Sänger Dave Gahan bei einem Auftritt von Depeche Mode im Rahmen des Sanremo-Festivals im Februar 2023. Foto: IMAGO/ZUMA Wire/Sheila Gallerani

Die Band Depeche Mode ist wieder auf Tour und am Dienstag startet in Amsterdam der Europa-Teil. Was dürfen die Fans in den kommenden Wochen erwarten?

„Memento Mori – Bedenke, dass Du sterben wirst“, heißt das neue Album, mit dem Depeche Mode zurzeit auf Tournee ist. Und das Motto scheint im Rückblick fast prophetisch, als vor knapp einem Jahr Andrew Fletcher, dritter im Depeche-Mode-Bund neben Martin L. Gore und Dave Gahan, ganz plötzlich verstarb. Eine ganze Weile blieben die Fans nach Fletchers Tod ratlos zurück. Würde es jemals ein neues Album geschweige denn eine Tour geben? Gore und Gahan hüllten sich eine Weile in Schweigen, erst im Oktober 2022 verkündeten sie ein neues Album und die Tour dazu.

Die begann nun im März 2023 in Sacramento, insgesamt zehn Auftritte legten Gore und Gahan mit ihren Stammmusikern Peter Gordeno und Christian Eigner bis Mitte April in den USA und Kanada hin, zuletzt am 14. April im legendären Madison Square Garden in New York. Seither ist Pause, weiter geht es am 16. Mai 2023 in Amsterdam, als Auftakt des Europa-Abschnitts der Tournee. Zeit also zu fragen, was die Fans in den kommenden Wochen erwarten dürfen.

Das neue Album überzeugt wie schon lange nicht mehr

Es beginnt mit dem Album „Memento Mori“. Als Depeche Mode am 9. Februar 2023 den Song „Ghosts again“ veröffentlichten, war die Begeisterung groß. Die heitere Melancholie, die Dave Gahan und Martin Gore entfalten, hat offensichtlich den Nerv der Fans getroffen. Bei „My Cosmos is Mine“, das einen Monat später erschien, mag so mancher angesichts düster wabernder Synthesizerklänge die Ohren angelegt haben, aber letztlich setzen diese beiden Songs den Rahmen von „Memento Mori“.

Die zwölf Titel des Albums sind ein Flirt mit der Vergänglichkeit, dem sich Depeche Mode auch früher schon gerne hingegeben hat. „Memento Mori“ klinge nach einer Rückbesinnung auf die Wurzeln der Band, was bei ihm durchaus angekommen sei, wie Martin Gore in Videocalls zur Promotion des Albums sagte. Tatsächlich scheint in dem Album so viel Persönliches und Substanz zu stecken wie schon länger nicht mehr. Ob das auch mit der Ruhe und Zurückgezogenheit zu tun hat, zu der sich infolge der Coronapandemie auch Weltmusiker wie Gahan und Gore gezwungen sahen?

Allerdings: Beim ersten Hören scheinen potenzielle Mega-Hits wie „Enjoy the Silence“ und „Never Let me Down“ auf dem neuen Album zu fehlen. Eventuell brauchen manche Titel aber eine Weile, um sich zu entwickeln. Viel hängt auch von der Performance auf der Bühne ab.

Bei der Setlist der Tour bleibt sich Depeche Mode treu

Die Rezeptur eines Depeche-Modes-Konzerts ist seit einigen Touren relativ gleich: Eine Handvoll Titel vom neuen Album gruppiert sich um eine Reihe von Songs, die gelegentlich, aber nicht immer auf Tourneen erklingen. Aber sicher die Hälfte der Songs ist auf jeder Tour fester Bestandteil der Setlist – nicht unbedingt immer zur Freude mancher Fans, die sich mehr Experimente wünschen.

So ist es auch auf der Memento-Mori-Tour: Fünf Titel des neuen Albums spielen Depeche Mode, der Großteil vor allem der zweiten Hälfte eines aktuellen Konzerts ist indes den alten Hits gewidmet: Von „Enjoy the Silence“ über „Never Let me Down“ und „Personal Jesus“ bis hin zu „Just Can’t Get Enough“ wird der Großteil der Fans nicht enttäuscht. B-Hits wie „Walking in my Shoes“, „In your Room“ und „It’s No Good“ finden sich ebenfalls verlässlich wieder.

Echte Überraschungen sind hingegen eher rar gesät: Fans dürfen sich auf eine Akustik-Version von entweder „Waiting for the Night“ oder „Condemnation“ freuen. Beide Titel spielen Gahan und Gore im Wechsel, welcher bei einem Konzert erklingt, ist Glücksache. „John the Relevator“ ist nach vielen Jahren wieder einmal zu hören, ebenso wie „Wrong“.

Andrew Fletcher: Nicht mehr da und doch präsent

Mit dem plötzlichen Tod von Andrew Fletcher ist Depeche Mode zum Duo geschrumpft. Musikalisch spielt es kaum eine Rolle, Fletcher hat selbst keinen Beitrag geleistet zum Oeuvre der Band. Doch Gahan und Gore und auch sonst viele Kenner des Band-Umfelds werden nicht müde zu betonen, wie wichtig Fletcher in der Vergangenheit für den Zusammenhalt der Band gewesen sei.

Wer sich ein bisschen auskennt in der Band-Geschichte, weiß: Dave Gahan und Martin Gore sind zwei musikalische Alphatiere, die sich in den vergangenen Jahrzehnten viel aneinander gerieben oder ganz im Gegenteil gar nicht miteinander gesprochen haben. Andrew Fletcher sorgte häufig dafür, dass es weiter ging, menschlich wie organisatorisch.

Nun haben sich Gore und Gahan nach eigenen Angaben trauernd zusammentelefoniert, das Ende der Band nie wirklich erwogen und Fletchers Tod wohl eher zum Anlass genommen, das zu tun, was dieser sich sicher am ehesten gewünscht hätte: Weiterzumachen, so kraftvoll wie nur möglich. Fletchers Andenken ehrt Depeche Mode auf der Tour mit der Projektion von Porträts ihres abhanden gekommenen Band-Mitglieds zum Song „World in my Eyes“.

Dave Gahan ist womöglich in der Form seines Lebens

Dem Frontmann von Depeche Mode hat die durch die Coronapandemie erzwungene jahrelange Ruhe und Zurückgezogenheit sehr gut getan, wie er selbst in Interviews betont hat. Mehr als seine Familie, seine Katzen, schöne Abende mit Freunden und gutem Essen brauche er mit seinen gut 60 Jahren nicht mehr, sagte Gahan in Interviews zu Promotion des neuen Albums.

Das ist erfreulich zu hören, schließlich hat Gahan mehr als einmal mit dem Tod geflirtet oder ihm ins Auge gesehen: Es gab einen Suizidversuch, in den 90er Jahren war er außerdem nach einer Überdosis Drogen für mehrere Minuten klinisch tot, während der „Tour of the Universe“ 2009 ereilte ihn eine Krebserkrankung, die er ebenfalls überstand.

Was muss einer noch beweisen, der das alles hinter sicht hat? Während der jüngsten Tour scheint Dave Gahan voll in seiner Kraft zu stehen – und zu wissen, dass es auf ihn und seine Performance ankommt, damit sich die einzigartige Energie eines Depeche-Mode-Konzerts entfaltet. Mit einer ansteckenden Mischung als Coolness und Power steht Gahan auf der Bühne – die Fans in Europa dürfen sich freuen.

Memento-Mori-Tournee

Europa
Depeche Mode ist von 16. Mai an in Europa unterwegs, der Start ist in Amsterdam, das vorerst letzte Konzert am 11. August in Oslo. Danach geht es zurück auf den amerikanischen Kontinent.

Deutschland
In Deutschland lauten die Auftrittsorte Leipzig, Düsseldorf, München, Frankfurt und Berlin. Alle Konzerte sind mehr oder weniger ausverkauft. Vereinzelt gibt es noch Karten, aber meist nur in kostspieligen Arrangements oder so genannten Business Seats.