Der Angeklagte Stefan B. wartet auf den Prozessbeginn. Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Der mutmaßliche Attentäter von Halle ist geständig, seine Verurteilung ist wahrscheinlich. Doch viele Fragen werden im Prozess offen bleiben, kommentiert Christian Gottschalk.

Stuttgart - 18 Verhandlungstage sind nicht viel. Zumindest dann nicht, wenn ein Oberlandesgericht einen Fall von rechtem Terror verhandelt. Mehr als fünf Jahre dauerte das NSU-Verfahren in München, und in Frankfurt glaubt niemand daran, dass die 30 terminierten Prozesstage ausreichen, um den Mord an Walter Lübcke aufzuklären. Das OLG Naumburg möchte dagegen seit Dienstag in insgesamt 18 Verhandlungstagen klären, welche Strafe Stefan Balliet zu erwarten hat. Jener Stefan Balliet, der am 9. November 2019 zwei Menschen in Halle erschoss und 68 Menschen jüdischen Glaubens töten wollte.

Menschenverachtende Sprache

Vermutlich werden die 18 Verhandlungstage reichen, und vermutlich wird am Ende eine lebenslange Freiheitsstrafe stehen. Stefan Balliet ist geständig, und er redet in einer teils menschenverachtenden Sprache, die keinen Zweifel daran lässt, welch Geistes Kind er ist. Viele mögen beim Terrorismus an Zusammenschlüsse ideologisierter Fanatiker denken, so wie damals die RAF. Stefan Balliet war nie Teil einer solchen Gemeinschaft. Weniger gefährlich ist er deswegen nicht. Er fühlt sich als Teil eines Kollektivs unterdrückter Einzeltäter, und davon gibt es einige. Wie es dazu kommt, wie so etwas verhindert werden kann – das sind die Kernfragen, doch die kann ein Strafprozess nicht aufarbeiten, höchstens anreißen.

Eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft

Vermutlich werden daher 43 Nebenkläger am Ende den Gerichtssaal mit einem schalen Gefühl verlassen. Sie werden immer noch nicht verstehen, wie es zu all dem kommen konnte. Der Prozess darf daher nur der Anfang der Aufarbeitung sein. Die ist keine juristische, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe. Und sie geht weit über die Grenzen Halles hinaus.

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