So zufrieden und entspannt sieht ein Leben mit Baby vor allem auf Werbefotos aus. Foto: Fotolia

Rosig liegt das Baby zwischen seinen glücklichen Eltern: Solche Vorstellungen entsprechen oft nicht den ersten Monaten mit einem Kleinkind. Vor allem Männer flüchten sich bei depressiven Anzeichen gern in ihre Arbeit oder in Hobbys.

Ingolstadt - Dirk hat sich sehr auf die Geburt seiner Tochter gefreut. Doch Laura ist ein extrem unruhiges Baby, das tags und nachts viel Aufmerksamkeit braucht. Dirk, der als kaufmännischer Angestellter stark gefordert ist, kehrt wenige Tage nach der Geburt an den Arbeitsplatz zurück. Er fühlt sich als Ernährer der Familie in der Pflicht.

Wenn er abends müde nach Hause kommt, überreicht ihm seine Frau entnervt ein schreiendes Bündel. Nachts weint Laura so viel, dass Dirk sich nicht erholen kann. Morgens schleppt er sich wie gerädert ins Büro. Er arbeitet jetzt noch länger und lässt sich daheim kaum blicken. Bis er nach vier Monaten merkt: „Ich kann einfach nicht mehr.“

Etwa jeder zehnte Vater geht im ersten Lebensjahr seines Kindes durch eine psychische Krise, wie neue Studien aus den USA und Australien zeigen. „Ich war von dieser hohen Zahl zunächst auch überrascht“, sagt Alexandra Hölzlein vom Landratsamt Bamberg. Sie leitet das regionale Netzwerk „Krise nach der Geburt“. Denn postpartale Depressionen hat man früher nur mit Frauen in Verbindung gebracht. Geschätzte 15 Prozent aller Mütter zeigen Wochen oder Monate nach der Entbindung Symptome einer Depression. Bei ihnen erhöhen die hormonellen Umstellungen das Risiko für eine Krise. Aber ein Vater mit Wochenbettdepression?

In vielen Fällen wird die Depression gar nicht diagnostiziert

„Dieser Begriff führt in die Irre. Deshalb vermeide ich ihn auch“, sagt Hölzlein. Denn die Verstimmungen können nicht nur kurz nach der Geburt, sondern noch Monate später auftreten. „Eine postpartale Depression ist eine psychische Krise in den ersten 12 bis 18 Monaten nach der Geburt.“

Erkannt werde sie von den Betroffenen häufig jedoch nicht, sagt Anette Kersting von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde. „Sie bemerken zum Beispiel nur, dass sie an Schlafstörungen leiden oder oft ins Grübeln kommen und sich müde und erschöpft fühlen.“ In vielen Fällen würde die Depression daher gar nicht diagnostiziert. Und auch wenn sie festgestellt wird, wollen sich viele der Betroffenen nicht behandeln lassen. „Sie können sich die Krankheit nur schwer eingestehen. Die Geburt eines Kindes gilt ja als höchstes Glück“, sagt Kersting, Direktorin der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Leipzig. „Eine Depression führt da oft zu Schuldgefühlen. Darüber will niemand sprechen.“

Gerade bei Vätern macht sich das Stimmungstief häufig nur indirekt bemerkbar. Die Kinderärztin und Psychotherapeutin Barbara von Kalckreuth, die in der Freiburger Babyambulanz Familien berät, berichtet: „Einige Väter kompensieren ihre Probleme sehr stark, zum Beispiel, indem sie sich in ihrem Beruf verausgaben oder sich in die Hobbys ihrer Junggesellenzeit flüchten.“ Daneben gäbe es aber auch Männer mit deutlichen depressiven Symptomen wie Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen, Antriebslosigkeit, aber auch chronischen Schmerzen wie Rückenproblemen.

„Väter wissen zunächst oft nicht, welche Rolle sie haben“

Dass Väter von sich aus Hilfe suchen, kommt offenbar nur selten vor. So hat es bei der bundesweit tätigen Selbsthilfeorganisation Schatten & Licht bislang nur wenige Anfragen von Männern gegeben. Auch Alexandra Hölzlein kommt nur über Mütter in Kontakt mit depressiven Vätern. „Wir erleben häufig, dass es den Vätern schlechter geht, wenn sich die Frauen wieder stabilisiert haben.“

Das deckt sich mit dem Ergebnis von Studien: Eine postpartale Depression der Mutter ist der größte Risikofaktor für eine psychische Krise beim Vater.

Eine Depression nach der Geburt habe immer viele Ursachen, sagt Psychotherapeutin Kersting. Probleme in der Paarbeziehung, die Umstellung auf das Leben mit Baby, der Schlafentzug und die Last der Verantwortung: das alles kann Vätern zu schaffen machen „Die Vaterschaft bedeutet eine völlig veränderte Situation. Man ist jetzt immer zu dritt. Väter fühlen sich als Ernährer der Familie gefordert, gerade wenn die Mutter zunächst nicht arbeitet. Das kann alles zu viel sein“, sagt Kersting. Besonders groß ist die Gefahr, in eine Krise zu geraten, bei einer erblich bedingten Veranlagung zur Depression.

Vielen Vätern bereitet auch die anfangs so enge Beziehung zwischen Mutter und Kind Probleme. Nicht selten fühlen sie sich ausgeschlossen. „Väter wissen zunächst oft nicht, welche Rolle sie haben“, sagt Kalckreuth. Außerdem geht die Psychoanalytikerin davon aus, dass bei vielen der betroffenen Eltern unverarbeitete Ereignisse wie ein Zerwürfnis mit den Eltern nach einer Geburt wieder hervorkommen.

Unter längeren psychischen Krisen der Eltern leiden auch die Kinder. Oft ist die Kommunikation zwischen Eltern und Kind in solchen Fällen gestört, wie Kersting erklärt. „Das sieht man zum Beispiel daran, dass Babys den Blick von depressiven Müttern abwenden.“ Schlaf-, Still- und Fütterprobleme können die Folge sein. Dazu passen die Erfahrungen von Barbara von Kalckreuth: In die Babyambulanz werden Kinder wegen exzessiven Schreiens, Schlaf- oder Anpassungsschwierigkeiten gebracht. Oft stellt sich dann heraus, dass eine Depression der Mutter oder des Vaters dahintersteckt.

Kersting rät, zunächst den Hausarzt darauf anzusprechen, wenn man an sich depressive Symptome beobachtet. Bei leichten Fällen braucht es häufig keine Medikamente, sondern einfach nur ein Gespräch, um den Eltern zu helfen. „Mit dem Schlafmangel im Nacken sehen sie die Dinge oft viel dramatischer, als sie sind“, sagt Hölzlein. Außerdem brauche die Umstellung auf ein Leben zu dritt Zeit: „Das dauert so lange, wie auch die Schwangerschaft gedauert hat.“