Wer ins Tatti beim Rathaus will, muss in der Schlange warten, bis ein Platz hinter der Absperrung frei wird. Foto: Stzn

Das Ausgehpublikum ist zurück: Tausende waren am Donnerstagabend in der City unterwegs, um ihre Sehnsucht nach Normalität zu erfüllen. Vor den einen Bars gab’s Schlangen, andere blieben leer. Noch sind Stuttgarter Nächte kurz.

Stuttgart - „206“, sagt Piero Cuna, der Chef von La Commedia im Hospitalviertel, und strahlt. Der Wirt ist happy, dass mit der Zahl 206 eine harte Zeit endet. Genau 206 Tage – er hat mitgezählt – musste sein Restaurant beim Renitenztheater geschlossen bleiben. Am ersten Abend herrscht Erleichterung bei ihm und seinem Geschäftspartner Luigi Aracri – aber gleichzeitig auch Anspannung. Wird alles Corona-konform ablaufen? Kommen sich womöglich einige Gäste zu nahe? Nur fünf Personen aus zwei Haushalten dürfen an einem Tisch sitzen, wobei man vollständig Geimpfte abziehen kann.

Schon hebt eine junge Frau, die sich für den ersten Abend nach der Wiedereröffnung rausgeputzt hat wie für den roten Teppich, zur Umarmung an. „„Geimpft“, ruft sie als Rechtfertigung, „ich bin zweimal geimpft.“ So viele strahlende Gesichter hat man schon lange nicht mehr gesehen.

Beim Hans-im-Glück-Brunnen sind freie Plätze rar

Die Menschen, dies kann man beim Kneipen-Rundgang am Donnerstagabend in der Stuttgarter City erleben, sind froh, dass ein bisschen Normalität nach so langer Zeit zurückgekehrt ist, dass man sich wieder treffen kann. Obwohl schon um 21 Uhr Feierabend ist – zu einer Zeit, zu der viele früher erst losgezogen sind. Vor den Schnellteststationen ist noch mehr los als sonst. Eine weitere Beobachtung: Vor den Kneipen wird sehr gewissenhaft kontrolliert, ob man zu den „drei Gs“ gehört. „Schön, dass du da bist“, steht auf einem Aufsteller vor dem Deli beim Hans-im-Glück-Brunnen und weiter heißt es: „Du bist geimpft, genesen, negativ getestet? Dann rein mit Dir.“ Doch reinlassen kann der Türsteher am Donnerstag gegen 20 Uhr niemand mehr. Alle Tische drinnen und draußen sind belegt. Es warten bereits drei Gästegruppen auf Einlass.

Vor dem Tatti ist die Schlange lang

Die Kneipen am Hans-im-Glück-Brunnen gehören zu den Plätzen der Stadt, an denen an diesem Abend besonders viel los ist. Nur das Rubens und das Café Weiß haben noch geschlossen hier. Eine Clique hat wohl geahnt, dass es schwer sein wird, freie Stühle zu ergattern. Die jungen Leute stehen direkt beim Brunnen, haben ihre eigene Flaschen mitgebracht und stoßen an.

Auf der Calwer Straße sind viele Tische draußen leer. Auch im Hospitalviertel ist die Platzauswahl groß. Der Außenbereich des Paulaner am Rotebühlplatz dagegen muss Gäste abweisen. Vor dem Tatti beim Rathaus ist die Schlange lang. „Ihr müsst warten, bis jemand rauskommt“, sagt der Türsteher. Doch die, die drinnen sind hinter der Absperrung, denken nicht daran, rauszugehen. Wer einen Platz ergattert hat, will diese Freiheit nutzen, bis um 21 Uhr schon wieder alles vorbei ist.

Der Palast der Republik öffnet erst am Freitag

Etliche Anlaufstellen, die man vom früheren Nachtleben kennt und liebt, sind noch geschlossen. Stefan Schneider, der Chef vom Palast der Republik, hat am Donnerstag kurzfristig beschlossen, erst am Freitag aufzumachen. Die Gitter, mit denen er den Treffpunkt sichern will, sind nicht rechtzeitig gekommen – und Bändern vertraut er nicht, weil der Ansturm groß sein dürfte. OB Frank Nopper ist in den Biergarten im Schlossgarten zu Wirtin Sonja Merz gegangen, um den Hochzeitstag mit seiner Frau Gudrun Nopper zu feiern.

Im La Commedia treffen sich Wirte, die ebenfalls noch pausieren. Jan Mink, Juniorchef des Restaurants Schloss Solitude, hebt mit den Kumpels einen. Er wird mit seinem Vater Jörg Mink am Freitag öffnen. Mit seinem Hundchen ist Hiki Shikano Ohlenmacher, Betriebsleiter des Cavos, zu den Italienern ins Hospitalviertel gekommen – er wird noch länger warten auf den Neustart, sehr lange sogar. „Wir machen das Cavos erst im Oktober auf“, sagt er, „unser Betrieb lohnt sich nur, wenn wir Party machen dürfen.“

Noch kein positives Ergebnis beim Ab-Strich

Ausgelassene Partystimmung erlebt man selten beim Kneipenrundgang an diesem Abend. Bei vielen herrscht eher das Gefühl vor, dass man dem Frieden nicht traut und dass man alles richtig machen will. Der Wilhelmsplatz, wo in normalen Zeiten eine Außengastro an der anderen brummt, ist verwaist. Nur das Einstein hat aufgemacht.

In der Altstadt ist relativ wenig los. Animierbars haben geöffnet, auch der Holzmaler in einer Seitengasse, aber Szenetreffs wie die Uhu-Bar sind noch geschlossen. Bei der Fou Four-Bar ist am meisten los an diesem besonderen Abend im Leonhardsviertel. Viele Stammgäste treffen sich hier. Mit der Luca-App loggt man sich problemlos ein und zeigt den Impfpass oder die Testbescheinigung am Handy. Die Barbetreiber haben in den Nebenräumen eine Schnellteststation eingerichtet. Auch hier ist viel los. „Wir hatten bisher nicht einen einzigen positiven Befund“, freut sich Geschäftsführer Andreas Schuster. Dennoch rechnet er damit, dass die Inzidenz wieder steigt. „Weil so viele sich nun testen lassen, um Bars oder Restaurants besuchen zu können, werden mehr Infektionen erkannt werden“, sagt er.

Fünf Minuten nach neun stuhlt der Chef von Mrs. Jones auf

Kurz vor 21 Uhr fängt es an zu regnen. Der perfekte Rausschmeißer an diesem Abend, über den man nach lange sprechen wird. Vor dem Mrs. Jones beim Hans-im-Glück-Brunnen sieht man, wie Chef Yusuf Oksaz fünf Minuten nach neun aufstuhlt. Bei ihm sind alle rechtzeitig gegangen. Keiner will Ärger riskieren, zumindest an jenem Ort, an dem die Stuttgarter Nächte mal lang waren. Die Polizei meldet anderntags, alles sei ruhig geblieben. Es gab keinen besonderen Vorkommnisse. Mit dem Gefühl, dass die ersten Stunden in der neuen Freiheit gut getan haben nach so langer Abstinenz, aber doch irgendwie speziell waren nach 206 Tagen, geht man zufrieden nach Hause.