Ali Ertan Toprak ist ebenso Deutscher wie Kurde. Integration ist sein Lebensthema. In Zeiten, in denen die Menschen das Thema umtreibt, lebt er es. Früher war er mal ein Grüner, doch inzwischen hat er sich von der Partei entfernt.
Für die Kurdische Gemeinde im Südwesten scheint sich ein weiterer Kreis zu schließen, nachdem sie gerade erst eine weitere Reise um die Sonne komplettiert hat. Vor ein paar Tagen hat sie in Stuttgart zur Tagundnachtgleiche am Frühjahrsbeginn das kurdische Neujahrsfest Newroz („der neue Tag“) gefeiert.
Die Kurden, die im Restaurant des Landtags zum Empfang kamen, sind längst Teil dieses Landes geworden. Sie sind angekommen. Das bezeugen allein die hochrangigen geladenen Gäste: ein Landtagsvizepräsident, Abgeordnete, auch Oberbürgermeister. Professorinnen sowie Unternehmer und deren Kinder berichten von ihrem akademischen Bildungsweg.
Als Partner anerkannt
Definitiv in der deutschen Gesellschaft angekommen ist auch Ali Ertan Toprak, führender Repräsentant der Kurdischen Gemeinde in Deutschland (KGD). Stolz verweist er in seiner Stuttgarter Rede auf die Landtagspräsidentin Muhterem Aras und einige andere deutschkurdische Spitzenpolitiker von Nordrhein-Westfalen bis Schleswig-Holstein. „Wir sind dankbar und glücklich, Bürger eines freiheitlichen und demokratischen Staates wie Deutschland zu sein“, sagt er. Und: „Diese Errungenschaften sind wir jederzeit bereit, zu schützen und zu verteidigen.“
Er freut sich, dass seine Gemeinde inzwischen als Partner auf allen politischen Ebenen anerkannt wird. Keine Selbstverständlichkeit: Auf deutscher Seite hatte es mit Blick auf die als Terrororganisation eingestufte kurdische Arbeiterpartei PKK lange Vorbehalte gegeben.
Der stämmige Mann mit Vollbart verfügt über einen wachen Blick hinter der modischen Brille und ist eine zähe, aber gewinnende Ausdauernatur. Viele Dinge im Leben waren ihm nicht in die Wiege gelegt: 1969 in Ankara in eine alevitisch-kurdische Familie geboren, holt seine junge Mutter den Dreijährigen nach Hamburg. Einige Jahre lebt er als „typisches Kofferkind der 70er Jahre“, wie er sagt, parallel in Deutschland und der Türkei. Am ersten Schultag warnt seine Großmutter: Er soll verschweigen, dass er Alevit und Kurde ist. „Da wird mir zum ersten Mal bewusst, dass wir doppelt bestraft sind. In der Türkei werden wir bis heute religiös und ethnisch diskriminiert“, erzählt der 54-Jährige. Die Familie zieht ins Ruhrgebiet. Seine Mutter schuftet in der Früh in der Fabrik, nachmittags geht sie putzen. Sein Vater unterrichtet türkische Kinder in ihrer Muttersprache. Toprak macht Abitur und studiert.
Linksliberale Eltern
Seinen Weg in die Politik beginnt Ali Ertan Toprak, der heute als Politikberater tätig ist und in Hamburg und Berlin lebt, bei den Grünen. „Meine Eltern waren linksliberal“, erzählt er. „Ich wollte dem Land etwas zurückgeben und etwas bewegen, statt mich nur zu beschweren.“ Ende der 1990er Jahre beschäftigt ihn der erste deutschtürkische Abgeordnete im Bundestag, Cem Özdemir, als Mitarbeiter für Türkei- und Integrationsfragen. „Cem war für viele Junge aus der Türkei ein Vorbild“, sagt Toprak über den grünen Bundeslandwirtschaftsminister, mit dem er bis heute befreundet ist.
Mit dem Nationalislamismus der Ditib und dem Rechtsextremismus der Grauen Wölfe geriet er zum ersten Mal im Ausländerbeirat und dann als Grünen-Stadtrat von Recklinghausen überkreuz. Für die Aleviten, deren Generalsekretär und Vizevorsitzender er war, nimmt er in den Anfangsjahren an der Deutschen Islamkonferenz teil. Auch was er dort erlebt, lässt ihn immer mehr zum Kritiker rot-grüner Integrationspolitik werden. Die deutsche Linke beschwichtige kulturelle Unterschiede vielfach bis heute und vermeide es, Schwierigkeiten offen anzusprechen, aus Angst, als rassistisch zu gelten, kritisiert er.
Integration ist das Lebensthema von Ali Ertan Toprak. Vor allem mit der unkritischen Haltung der Grünen gegenüber den großen Islamverbänden rechnet er ab, tritt schließlich 2011 aus der Partei aus. „Mein Standpunkt: Dialog ja, aber bitte schön mit kritischen Fragen zur Werteordnung“, sagt er. In seinen Augen vertreten die großen Verbände wie Ditib, Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) oder der Zentralrat der Muslime (ZMD) „allesamt den politischen Islam“.
Toprak, der Meinungsbeiträge für „Zeit“ und „Welt“ verfasst und als migrantischer Vertreter im ZDF-Fernsehrat sitzt, meint mit Blick auf die Linken: „Stellen Sie sich vor, Sie sind Deutschkurde, Deutscharmenier, Alevit, Jude oder eine säkulare Muslimin – und man rät Ihnen, Anfeindungen zu verschweigen, um nicht die Rechtspopulisten zu stärken.“ Toprak schüttelt den Kopf: „Nein! Wir werden nicht schweigen, sondern noch lauter fordern, dass jedweder Extremismus zu ächten ist.“
Toprak tritt in die CDU ein, leitet heute in Hamburg den Landesfachausschuss Soziales und Integration und sitzt im Landesvorstand. Die linksidentitäre Erzählung, wonach Integration vor allem die Bringschuld der diskriminierenden Mehrheitsgesellschaft darstelle, hält er für einen Irrtum. Klar, Deutschland habe lange mit der Lebenslüge gelebt, kein Einwanderungsland zu sein. „Aber jede Aufnahmegesellschaft hat das Recht, Erwartungen an seine neuen Bürger zu formulieren“, sagt er.
Außerdem spalte die einseitige Beschimpfung der Mehrheitsgesellschaft die Bundesbürger und fördere die Ablehnung gegenüber Einwanderern. „Als gemeinsame Basis brauchen wir Verbindlichkeit bei den Grundwerten“, betont Toprak. Dazu zählt er Gleichberechtigung, Säkularität, Meinungsfreiheit und die Ablehnung jeder Form des Antisemitismus. Weil die deutsche Mehrheitsgesellschaft Probleme mit ihrer nationalen Identität habe, werde dies aber gegenüber Migranten nicht richtig kommuniziert. „So entstehen Parallelwelten und sogar Gegenwelten“, meint er.
Identitätsprobleme
Als Verräter abgestempelt
Mit diesen Positionen macht sich Toprak wenig Freunde. Linke Antirassismusaktivisten werfen ihm vor, er würde sich der Mehrheitsgesellschaft nur anbiedern. Und die Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan haben den deutschen Staatsbürger denunziert und als Verräter abgestempelt. „Fast alle meine bisherigen Rassismuserfahrungen in Deutschland verdanke ich Islamisten und türkischen Nationalisten“, sagt er. Immer wieder wird er bedroht, muss zeitweise die Polizei um Hilfe bitten. „Seit neun Jahren kann ich das Grab meines Vaters in der Türkei nicht besuchen“, erzählt er mit bitterem Unterton.
In letzter Zeit beschleichen Toprak manchmal Zweifel. „Ich kenne keine Demokratie, die die Verteidiger ihrer Werte so alleinlässt wie Deutschland.“ Er beklagt, dass die deutsche Politik liberale Muslime im Stich lasse und den politischen Islam immer noch hofiere, diesen sogar mit Projektgeldern unterstütze. Aber er will nicht aufgeben. Der Grund: seine beiden Kinder. „Ich will, dass sie frei, unbeschwert und selbstbestimmt in ihrer Heimat Deutschland aufwachsen.“
Kurden in Deutschland
Die Zahlen
Laut Kurdischer Gemeinde in Deutschland, die sich als Dachverband mit Sitz in Gießen versteht, leben mehr als 1,5 Millionen Menschen kurdischer Abstammung in Deutschland. Davon grob geschätzt 300 000 Personen in Baden-Württemberg. Dazu zählen Zuwanderer aus der Türkei, Syrien, dem Irak und dem Iran.
Der Konflikt
Der seit Jahrzehnten blutig ausgetragene Konflikt um die Kurden in der Türkei schwappt hin und wieder auch nach Deutschland über. Etwa bei Demonstrationen, wo sich beide Gruppen angreifen, oder bei Anschlägen. Die verbotene Arbeiterpartei PKK (Partiya Karkeren Kurdistan) kämpft für ein Autonomiegebiet im Südosten der Türkei. In Europa und den USA wird sie als Terrororganisation eingestuft. Seit 1993 ist die PKK in Deutschland verboten.