Die Arbeiter im Engelbert-Strauss-Katalog haben nicht nur eine Arbeit – sie haben eine Mission. Foto: Engelbert Strauss

Blaumann war gestern, der Handwerker von heute trägt bunt und schick. Zu Besuch bei der Firma Engelbert Strauss, die die Berufskleidung neu erfunden hat.

Biebergemünd - Wann hat es angefangen? Dass Kinder in Hosen auf den Spielplatz gehen, die ebenso gut ein Waldarbeiter tragen könnte. Nur größer, schon klar. Wann hat der Heimwerker seine ausgebeulte Cordhose gegen etwas getauscht, das Piratenlatzhose heißt, zig Taschen hat und über Reißverschlussbelüftungen verfügt? Und seit wann fallen Bauarbeiter dadurch auf, weil sie in ihrer glänzend abgestimmten Hose-Longsleeve-Weste-Kombi sogar am Leonberger Kreuz bella figura machen?

Die Suche nach einer Antwort führt nach Hockenheim. Am Eingang eines Gewerbegebietes, flugs erreicht von der A 6, steht ein flaches Gebäude, nicht zu verfehlen dank eines riesigen, in luftiger Höhe lockenden weißen Vogels auf rotem Grund, dem Logo von: Engelbert Strauss. In einem sehr großen Schaufenster hängen sehr bunte Klamotten. Von der Decke im Inneren hängen stylish gebündelt neue Besen mit langem Stiel und glänzende Rohre, wie sie sonst nicht glänzend in Straßengräben liegen. An einer Wand weisen blinkende Warnleuchten den Weg zu den Umkleidekabinen, die schon gut belegt sind, obwohl der Tag noch jung ist. Das Leben ist eine Baustelle, und die Besucher in Hockenheim scheinen darüber froh zu sein.

Das Geschäft in Hockenheim ist das erste gewesen, in dem Berufskleidung verkauft wurde, als handelte es sich um Boutiquekleidung. Also mit durch-die-Gänge-Schlendern, Beratung, Anprobieren, Zeit verplempern. Eröffnet wurde das Geschäft im Herbst 2010 mit viel Bohei und Prominenz – nicht als Geschäft allerdings oder als Laden, sondern als: Workwear Store. Wenn man also in diesem Workwear Store herausfinden möchte, wann es schick wurde, sich zu kleiden wie Arbeiter, dann findet man dort einen Teil der Antwort: Sich zu kleiden wie Arbeiter wurde schick, als die Arbeitskleidung schick wurde. Den anderen Teil findet man 140 Kilometer weiter, im Spessart.

Ausgezeichnetes Unternehmen

In einer kleinen Gemeinde namens Biebergemünd ist die Firma Engelbert Strauss zuhause. Seit mehr als einem halben Jahrhundert gibt es das Unternehmen bereits. Dass es erst in jüngerer Zeit so unglaublich populär wurde, liegt an den zwei Herren, die in Biebergemünd die Geschäfte führen: Henning und Steffen Strauss. Die Frage, die man auf der Suche nach dem Ursprung der Revolution in der Hand- und Heimwerkerszene deshalb auch stellen muss, lautet: Wie haben die das geschafft?

Henning Strauss, 39, empfängt in einem Raum, von dessen Decke das Licht aus einem Werkzeugkasten strahlt. Ein Schutzhelm ist zum Blumentopf umfunktioniert, das Regal an der Wand aus Aluleitern errichtet. Wäre das Wetter schön, gäbe es hausgemachtes Eis vom hauseigenen Eiswagen. Aber der Espresso vom hauseigenem Barista, der im lichtdurchfluteten Foyer das hauseigene Café betreibt, ist auch okay. Eigentlich empfängt man Journalisten bei Engelbert Strauss nicht so gerne. Die Inhaber legen Wert auf Diskretion. Eigentlich. Es ist schwierig, weitgehend unerkannt zu bleiben, wenn der eigene Name in den Fußballstadien der Republik (bei DFB-Pokalspielen) und der Welt (bei Spielen der Nationalmannschaft) fett auf den Banden prangt. Und wenn die eigene Firma neue Standorte für neue Stores sucht (aktuell im Großraum Stuttgart) sowie Mitarbeiter am laufenden Band (aktuell 48). Ständig ausgezeichnet zu werden, ist der selbst auferlegten Zurückhaltung auch nicht gerade dienlich. Engelbert Strauss erhielt – alles in den letzten zwei Jahren – den deutschen und den europäischen Logistikpreis, wurde zum „Top Nationaler Arbeitgeber“ gewählt und zum „Beliebtesten Familienunternehmen“ der Textilbranche.

Deshalb sitzt Henning Strauss schließlich doch in diesem Raum, in dem das Licht aus einem Werkzeugkasten strahlt. Er trägt ein T-Shirt aus der eigenen Kollektion und sagt mit einer unerwartet weichen Stimme: „Das Unternehmen zeichnet sich durch eine sehr kontinuierliche Entwicklung aus. Allerdings hat sich die Wahrnehmung der Marke stärker geändert.“

Die Erfolgsgeschichte beginnt mit Besen und Bürsten

Am Anfang sind Besen und Bürsten. Hergestellt von den einfachen Leuten im Örtchen Kassel, das heute zu Biebergemünd gehört, verkauft von Engelbert Strauss, der als Handlungsreisender durch Deutschland tourt. Seine gleichnamige Firma gründet er anno 1948. Die Kunden, größtenteils aus dem Baugewerbe, haben auch Bedarf an schützenden Handschuhen, Pinseln und Eimern. Engelbert Strauss liefert, die Nachfrage wird größer. In den 60er Jahren, der Chef hat jetzt vier Angestellte und ein erstes Katalögchen, beginnt die Firma, ihre Waren mit der Post zu versenden. Die Nachfrage wächst weiter, das Angebot auch. Engelbert Strauss, wo die Geschäfte inzwischen Sohn Norbert führt, versendet nun auch robuste Kleidung und sichere Schuhe, Drehstühle und Steckregale. Mitte der 90er Jahre hat die kontinuierliche Entwicklung schließlich dahin geführt, dass der Betrieb 35 Mitarbeiter beschäftigt und über ein Sortiment verfügt, das 50 Katalogseiten füllt. Henning Strauss studiert zu dieser Zeit in Los Angeles BWL mit Schwerpunkt Marketing. Sein älterer Bruder Steffen arbeitet in Lexington und Boston bei Versandhändlern. Um die Jahrtausendwende kommen die Enkel des Firmengründers zurück nach Biebergemünd. Die Zeit, in der sich an der Wahrnehmung des Unternehmens etwas ändert, beginnt.

Die Kerle, die im Engelbert-Strauss-Katalog arbeiten, haben beneidenswert viel Freude an ihrem Beruf. Lachen, egal wie schwer die Stahlrohre auf ihren breiten Schultern lasten. Sind frohgemut, ganz gleich wie weit die Steppe ist, die sie urbar machen müssen. Wen stören Öl und Fett, wenn am Ende der edle Flitzer wieder flitzt? Wen scheren Wind und Wetter, wenn die Plattform im Ozean gesichert werden muss? Eben! Die Katalog-Kerle gehen nicht zur Arbeit, sie erfüllen eine Mission. „Enjoy work“ heißt das Motto bei Engelbert Strauss, wo Berufskleidung nicht nur Workwear genannt wird, sondern auch „Stoff für die Helden des Alltags“. Nebenbei: auf den Tellern in der Kantine befindet sich nicht schlichtes Essen, sondern „Kraftstoff für große Taten“.

Bevor Henning und Steffen Strauss die Workwear neu erfinden, erfinden sie also erst mal den Worker neu. Ein Elektriker, der Energie durch Starkstromleitungen dirigiert, muss der mit einem Blaumann zufrieden sein? Ist es vermessen, wenn ein Monteur, der Jumbos zum Fliegen bringt, von einer Jacke träumt, die mehr ist als reißfest? Sollte der einzige Anspruch eines kunstfertigen Malers der sein, dass seine Latzhose Kleckse nachsieht? Natürlich nicht! Oder, wie Steffen Strauss es mal dezent ironisch formulierte: „Wir haben dem Handwerker seine Ehre zurückgegeben.“

Was sagen die Experten?

Die Stoffe werden fröhlicher. Seeblau, enzianblau, kornblau, feuerrot, kastanie, platin, seegrün, tannengrün. Die Schnitte werden modischer. Tailliert, eng, weit, sportlich. Die Materialien werden raffinierter. Weich, robust, elastisch, winddicht, atmungsaktiv, wärmeregulierend. Und inzwischen ist es so, dass der aktuelle Katalog rund 1300 Seiten füllt und sich mehr als 25 000 Artikel im Sortiment befinden, inklusive Wischmop, Kabelbinder und Brotzeit-Besteck. Allein die Arbeitshosen sind in 80 Größen erhältlich, Schuhe gibt es bis zur Riesennummer 52. Man kann festhalten: Die Erfinder der Alltagshelden, zu denen – aber hallo! – auch Frauen gehören, haben ganze Arbeit geleistet. Oder? Mal nachfragen!

Beim Handwerk zum Beispiel. Die moderne Arbeitskleidung werde mehr und mehr zum Marketingmittel, sagt Christa Muschert von der hiesigen Handwerkskammer, welche sich ihrerseits seit Jahren sehr viel Mühe gibt, dem Handwerk ein zeitgemäßes Image zu verpassen. Aus Gründen der Neutralität nennt sie Engelbert Strauss nicht namentlich, aber es klingt Respekt durch, wenn Christa Muschert sagt: „Ein Katalog mit Berufsbekleidung stehe einem Modekatalog heute in nichts mehr nach.“

Oder beim Deutschen Mode-Institut in Köln. Mit der Berufskleidung von heute würden Botschaften vermittelt, sagt Gerd Müller-Thomkins, der das Institut leitet. Ihre stolzen, selbstbewussten Träger strahlten Bodenständigkeit und Verlässlichkeit aus, wichtige Werte in einer aus den Fugen geratenen Welt. Sein Fazit: „Engelbert Strauss hat zur richtigen Zeit die richtigen Maßnahmen getroffen.“

Oder beim Verein German Fashion, in dem auch etwa 60 Berufsbekleider organisiert sind: Früher habe man eine Arbeitshose gekauft, weil der Bedarf da war, heute greife man zu, weil das Begehren da sei, sagt Thomas Rasch, der Hauptgeschäftsführer des Vereins. „Engelbert Strauss hat sich zu einem Vorzeigeunternehmen entwickelt.“

Oder bei der Konkurrenz. Die Zielgruppe sei heute viel breiter, der Markt viel attraktiver, sagt etwa Melanie Röger von Würth Modyf. Bis vor Kurzem tauchte die Firma ohne den Vornamen ihrer weltbekannten Mutter Würth auf. Nun steht er dabei, um die Marke besser sichtbar zu machen. So wie – genau – Engelbert Strauss: „Die haben Style und eine ganz andere Wahrnehmung in die Branche gebracht.“

Werbeproduktionen in Hollywood

Als Henning und Steffen Strauss 2003 mit der Neupositionierung ihrer Marke begannen, schafften in Biebergemünd etwa 140 Mitarbeiter, heute sind es 1100. Die Zahl der versendeten Pakete liegt an starken Tagen bei mehr als 40 000, die der Kunden im siebenstelligen Bereich, in den asiatischen Zulieferbetrieben arbeiten mehr als 10 000 Männer und Frauen. Die sozialen Bedingungen dort dokumentiert die Firma ausführlich, zum Umsatz hingegen, gibt es nichts. Nur so viel verrät Henning Strauss: er liegt im „höheren dreistelligen Millionenbereich“.

Voriges Jahr hat das Unternehmen sein Erweiterungsgebäude bezogen, das – man ahnt es – nicht Erweiterungsgebäude heißt, sondern Unternehmenscampus. Auf dem Campus gibt es außer mehreren messehallengroßen Foyers, in denen zu Lounges gestapelte Paletten drapiert sind: Seminarräume, in denen beim Betreten Vögel zwitschern (man ist im Spessart); einen Studyroom, in dem aktuellste Fachliteratur bereit steht; eine fast fertige Kita (für die Meister von morgen) und so viele andere Räume, dass für das Bewältigen der Distanzen Fahrräder bereit stehen. Ihre Benutzung ist gratis, wie die des Fitnessstudios und der Badmintonschläger, mit denen sich die Straussianer (alle duzen sich) über den campuseigenen Sportplatz jagen können. „The power is unstoppable“, heißt es im krachenden Engelbert-Strauss-Video, das, außer im Kino im eigenen Youtube-Kanal zu sehen ist und wie alle Werbeproduktionen in Hollywood fabriziert wurde. „Der Erfolg“, sagt Henning Strauss, „hat uns in unserer Markenentwicklung immer konsequenter werden lassen.“

Im Oktober eröffnet Engelbert Strauss in Oberhausen einen weiteren Workwear Store, es ist der vierte. Die Wände werden mit historischen Bohrern und Motorsägen dekoriert, an der Decke wird, konsequent pottgerecht, ein sechs Meter breiter Kronleuchter strahlen, der aus echten Grubenlampen designt wurde. Angenehme Arbeitsatmosphäre auf 2000 Quadratmetern. Hockenheim (800 Quadratmeter) wirkt da fast schon wieder langweilig.

Im ersten Workwear Store, dort, wo die schicke neue Arbeitswelt erstmals sichtbar wurde, legen sich Landschaftsgärtner am Morgen des Besuchs lächelnd neue Schuhe zu. Frauen freuen sich an kurzen Hosen, die auf Anhieb passen. Ein junger Mann wird bei einer Jacke schwach, die er, wie er sagt, gar nicht braucht. Ein älterer Mann lässt sich von seiner Gattin nicht nur von der Notwendigkeit einer neuen Hose überzeugen, sondern auch von der eines dazu passenden Oberteils. „Dann“, sagt die Frau, „bist du gut angezogen.“

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