Pflanzenkübel, Transparente oder ein Zelt – Architekt Roland Ostertag stellt sich den Innenhof des Bosch-Areals anders vor Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Das um die Jahrtausendwende neu gestaltete Stuttgarter Bosch-Areal steht in Teilen unter Denkmalschutz. Der damals verantwortliche Architekt Roland Ostertag hat jetzt einen Brandbrief an die Stadt geschickt.

Stuttgart - Gerade erst hat Roland Ostertag seinen 85. Geburtstag gefeiert. Doch das Antlitz seiner Stadt lässt ihn auch rund um diesen feierlichen Anlass nicht los. Der renommierte Architekt, der nicht müde wird, Bausünden und in seinen Augen sinnlose Vorhaben zu kritisieren, hat einen Brandbrief verfasst. Darin geht es um das Bosch-Areal neben der Liederhalle, dessen Umgestaltung er einst selbst geplant hat.

Doch was er heute sieht, gefällt ihm gar nicht. In dem Schreiben, das Ostertag an die Untere Denkmalschutzbehörde der Stadt Stuttgart, an die Verwaltung des Bosch-Areals, mehrere Mieter und andere Adressaten verschickt hat, kritisiert er besonders den Zustand des Innenhofs. Mit seiner markanten Dachkonstruktion gilt er als Visitenkarte des Projekts. „Der von denkmalgeschützten Gebäuden umgebene Hof sieht verheerend aus“, heißt es da. Ostertag moniert besonders die Nutzung durch gastronomische Betriebe: „Beliebig bis rücksichtslos aufgestellte Möblierungen, Sandkasten, an Gebäude angebaute Zelte, Gastronomie-Inventar, Werbung füllen den Hof auf, zerstören seinen und den Charakter der benachbarten Gebäude.“

Die Stadt soll einschreiten

Ostertag sagt, er bemühe sich bereits seit längerem bei der Verwaltung des Areals um eine Lösung. Es handle sich um eine „ästhetische Schädigung“ des Ensembles. Mit seiner Meinung stehe er nicht allein, auch einige Mieter teilten sie. Geschehen sei nichts: „Es wird stattdessen immer schlimmer.“ Deshalb sei es jetzt „Aufgabe der öffentlichen Hand, im Interesse dieses öffentlichen städtischen Ortes einzuschreiten“.

Hört man sich im Bosch-Areal und bei den Empfängern des Schreibens um, gehen die Meinungen auseinander. Während die einen keinerlei Anstoß an der Möblierung des Hofes nehmen und sie als belebendes Element sehen, stützen andere Ostertags These. „Grundsätzlich stimmt das schon. Schön ist es nicht. Unter der Woche ist dort nichts los, da wirkt das wie ein Lagerraum für Gastronomie-Inventar“, sagt die Vertreterin eines Mieters. Schließlich gehe es auch um die denkmalgeschützten Gebäude nebenan.

„Bei uns gibt es außer der von Herrn Ostertag keinerlei Beschwerden“, sagt dagegen Ewald Gunesch. Der Geschäftsführer der Concipio GmbH, die das Areal verwaltet, bekräftigt: „Mit dem Denkmalschutz hat das alles nichts zu tun. Dabei geht es vorwiegend um die Fassaden. Darauf legen wir extremen Wert und kommen den Vorgaben in allen Belangen nach.“ Man schätze die Meinung des Architekten, müsse den Innenhof aber nutzen: „Die Betreiber der Gastronomie haben die Notwendigkeit dafür. Das ist zwingend.“ Man habe mit ihnen Gespräche geführt, es sei viel investiert worden. „Das sieht vernünftig aus. So ein Objekt muss ja auch leben“, sagt Gunesch.

Betreiber der Gastronomie: „Alles abgesprochen“

Das sieht auch der Betreiber der hauptsächlich angesprochenen Event-Lokalität so. „Das Zelt steht nur im Winter, damit die Leute rauchen können. Alles ist abgesprochen, wir unterstützen den Denkmalschutz und wollen das Areal nach vorne bringen“, sagt er. Die Mitarbeiter räumten sogar den Müll der Passanten weg. Man müsse jeden Monat Pacht bezahlen und die auch irgendwie erwirtschaften. Was ihn besonders irritiert: „Herr Ostertag hat sich bei uns noch nie direkt gemeldet. Für solche Dinge sollte man im persönlichen Gespräch einen gemeinsamen Nenner finden.“ Aber auch der Brief sei nur an Dritte gegangen.

Unter anderem an die Stadt. Vertreter der Unteren Denkmalbehörde wollen sich nach Auskunft von Stadtsprecher Sven Matis in den nächsten Tagen selbst ein Bild vom Bosch-Areal machen. „Es geht dabei auch um die Frage, was privater und was öffentlicher Raum ist“, so Matis. Gerade bei beweglichem Mobiliar könne man nicht viel tun. Da falle nur der sogenannte Umgebungsschutz ins Gewicht. Sprich: Werden wichtige Blickbeziehungen beeinflusst oder denkmalgeschützte Gebäude massiv zugestellt?

Ostertag sieht das so. „Von Rücksichtnahme auf die Geschichte des Ortes, auf Denkmalschutz keine Rede“, schimpft er, „dagegen hatte der historische Anlieferungs-Innenhof der Firma Bosch mit seinen Hüttenwerken noch einen akzeptablen Charakter.“

Info: Bosch-Areal

Die Gebäude auf dem Gelände zwischen Seiden-, Forst- und Breitscheidstraße sind vom Jahr 1900 an errichtet worden. In den nachfolgenden Jahren entstand dort eine außergewöhnliche Stahlbeton-Architektur. Die von Robert Bosch gegründete „Werkstatt für Feinmechanik und Elektrotechnik“ hatte dort für längere Zeit ihren Firmensitz. Daher stammt der bis heute verwendete Begriff Bosch-Areal.

Im zweiten Weltkrieg wurde das Gelände teilweise zerstört. Einige der Gebäude blieben erhalten und stehen unter Denkmalschutz. Später wurde das Areal unterschiedlich genutzt – unter anderem hatte dort das Regierungspräsidium seinen Sitz.

Anfang der 90er-Jahre entstand die Idee, das Gelände neu zu nutzen. Aus einem Ideenwettbewerb ging das Stuttgarter Büro Ostertag/Vornholt als Sieger hervor. Es schlug die Erhaltung der Gebäude vor, während der damalige Finanzmister Gerhard Mayer-Vorfelder und Oberbürgermeister Manfred Rommel die Bebauung im Besitz des Landes lieber abgerissen hätten. Die Diskussion zog sich über mehrere Jahre hin, bis das Land das Areal für 43 Millionen Mark an die Kapital Consult verkaufte. Die investierte 230 Millionen Mark für Sanierung und Umgestaltung.

Die neuen Mieter zogen rund um die Jahrtausendwende ein. Offizielle Eröffnung feierte das neue Bosch-Areal im Jahr 2001. Heute finden sich dort ein Großkino, Gastronomie, ein großes Fitnessstudio, verschiedene Supermärkte, Büros, Wohnungen und das Literaturhaus. Im vergangenen Sommer hat der internationale Vermögensverwalter Schroder Real Estate das Gelände übernommen – nach eigenen Angaben für einen Kaufpreis von deutlich über 100 Millionen Euro. (jbo)