Beobachter befürchten eine Eskalation zwischen den beiden Atomstaaten – im schlimmsten Fall ein Konflikt, der atomar ausgetragen werden würde. Foto: Imago/Dreamstime

Die Angst vor einem Atomkrieg ist zurück. US-Forscher warnen: Schon ein regionaler Konflikt mit nuklearen Waffen könnte die Welt in globales Chaos stürzen. Droht zwischen den Atommächten Indien und Pakistan ein heißer (atomarer) Krieg?

Nach dem tödlichen Anschlag im indisch verwalteten Teil Kaschmirs rechnet Pakistan nach Angaben eines Ministers in Kürze mit einem Angriff des indischen Militärs. Jegliche Aggression würde von Pakistan entschieden beantwortet, warnte Informationsminister Attaullah Tarar. Pakistan habe "glaubwürdige Geheimdiensterkenntnisse", wonach Indien einen Angriff in den nächsten 24 bis 36 Stunden plane, schrieb er am frühen Mittwochmorgen (Ortszeit). Der Anschlag im indischen Teil Kaschmirs diene Indien dabei lediglich als vorgeschobene Begründung. 

 

Bereits zwei Kriege um Kaschmir

Die umstrittene Kaschmir-Region im Himalaya ist zwischen Pakistan und Indien geteilt. Beide Staaten beanspruchen aber das ganze Gebiet für sich. Die Ursprünge des Konflikts reichen bis in die Kolonialzeit zurück. 1947 entließen die Briten den indischen Subkontinent in die Unabhängigkeit und teilten diesen in Indien und den neuen Staat Pakistan für Muslime auf. Die gewaltvoll verlaufene Teilung nährt bis heute eine erbitterte Rivalität. Seit ihrer Unabhängigkeit führten beide Länder drei Kriege gegeneinander, zwei davon um Kaschmir.

Soldaten der indischen Armee patrouillieren entlang der stark militarisierten Kontrolllinie, die die Region Kaschmir zwischen Indien und Pakistan teilt, im Sektor Akhnoor.  Foto: Channi Anand/AP/dpa
Pakistanische Soldaten patrouillieren auf einer Straße in Rawalpindi.   Foto: W. K. Yousufzai/AP/dpa

In der Vergangenheit ist es in der Grenzregion häufiger zu Schusswechseln zwischen indischen und pakistanischen Soldaten gekommen, seit einigen Jahren war es dort jedoch vergleichsweise ruhig.

Verschärfte Krise nach Terroranschlag

Auslöser der erhöhten Spannungen war ein verheerender Terroranschlag in der umstrittenen Region Kaschmir. Bewaffnete Angreifer hatten am Dienstag (22. April) auf einer Bergwiese in einer beliebten Urlaubsgegend nahe der Stadt Pahalgam in dem von Indien verwalteten Teil der Himalaya-Region 26 Menschen getötet, mindestens 17 weitere wurden verletzt.

Die Regierung in Neu-Delhi wirft Pakistan eine Beteiligung an dem Terroranschlag vor, was der Nachbarstaat zurückweist. Beide Länder sind seitdem mit harten Maßnahmen gegeneinander vorgegangen, etwa mit der Ausweisung von Diplomaten und Staatsbürgern der anderen Seite sowie der Aussetzung eines wichtigen Wasservertrags seitens Indien.

Atomare Aufrüstung weltweit. Foto: dpa-Infografik

Beim Atomkrieg gibt es nur Verlierer

Beobachter befürchten eine Eskalation zwischen den beiden Atomstaaten – im schlimmsten Fall ein Konflikt, der atomar ausgetragen werden würde.

Bei einem Atomkrieg gibt es keine Gewinner. Dieses Credo aus dem Kalten Krieg hat bisher nukleare Waffengänge verhindert. Bereits in 1950er Jahren prophezeiten Wissenschaftler, dass ein atomarer Konflikt zwischen den Supermächten verheerende Folgen für die gesamte Menschheit hätte.

Rauch und Aerosole der thermonuklearen Explosionen würden die Sonne verdunkeln und das Weltklima über viele Jahre abkühlen. Die Folge: ein nuklearer Winter.

Dr. Nagai, ein Arzt am Nagasaki Hospital und Strahlenopfer, steht am 9. August 1945b in den Ruinen der japanischen Industriestadt. Foto: mago/Reinhard Schultz

Droht ein atomarer Konflikt Indien und Pakistan?

Angesichts der konfliktiven Lage in Kaschmir zwischen den Atommächten Indien und Pakistan ist ein Forscherteam um den US-Klimawissenschaftler Owen Toon von der University of Colorado in Boulder der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen ein regionaler nuklearer Krieg für die gesamte Welt haben könnte. Ihre Studie ist im Fachmagazin „Sience Advances“ veröffentlicht worden.

„Ein in der Geschichte der Menschheit beispielloser Krieg“

„Unser Szenario beginnt mit einem Terrorangriff auf die indische Regierung“, erläutern die Experten zu Beginn ihrer Analyse. Daraufhin startet Indien zunächst einen konventionellen Vergeltungsangriff auf die pakistanische Grenzregion Kaschmir. Pakistan beschießt indische Städte mit Atomwaffen, Indien reagiert mit Gegenangriffen. Innerhalb von einer Woche haben beide Länder mehr als 200 Atomschläge durchgeführt.

„Dies wäre ein in der Geschichte der Menschheit beispielloser Krieg“, erklärt Owen Toon. Schon in der ersten Woche könnten durch die Explosionen, Verstrahlung und verheerende Brände zwischen 50 und 125 Millionen Menschen in den betroffenen Regionen sterben.

Start einer  Agni-V ballistischen Interkontinentalrakete in Indien. Foto: Imago/Xinhua
Präsentation einer Shaheen-II-Mittelstreckenrakete in Pakistan. Foto: Imago/Newscom World

Durch Explosionen und Brände würden gewaltige Mengen an Rauch freigesetzt. Eine radioaktive Wolke aus 16 bis 36 Milliarden Kilogramm Ruß würde sich innerhalb weniger Wochen über den gesamten Globus verteilen. „Dadurch wird die Sonneneinstrahlung um 20 bis 35 Prozent verringert und die Erdoberfläche kühlt sich ab“, erläutert Owen Toon.

Zahl der Opfer wäre astronomisch

Die globalen Temperaturen würden um zwei bis fünf Grad und die Niederschläge um 15 bis 30 Prozent sinken. Die Folgen wären Missernten und weltweite Hungersnöte. Klimaforscher Toon geht davon aus, dass die Nahrungsmittelproduktion über mehrere Jahre um 15 bis 30 Prozent sinken könnte.

„Zum ersten Mal in der Geschichte könnte dadurch ein regionaler Krieg mehr Menschenopfer fordern als weltweit in einem Jahr aus natürlichen Gründen sterben.“

Anfang 2025 hatten  Indien und Pakistan Listen ihrer jeweiligen Nuklearanlagen ausgetauscht. Der diplomatische Deal ist Teil eines beschränkten Nichtangriffspaktes zwischen den zwei rivalisierenden Atommächten.  Foto: Imago/Depositphotos

Wie groß sind die nuklearen Waffenpotenziale der Atommächte?

Die Anzahl der einsatzbereiten Atomwaffen ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Zwar würden Sprengköpfe ausrangiert und die weltweite Zahl der Kernwaffen sinke seit Jahrzehnten, wie das Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri in seinem am Montag (17. Juni) veröffentlichten Jahresbericht schreibt. Zugleich würden aber immer mehr Sprengköpfe einsatzbereit gehalten. Das Institut bezog sich dabei auf Daten vom Januar 2024 im Vergleich zum Januar 2023.

Mehr Atomwaffen in der Entwicklung

Zugenommen hat laut Sipri auch die Zahl von Kernwaffen, die sich in der Entwicklung befinden, da Staaten ihr Vertrauen in die nukleare Abschreckung verstärkten. Vom weltweiten Gesamtbestand der schätzungsweise 12 121 Sprengköpfe im Januar 2024 befanden sich etwa 9585 in militärischen Lagerbeständen für den potenziellen Einsatz.

Forscher rechnen bei einem Atomkonflikt zwischen Indien und Pakistan mit Dutzenden Millionen von Toten. Foto: Imago/Dreamstime

Rund 3904 dieser Sprengköpfe waren auf Raketen und Flugzeugen bestückt – 60 mehr als im Januar 2023. Der Rest befand sich laut Bericht in Zentrallagern.

Die Experten erwarten, dass sich der Trend in den kommenden Jahren fortsetzen und noch beschleunigen wird, was „äußerst besorgniserregend“ sei.

Neun Staaten besitzen Nuklearwaffen

Sipri zufolge verfügen neun Länder über Atomwaffen. Spitzenreiter sind dabei USA und Russland. In ihren Beständen befinden sich etwa 90 Prozent aller nuklearen Sprengköpfe.

Großbritannien rangiert auf dem dritten Platz gefolgt von Frankreich, China, Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel. Zum ersten Mal soll auch China einige Sprengköpfe in hoher Alarmbereitschaft halten. Deutschland besitzt keine Atomwaffen.

Einsatzbereite Atomwaffen und Lagerbestände

Die Gesamtzahl der nuklearen Sprengköpfe im Besitz der Atommächte Großbritannien, China, Frankreich, Indien, Israel, Nordkorea, Pakistan, USA und Russland ging laut Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri 2022 von 12.710 auf 12.121 in diesem Jahr zurück. Davon waren demnach allerdings rund 9585 in „militärischem Lager- und Bestand“.

Die japanische Großstadt Hiroshima nach der atomaren Vernichtung im August 1945.  Foto: Imago/Heritage Images

Sipri unterscheidet zwischen einsatzbereitem Lagerbestand und Gesamtbestand. Zu Letzterem gehören auch ältere Atomwaffen und solche, die für den Rückbau bestimmt sind. Der Lagerbestand bezeichnet die „nutzbaren Atomwaffensprengköpfe und diese Zahlen beginnen leicht zu steigen“. Die Zahl sei aber noch weit entfernt von den mehr als 70.000 während der 1980er Jahre (mit dpa-Agenturmaterial).