Velimir Petkovic ist nach wie vor gerne Trainer der russischen Handball-Nationalmannschaft. Foto: imago/Jozo Cabraja

Seit 2020 ist Velimir Petkovic Coach des russischen Handball-Nationlteams. Warum kehrt er trotz des Kriegs Moskau nicht den Rücken? Beim Besuch in der alten Heimat Göppingen gibt der 66-Jährige Auskunft.

Als das Gespräch mit Velimir Petkovic sich dem Ende zuneigt, kommt auch seine Ehefrau Nada strahlend in die Lobby eines Hotels in Göppingen. „Vermisst man uns denn hier?“, will die bessere Hälfte des Handball-Trainers gleich nach der Begrüßung mit einem Augenzwinkern wissen. Und irgendwie ist das tatsächlich bei einigen Menschen der Fall. Das Paar hat Spuren hinterlassen, sie haben nach wie vor viele Freunde und Bekannte in der Stadt, in der sie von 2004 bis 2013 lebten, als Petkovic Frisch Auf Göppingen trainierte und den Club zu zwei EHF-Pokal-Titeln 2011 und 2012 führte. Deshalb machen sie auf dem Weg von ihrem Hauptwohnsitz Berlin ins kroatische Rijeka, wo sie ihr Ferienhaus einrichten, für drei Tage Station im Filstal, am Mittwoch schauten sie sich in der EWS-Arena das Frisch-Auf-Bundesligaspiel gegen die MT Melsungen (23:29) an. „Ich hatte hier meine schönste Zeit als Trainer, wir haben uns immer wohl gefühlt, und wir pflegen die Freundschaften“, sagt Velimir Petkovic in seiner bekannt heiseren Stimme.

 

Gisdol flüchtet, Petkovic bleibt

Am 16. Dezember geht es dann von Belgrad aus wieder zurück nach Moskau. Seit März 2020 trainiert Velimir Petkovic die russische Nationalmannschaft. Bei der WM 2021 in Ägypten kam das Team auf Platz 14, bei der EM 2022 in Ungarn und der Slowakei gelang der Sprung auf Rang neun. Und dann? Dann begann im Februar 2022 der schreckliche Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine. Fußball-Trainer Markus Gisdol und sein Assistent Lutz Siebrecht verließen fluchtartig ihren Club Lokomotive Moskau, weil sie ihre Arbeit in diesem Land moralisch nicht mehr vertreten konnten. Auch andere taten das. Petkovic aber blieb. Warum? „Weil ich Profi bin, und ich meine Spieler nicht im Stich lasse. Ich bin Trainer von Handballern, nicht von einem Regime“, antwortet der 66-Jährige.

Ob es aber nicht doch das falsche Zeichen ist, die Liebe zum Sport verbunden mit einem sehr gut dotierten Vertrag nicht alles sind? Petkovic wird nachdenklich, seine Mundwinkel gehen nach unten. Natürlich sei jeder Tag Krieg ein Tag zu viel. Er weiß das aus eigener Erfahrung. Die blutigen Auseinandersetzungen Anfang der 1990er Jahre in seiner Heimat Bosnien führten ihn ins Schwabenland, zu seiner ersten Station in Deutschland, dem TSV Scharnhausen. „Es ist extrem traurig, was passiert, ich hoffe inständig, dass dieser Krieg bald vorbei ist“, sagt Petkovic, der für den Handball lebt und deshalb auch bei seiner Haltung bleibt: „Warum soll ich meine Spieler bestrafen, indem ich kündige. Sie können nichts für diesen Krieg.“

Wohnung in Kreml-Nähe

Also bleibt er weiter in Moskau. Mindestens 183 Tage im Jahr muss er sich dort aufhalten – aus steuerlichen Gründen. In der russischen Hauptstadt lebt er alleine in einer schmucken Wohnung, keine fünf Kilometer vom Kreml entfernt. Ab und zu geht er mit Kollegen aus seinem Staff zum Essen aus, ansonsten liest er viel, bildet sich weiter. Vom Krieg bekommt er nur etwas mit, wenn er den Fernseher anschaltet. „In dieser wunderschönen Stadt läuft das Leben ganz normal weiter, die Leute sind freundlich“, stellt auch Nada Petkovic fest, die zwar weiter in Berlin lebt, aber ihren Mann mehrmals im Jahr für längere Zeit besucht.

Seit 2000 deutscher Staatsbürger

Auch Sohn Ivan (37), der als Arzt in Basel tätig ist, war schon da, sein Zwillingsbruder Nino, ein Rechtsanwalt, arbeitet als Diplomat im Auswärtigen Amt in Berlin. Sie alle hoffen, dass das Familienoberhaupt, das seit 2000 die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, auch noch einmal mit seinem Team an internationalen Großturnieren teilnehmen kann. Zumal damit das Allerwichtigste untrennbar verbunden wäre: Das Kriegsende.

Für die WM 2023 in Polen und Schweden und die EM 2024 in Deutschland ist Russland suspendiert. Nur bestimmte Freundschaftsturniere – wie etwa vom 26. Dezember bis zum 4. Januar mit Ländern wie Weißrussland und dem Iran – können ausgetragen werden. Wo denn dann überhaupt die Motivation liege, dieses Team zu trainieren? „Die Spieler sind wissbegierig und voller Leidenschaft, sie kommen sehr gerne zu den Lehrgängen, und ich möchte mithelfen, dass der Handball in Russland nicht zugrunde geht“, sagt Petkovic.

Doppel-Funktion abgelehnt

Das sei er dem Handball-Präsidenten Sergey Shishkarev, Chef der Unternehmens-Gruppe Delo, und Sportdirektor Lew Woronin schuldig. Die Wertschätzung beruht auf Gegenseitigkeit, geht aber nicht so weit, dass sie Petkovic eine mögliche Trainer-Doppelfunktion genehmigten. Als vor Kurzem ein Bundesligist anklopfte, hatte Petkovic beim Verband dezent angefragt, ob vielleicht beides denkbar wäre. Die Antwort war eindeutig: „Net.“

Also gilt weiter die volle Konzentration einzig und allein der Nationalmannschaft. Bis Juni 2024 läuft der Vertrag. Und dann? „Dann werde ich 68 und kann mir noch ein, zwei Jahre als Bundesligatrainer vorstellen“, sagt Velimir Petkovic – und ein Lächeln blitzt auf. Vielleicht sogar in der alten Heimat in Göppingen? „Ich hätte nichts dagegen“, sagt Ehefrau Nada und blickt auf die Uhr: Der Neffe aus Stuttgart wartet, es geht zum Einkaufen nach Metzingen.