Fast jeder zehnte Mensch weltweit leidet nach Angaben der WHO an einer Depression oder an starken Angstzuständen. Foto: dpa

Wenn Niedergeschlagenheit das Leben regiert und Alltagssituationen Schweißperlen auf die Stirn treiben: Therapien für psychisch Kranke seien zwar teuer, schreibt die WHO. Sie lohnen sich aber – auch wirtschaftlich.

Genf/Stuttgart - Fast jeder zehnte Mensch weltweit leidet nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO (World Health Organisation) an einer Depression oder an starken Angstzuständen. Die Zahl der Betroffenen sei in den vergangenen Jahrzehnten stark angestiegen. Die UN-Organisation hat berechnet, dass die dadurch ausgelösten psychischen Gesundheitsprobleme der Weltwirtschaft jährlich Kosten in Höhe von rund 900 Milliarden Euro verursachen – vor allem durch Fehlzeiten und Produktionsausfälle.

Investitionen zur Hilfe Erkrankter hätten daher nicht nur gesundheitliche, sondern auch wirtschaftliche Vorteile, heißt es in der am Mittwoch in Genf veröffentlichten Studie. Ein investierter Dollar und Euro, um Depressiven und Angstpatienten besser zu helfen, bringe einen Nutzen von vier Dollar (3,5 Euro) wegen verbesserter Gesundheit und höherer Arbeitsfähigkeit ein. Die Studie ist im Fach-Journal „The Lancet Psychiatry“ veröffentlicht.

WHO-Bericht: Zahl der Betroffenen steigt rapide

Humanitäre Katastrophen und Konflikte auf der ganzen Welt erhöhten den Bedarf nach Behandlungen zusätzlich, sagt WHO-Generaldirektorin Margaret Chan. Insgesamt steigt die Zahl der Menschen mit Depression und Angstzuständen stark: Von 1990 bis 2013 sei sie von 416 auf 615 Millionen geklettert, heißt es in der Studie weiter. „Das ist nicht nur ein Thema für das öffentliche Gesundheitswesen – das ist eine Entwicklungsfrage. Wir müssen jetzt handeln, weil sich die Weltwirtschaft die verlorene Produktivität einfach nicht leisten kann“, betont der Präsident der Weltbank, Jim Yong Kim.

In den kommenden 15 Jahren müssten der WHO-Studie zufolge die 36 untersuchten Industrie- wie Nicht-Industriestaaten rund 130 Milliarden Euro für verbesserte Behandlungen und Medikamente investieren. Dafür gäbe es aber eine Steigerung der Erwerbsquote um fünf Prozent. Die Produktivität würde dadurch mit etwa 350 Milliarden Euro bewertet und die verbesserte Gesundheit bringe als Gegenleistung rund 270 Milliarden Euro ein.

Viele Länder seien aber weit davon entfernt, genug für psychisch Erkrankte auszugeben: Laut einer WHO-Studie aus dem Jahr 2014 nutzen Regierungen durchschnittlich nur drei Prozent ihrer Gesundheitsbudgets für solche Behandlungen. „Wir müssen Wege finden, um den Zugang zu psychischer Gesundheitsversorgung für alle Männer, Frauen und Kinder zur Realität zu machen, egal wo sie leben“, sagt Chan.

Depression – ein komplexes Krankheitsbild

Häufigkeit

Die Depression ist weltweit die am häufigsten auftretende psychische Erkrankung. Das Bundesgesundheitsministerium schätzt, dass bis zu vier Millionen Deutsche davon betroffen sind und fast zehn Millionen Menschen in Deutschland bis zum 65. Lebensjahr schon einmal eine Depression erlitten haben. Viele Erkrankungen werden nicht als solche erkannt und richtig behandelt.

Verlauf

Depressive Störungen äußern sich in Zuständen seelischer Niedergeschlagenheit. Die Diagnose erfolgt nach Symptomen und Verlauf. Die Psychiatrie trennt zwischen depressiven Episoden und immer wiederkehrenden – sogenannten rezidivierenden – Störungen, deren Schwere variieren kann. Laut der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen (DGBS) unternimmt etwa jeder vierte Betroffene in seinem Leben einen Suizidversuch. Rund 15 Prozent der Erkrankten würden daran sterben.

Manie und Depression

Extreme Stimmungsschwankungen sind typisch für die manisch-depressive Erkrankung, die auch als bipolare Störung bezeichnet wird. Zwischen den Polen Manie und Depression besteht ein breites Spektrum unterschiedlicher Symptome. Mal sind die Betroffenen niedergeschlagen und haben das Gefühl, wertlos zu sein, mal neigen sie zur Rastlosigkeit und zu Selbstüberschätzung.

Depression und Manie erweisen sich folglich als zwei Seiten ein und derselben Medaille. Wie man in der manischen Phase im Zeitraffertempo durch den Tag getrieben wird, so tritt man in der depressiven Phase im Zeitlupentempo auf der Stelle und versinkt in Schwermut. Unbehandelt können Depressionen Tage und Wochen andauern, mitunter auch mehrere Monate oder Jahre. Meist klingen die Symptome nicht plötzlich, sondern wellenförmig ab.

Therapie

Menschen mit einer manisch-depressiven Erkrankung stehen unter großem und permanentem Leidensdruck. Häufig geht der Arbeitsplatz verloren oder es zerbricht die Partnerschaft. Unbehandelt kann die Krankheit Wochen, Monate oder noch länger andauern. In der Regel klingen die Symptome nicht plötzlich ab, sondern verlaufen wellenförmig.

Zur Behandlung wird ein breites Spektrum an Psychotherapien und Medikamenten (sogenannte Antidepressiva) eingesetzt. Nachdem Ursachen und Verlauf der Erkrankung geklärt sind, werden vom Facharzt Antidepressiva verschrieben und/oder eine verhaltenstherapeutische oder tiefenpsychologische Gesprächstherapie verordnet.

Depressionen lassen sich nicht durch pure Willenskraft überwinden, sind aber gut behandelbar. Auch hier ist eine Kombination aus medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung am effektivsten.

Medikation

Es gebe viele Arzneien, die „wirksam sind, aber nicht allen helfen“, erklärt der Psychiater Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim. So spreche beispielsweise nur ein Teil der Patienten auf die sogenannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer an. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Antidepressiva, die bei diesem Krankheitsbild zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten gehören.

„Zurzeit läuft vieles nach dem Try-and-Error (Versuch und Irrtum)-Prinzip“, erläutert der Molekularbiologe Sven Cichon vom Department of Biomedicine der University Hospital Basel. Der Patient nehme solange Medikamente, bis irgendwann eines hilft. Der Nachteil sei, dass die Medikamente sehr unspezifisch wirkten und daher oft starke Nebenwirkungen hätten. „Wegen der unterschiedlichen genetischen Risiko- und Umweltfaktoren, die bei verschiedenen Personen vorliegen können, wirken sie bei einem Teil der Patienten gar nicht. Das ist extrem frustrierend.“