzschmar mit seinem Handball-Talk auf Facebook veranstaltet, das zieht die Jungen an. Durch solche spannenden, coolen Formate in den neuen Medien wird der Handball auch hipper, jünger, jugendlicher.

Gute Perspektiven für das aktuelle Nationalteam

Haben Sie bei der WM neue Trends entdeckt?

Wenig. Wenn, dann die Tatsache, dass die ohnehin schon wichtige Abwehrarbeit immer wichtiger wird. Die klassischen Abwehrsysteme gibt es nicht mehr, es wird viel flexibler gedeckt.

Wie sehen Sie die Perspektive der Nationalmannschaft?

Glänzend. Wenn ich mir die Altersstruktur der Mannschaft anschaue, muss ich sagen: Da ging es bei uns Weltmeistern von 2007 erst richtig los. Das Team kann in dieser Besetzung bei der Heim-EM 2024 am Ball sein. Pekeler, Wiencek sind im besten Handball-Alter. Wiede, Drux gerade mal 23 und 24 Jahre alt, sie können noch zehn Jahre spielen. Dazu kommt das derzeit noch der verletzte Rückraumshooter Julius Kühn, der ist auch erst 25.

Welche Nachwuchsasse kommen nach?

Youngster Tim Suton ist schon dabei und hat mit seinen 22 Jahren ein glänzendes WM-Debüt hingelegt. Der Göppinger Sebastian Heymann ist erst 20 und steht in den Startlöchern. In seinem Jahrgang gibt es auf seiner Position im linken Rückraum keinen besseren in Europa.

Sehen wir Sie am kommenden Freitag (19 Uhr) beim All Star Game in der ausverkauften Stuttgarter Porsche-Arena?

Wahrscheinlich nicht, da bin ich voraussichtlich schon beim Ball des Sports in Wiesbaden. Aber in Stuttgart werden unsere Nationalspieler sicher frenetisch empfangen. Das wird ein Riesenevent mit Gänsehaut-Atmosphäre.

Und wann sehen wir Markus Baur wieder auf der Trainerbank?

Keine Ahnung. Wenn sich etwas interessantes ergibt . . . mal schauen.

Was machen Sie aktuell neben ihrer Rolle als Fernsehkommentator?

Ich bin in der Immobilienbranche als Projektmanager tätig. Wir entwickeln Sportkonzepte für Kliniken im Bereich Burnout und Depressionen.