Vermutlich kennt niemand die Schwäbische Alb und ihre Geschichte besser als Jürgen Meyer: Er ist seit 20 Jahren draußen unterwegs und sucht nach Burgruinen und Viereckschanzen. Derzeit schreibt er an seinem 18. Buch.
Mössingen - Wie so oft war es der Zufall, der auch Jürgen Meyer zu dessen Lebensthema geführt hat – oder sagen wir vornehmer: Schicksal. Als Journalist und Fotograf war der 55-Jährige schon immer viel auf der Schwäbischen Alb unterwegs, aber eben rein beruflich: Gemeinderat in Sonnenbühl, Waldbegehung in Hayingen. Doch dann suchte man vor 20 Jahren einen Autor für eine Zeitungsserie, in der Heimatforscher über lokale archäologische Geheimnisse erzählen sollten. Meyer hob die Hand und ging mit den älteren Herrschaften zu keltischen Grabhügeln und römischen Straßen: „Und plötzlich begann ein Feuer zu lodern“, erinnert er sich.
Sein ganzes Leben wohnt er am Fuß der Alb, in Mössingen-Belsen, aber dass die Alb eine so reichhaltige Geschichte besitzt, das brachte ihn zum Staunen. Oben auf dem Roßberg ist noch ein Wall aus dem Spanischen Erbfolgekrieg zu sehen, bei Hechingen-Beuren könnte der Kaiser Valentinian gegen Alamannen gekämpft haben. „Römische Schlachten kannte ich nur aus Hollywood“, sagt Meyer: „Dabei haben welche direkt vor meiner Haustür stattgefunden.“
Mittlerweile ist Meyer jede Woche zwei- bis dreimal auf der Alb unterwegs, vom Ipf bis zum Randen, von Bopfingen bis nach Tuttlingen. Rund 18 000 Kilometer fährt er pro Jahr mit dem Auto über die Alb, ungezählte Kilometer wandert er durch Schluchten und über Bergrücken, um eine vergessene Burgruine zu finden oder eine aufgegebene Siedlung wiederzuentdecken. Sein Alleinstellungsmerkmal: er kennt Orte, die sonst niemand kennt – in seine Bücher nimmt er neben den berühmten Sehenswürdigkeiten immer auch Orte auf, von denen höchstens noch ein paar Einheimische wissen. Einer dieser Geheimtipps ist das Venedigerloch bei Bad Urach – eine Höhle, die im Mittelalter ein befestigter Rückzugsort für den Ortsadel war.
Jürgen Meyer hat selbst schon Burgruinen neu entdeckt
Meyers Quellen, das sind die Heimatbücher der vielen Albdörfer und die Blätter örtlicher Geschichtsvereine, die oft nur in sehr kleiner Stückzahl gedruckt wurden: „Daraus könnte ich zwei Leben lang Geschichten ziehen.“ Auch klopft er alte Karten nach Gewannnamen ab, die manchmal Hinweise auf alamannische oder römische Überreste geben. Meyer erwirbt alle diese Schriften, meist auf Flohmärkten, weil er sie griffbereit zuhause haben und weil er den modrigen Geruch alten Papiers riechen will. Mittlerweile ist er ein so ausgefuchster Experte, dass er selbst drei unbekannte Burgplätze entdeckt hat. Einer liegt bei Emeringen nahe Zwiefalten: Bei einer Wanderung stand er plötzlich in einem Graben, und sein Instinkt sagte ihm, dass der nicht natürlichen Ursprungs war. Bei einem zweiten Besuch fand er Scherben, die das Landesdenkmalamt auf das 12. Jahrhundert datierte – Archäologen bestätigten schließlich Meyers Vermutung.
Zur Hälfte arbeitet Jürgen Meyer noch beim „Reutlinger General-Anzeiger“, die restliche Zeit widmet er sich der Schwäbischen Alb. Die Liebe zur Heimat und die Begeisterung über den dortigen historischen und geologischen Reichtum treiben ihn an: Für ihn ist die Alb einzigartig. Und ein Buch gilt ihm dann als gelungen, wenn er ein wenig von seinem Feuer an die Leser übertragen kann: „Für mich ist es spannend, zum Beispiel in einer abgelegenen Schlucht eine Höhle zu suchen – und am Ende zu finden, wo kein Schild hinführt und kein Tourist hingeht. Diesen Kitzel soll auch der Leser spüren, wenn er sich aufmacht“, sagt Meyer. „Das hat dann eine andere Qualität als wenn man in der Bärenhöhle Eintritt zahlt.“ Sein 18. Buch – nach mehreren Ausflugs- und Archäologiegeschichtenführern – hat die Höhlen der Alb zum Thema. Es werden höchstens 100 aufscheinen, dennoch wird er bis zu 200 Höhlen besuchen, denn: „Ich will alle sehen und erst dann entscheiden, welche die schönsten sind.“ Vielleicht ringt sich der Verlag Oertel + Spörer, in dem alle Bücher Meyers erscheinen, dieses Mal auch zu einem opulenteren Layout durch – denn bisher kommen alle Werke optisch fast zu bescheiden daher für den gewichtigen Inhalt.
Insgesamt 50 000 Comics lagern bei ihm zuhause
Und als ob dieses aufwendige Hobby nicht schon ausreichen würde: Jürgen Meyer hat noch ein zweites Groß-Faible. Er sammelt Comics. Als Sechsjähriger sei er mal krank geworden und habe nichts zu lesen gehabt. Da habe er beschlossen, dass dies nie wieder vorkommen dürfe. Und so legte er fortan sein Taschengeld ausschließlich in Comics an, heute fahndet er nach fehlenden Heften aus alten Serien – auf Flohmärkten, weil ihm das Kaufen im Internet zu langweilig wäre: „Ich will das Jagdfieber spüren und die Freude, wenn ich mit einer vollen Tüte neuer Hefte nach Hause komme.“ Mittlerweile sind es 50 000 Hefte geworden, die er schön geordnet aufgewahrt. Auch wenn die Geschichten oft trivial sind, so liebt er doch zwei Dinge daran. Erstens die damalige Jugendsprache: „Heute sagt zum Beispiel niemand mehr: ‚Ich glaube, mein Schwein pfeift.‘“ Und zweitens freut er sich an den alten Anzeigen mit Capri-Sonne und Plantagenkakao. Auch in den Comics taucht Jürgen Meyer also letztlich in die Geschichte ein – in seine eigene. Dennoch geht er unsentimental mit dem Fundus um: „Ich habe keine Kinder – wenn ich mal tot bin, gibt’s halt’ ne Menge Altpapier.“