Keine 20 Jahre alt, aber zum Abriss vorgesehen: die frühere EnBW-Zentrale Foto: Lederer, Ragnarsdóttir, Oei

Die Architekten wollen den Denkmalschutz in Stuttgart hoch halten, aber eine Strategie gegen den Abriss, zum Beispiel der früheren EnBW-Zentrale, haben sie nicht.

Stuttgart - Es ist eine Anekdote, eine hübsche zumal, und sie belegt den Stellenwert der Denkmalpflege. Als der damalige Oberbürgermeister Arnulf Klett Anfang der 1970er Jahre die Markthalle abreißen lassen wollte, erhielt die Architekturfakultät an der Universität Stuttgart einen Anruf, der ein Hilferuf war. Ob sie nicht ein Gutachten über den kulturhistorischen Wert der Markthalle machen könnten, baten „subversive Denkmalpfleger“ um Unterstützung von außen, weil sie innerhalb der Behörden ausgebremst würden – und so geschah es, was schließlich zum Erhalt eines Gebäudes führte, das heute aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken ist und sich bei Einheimischen wie Besuchern großer Beliebtheit erfreut – ein Aushängeschild der Landeshauptstadt, die gegenwärtig von der fünften Welle des Abriss-Furors erfasst wird, wie der Architekt Roland Ostertag in einem viel beachteten Beitrag für unsere Zeitung schrieb.

Erzählt hat diese Anekdote der Architekturhistoriker Frank Werner bei der Eröffnung der sehenswerten Ausstellung „Stuttgart reißt sich ab“ – und über die Anekdote ließe sich befreit schmunzeln, wenn es heute grundlegend anders wäre. Doch es ist nicht so, das zumindest war das Fazit einer Podiumsdiskussion, an deren Ende die Architektin Jórunn Ragnarsdóttir, deren mit Preisen dekorierte und keine 20 Jahre alte EnBW-Zentrale an der Jägerstraße ein Opfer der Abrissbirne zu werden droht, sagt: „Lamentieren ist einfach. Wir müssen uns als Bürger Konzepte überlegen, wie das gestoppt werden kann.

“Der Abbruch von Gebäuden ist wertfrei

Natürlich sei der Abbruch von Gebäuden an sich „wertfrei“, so Werner: „Städte haben sich immer selbst überschrieben“. Auch Ragnarsdóttir mag prinzipiell nichts Schlimmes daran finden, „wenn etwas Besseres nachkommt“. Auf die von ihrem Büro entworfene EnBW-Zentrale angesprochen bezeichnet sie den drohenden Abriß aber als „ein Desaster, wenn es sich eine Gesellschaft leistet, ein 18 Jahre altes Gebäude zu zerstören“. Einen Bau, der im übrigen seit Jahren leer stehe und verwahrlose, weil die „hohen Herren“ im Fasanenhof bauten, damit „der Weg vom Flughafen in die Zentrale nicht so weit war“, wie die Architektin bitter anmerkt. Außerdem habe die EnBW ihre Ex-Zentrale mit Abrissgenehmigung verkauft, weil das mehr Geld bringe. Dort will ein Investor nun Wohnungen und Büros bauen, allerdings stößt das Projekt bei der Stadt auf wenig Gegenliebe.

Das Schicksal dieses Hauses zeige exemplarisch, dass die Stadt Stuttgart, in der in den 70 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg mehr Gebäude abgerissen als während der Bombardements zerstört wurden, sich den Kapitalinteressen ausliefere, sagt der Journalist Dietrich Heißenbüttel. Die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen gehe einher mit dem Verkauf von Grundstücken und dem Abriss alter Arbeitersiedlungen wie nun in Zuffenhausen – allein deshalb, so Heißenbüttel, um mehr Profit zu machen, ei es durch Bodenspekulation oder höhere Mieten. „Die Stadt gibt sich auf“, sagt er.

Viele Fragen bleiben unbeantwortet

Angesichts dieser massiven Kritik hat es Herbert Medek, der Leiter der Denkmalschutzbehörde der Stadt, schwer: Er verweist auf die Anstrengungen, in Sanierungsgebieten die Struktur zu erhalten, und den Grundsatz, dass Gebäude auf ihre Denkmaleigenschaft untersucht würden und geprüft werden müsse, ob ein Erhalt zumutbar sei. „Wir marschieren alle in eine Richtung“, betont er mit Blick auf die Podiumsteilnehmer – und fragt: „Wo sind denn die Investoren, wo sind die Erben, die des schnöden Mammon wegen die Häuser an Immobilienunternehmen verkaufen?“

Nicht nur diese Frage bleibt unbeantwortet an diesem Abend – auch der Appell Ragnarsdóttirs, eine Strategie gegen den Abriss und für eine Vision von der Stadt zu entwickeln, geht im Klagelied über geldgierige Investoren und geschichtsvergessene Politiker unter. Und ob die Politik – sei es auf der Chefetage des Rathauses oder aus den Reihen des Gemeinderats – das Thema erkennt und aufgreift, wie die Architektin fordert, ist angesichts der Nichtteilnahme des zuständigen Bürgermeisters Peter Pätzold (im Gegensatz zu einigen Stadträten) mehr als fraglich. Doch das große Interesse von mehreren hundert Zuhörern an der Eröffnungsveranstaltung, weshalb der Saal zum Foyer hin geöffnet werden muss, stimmt zumindest Werner „ein wenig zuversichtlich, dass Stuttgart nicht zu Profitopolis zwischen Hängen und Würgen wird, sondern eine lebenswerte Stadt zwischen Wald und Reben bleibt.“