Faible für Frankreich: Podiumsgäste Leona Murray, Andre Baumann, Frank Baasner (vorne, von links), Oberbürgermeister Matthias Knecht (stehend) und Zuhörer. Foto: Werner Kuhnle

75 Jahre Deutsch-Französisches Institut, 60 Jahre Elysée-Verträge: Beides ist eng mit Ludwigsburg verknüpft. Was bringt die Zukunft?

Die uralte „Erbfeindschaft“ muss heutzutage keiner mehr beerdigen. Sie ist nicht einmal mehr vordringliches Thema der Generation, die das deutsch-französische Verhältnis dereinst am Leben erhalten soll. „Das Aussöhnungs-Ding“, sagt die Studentin Leona Murray, „steht für uns heute nicht mehr im Vordergrund. Frankreich ist ein Nachbarland, in dem man schön Urlaub machen kann.“ Trotzdem zähle persönliche Begegnung und Erfahrung, um anders über das Land denken zu können, ist sie sicher.

Wie sich diese persönliche Begegnung in die Zukunft führen lässt, die das Ludwigsburger Deutsch-Französische Institut (DFI) vor 75 Jahren als Vorreiter zu forcieren begann und die durch den von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle geschlossenen Elysée-Vertrag 1963 in verbindliche Formen der Absprachen für eine möglichst gemeinsame Linie in Außen-, Europa- und Verteidigungspolitik gegossen wurde: Das ist Thema einer Diskussion, bei der die Studentin Murray ebenso auf dem Podium sitzt wie DFI-Direktor Frank Baasner, der Ludwigsburger OB Matthias Knecht und Staatssekretär Andre Baumann, der zwar im Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft tätig ist, vorher aber unter anderem für deutsch-französische Beziehungen zuständig war. Den Silchersaal im Forum füllt frankophiles Publikum. Junge Menschen sind allerdings wenige darunter.

Und das trifft einen Kern der deutsch-französischen Freundschaft: Wer wird sie künftig auf zivilgesellschaftlicher Ebene stabil halten, auch wenn es auf politischer Seite rumpelt und die Freundschaft auf höchster Ebene mal weniger innig ist? Erfahrungen wie Andre Baumann als Schüler – „Ich war bei einer jüdischen Bauernfamilie in Lunéville, sie konnten kein Deutsch, ich konnte schlecht Französisch. Das hat mich geprägt“, erinnert er sich – machen zunehmend weniger junge Menschen. Französisch ist nicht gerade der Spitzenreiter im Sprachen-Beliebtheitsranking deutscher Schüler. Hartmut Meier, Rektor der Ludwigsburger Gottlieb-Daimler-Realschule, berichtet, dass Französisch-Lehrkräfte fehlten, immer weniger Kinder Französisch wählten oder nach der sechsten Klasse wieder abwählten. Veranstaltungen auf Englisch seien vielleicht eine Chance, Begegnungen mit Franzosen zu ermöglichen, sagt er, „bei unserem Georgien- Austausch klappt das auch“. Auch Lea Auginski von der Volkshochschule spricht von einem spürbaren Lehrerschwund. Dolmetscher spielten eine immer zentralere Rolle. Frank Baasner will nicht pessimistisch sein. „Es gibt ein Leben nach der Schule“, sagt er. „Kleine Franzosen, die von ihren Eltern in den Deutschunterricht geprügelt werden, sind nicht die, die unsere deutsch-französischen Beziehungen retten“, sagt er. „Wir müssen uns ein bisschen entspannen bei den Zahlen zum Französisch-Lernen. Partnerschaftliche Beziehungen sind nicht daran gebunden, dass man Deutsch oder Französisch kann.“

Schüleraustausche, werfen Zuhörer ein, seien aber ein Initialzünder für gegenseitiges Interesse. Vielleicht nicht einmal in erster Linie bei den Jugendlichen, aber bei den Eltern, die sich auf diese Weise oft erstmals mit Partnerstädten oder -schulen befassten. Stützpfeiler für deutsch-französische Bünde sind nach wie vor Vereine, oft Musikvereine wie der Handharmonika-Spielring Ludwigsburg und dem Chor Le Diairi aus Montbéliard, die eine der ältesten Vereinspartnerschaften überhaupt pflegen. Doch wenn Vereine altern, Interessen sich wandeln, alte Bande loser werden?

Über Sport und Kultur funktioniert der Austausch

„Austausch funktioniert hervorragend über Sport und Kultur“, meint Matthias Knecht zuversichtlich. Zum 60-Jahr-Jubiläum der Rede von Charles de Gaulle an die deutsche Jugend im Ludwigsburger Schlosshof habe man auf Olaf Scholz und Emmanuel Macron gehofft. Stattdessen habe Ludwigsburg 1000 Jugendliche im Rahmen der Begegnung der U-16-Hockey-Nationalmannschaften zu Gast gehabt. „Wir hatten die Jugend Europas hier, das war die wirkliche Krönung. Das kann man nicht toppen.“

Wie kann man Begegnungen weiterhin forcieren? Etwa durch binationale Ausbildungen oder die Zusammenarbeit bei Themen wie Umwelt- und Klimaschutz. Für zivilgesellschaftliche Projekte und Kooperationen gibt’s auch unkompliziert zu beantragende Fördergelder, etwa vom deutsch-französischen Bürgerfonds. Und wie eng man zu Beginn der Corona-Pandemie beieinander stand, wird Andre Baumann nie vergessen.

„Es stirbt kein Franzose. Wir holen sie“, habe Winfried Kretschmann auf seine knorrige Art gesagt, Intensivbettenregister hin oder her. „Da ist mancher Franzose bei einer deutschen Krankenschwester aufgewacht“, sagt Baumann, „und war gerettet.“

Das Jubiläum
2023 feiert das Deutsch-Französische Institut (DFI) sein 75-Jahr-Bestehen. Geboren „aus den physischen und moralischen Trümmern der Nazi-Diktatur und aus der Mitte der Gesellschaft“, so DFI-Chef Frank Baasner, habe es jahrzehntelang die Verständigung gefördert.

Die Herausforderungen
„Angesichts der tiefgreifenden Veränderungen des 21. Jahrhunderts ist an der Zeit, neue Impulse zu geben“, sagt Baasner. Dabei seien die erfahrene ältere, aber vor allem auch jüngere Generationen „mit ihren Erwartungen, ihrer Dynamik und ihren Überzeugungen“ gefragt. Daher gibt es im Sommer unter anderem eine deutsch-französische Zukunftskonferenz. Zum Abschluss erwartet das DFI hochrangige politische Gäste aus Deutschland und Frankreich in Ludwigsburg.

Die Themen
„Wir beschäftigen uns im DFI mit den großen Themen unserer Zeit“, sagt DFI-Präsidentin Sylvie Goulard. „ Herausforderungen wie Klimawandel, Erhalt der Biodiversität, geostrategische Konflikte und Krieg in Europa können nur gemeinsam bewältigt werden.“